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Hier droht Gewalt, warnt der Gott der Gali, die von der hell erleuchteten Straße mit Chai-Bars und Imbiss-Ständen abgeht. Sie bleibt stehen, als sie immer lautere männliche Stimmen hört, die durch die schmale, von Jharokas gesäumte Gasse hallen. Studierende Karsevaks kommen brüllend angerannt. Sie pickt sich einen aus dem Götterraum heraus: Mangat Singhal, Studium des Maschinenbaus an der University of Bharat. Er hat eine für drei Jahre bezahlte Jugend-Mitgliedschaft bei der Shivaji, er wurde zweimal als Randalierer bei den Demonstrationen am Sarkhand Roundabout verhaftet. Seine Mutter hat durch Rauchen verursachten Kehlkopfkrebs und wird wahrscheinlich ihre Reise zu den Ghats antreten, bevor dieses Jahr vorüber ist. Hier entlang, sagt der Gott des Taxistands und zeigt ihr den Maruti, der hinter den panischen Chai-Wallahs fährt, die hastig ihre Stahlgitter herunterlassen. Schaden auf zwanzigtausend Rupien geschätzt, verrät ihr der Gott der kleinen Versicherungsfälle, als sie das Krachen eines Chai-Standes hört, der von Karsevaks umgeworfen wird. Kein Anspruch auf Schadensersatz während einer Ausnahmesituation öffentlicher Unruhen. Du wirst dein Taxi in fünfunddreißig Sekunden erreichen. Jetzt nach links. Sie ist da, als der Maruti um die Ecke biegt und auf ihr Handzeichen stehen bleibt.

»Halten Sie sich von dort fern«, sagt der Fahrer, als sie ihm die Adresse in der Basti nennt.

»Ich werde Ihnen viel Geld bezahlen.« Geldautomat an der nächsten Kreuzung rechts, sagt der Gott der Einkaufszentren. »Halten Sie hier an.« Die Karte wird ohne Zögern, ohne Frage, ohne Anforderung einer Nummer oder Gesichtsscan angenommen. Wie viel benötigst du?, fragt der Gott des E-Bankings. Sie nennt eine fünfstellige Zahl. Es dauert so lange, bis das Geld aus dem Schlitz kommt, dass sie bereits befürchtet, der Fahrer könnte sich für eine ungefährlichere Fuhre entscheiden. Das Taxi mit der Zulassungsnummer VRJ117824C45 steht weiterhin am Straßenrand, bestätigt der Gott, der die Verkehrsüberwachungskameras beseelt. Sie blinzelt zur hoch oben angebrachten Linse, sieht sich selbst vor dem Geldautomaten, wie sie versucht, dicke Geldbündel zusammenzufalten, sieht das Taxi hinter ihr, sieht den kleinen Konvoi der Armee-Hummer, die vorbeirasen.

»Genügt das?« Sie wirft dem Fahrer den Blumenstrauß aus Banknoten ins Gesicht.

»Baba, dafür würde ich Sie bis nach Delhi fahren.«

Er ist ein Fahrer, der gern redet; Unruhen, Unruhen, völlig ohne Grund, warum konzentrieren sie sich nicht auf ihr Studium, statt Sachen abzufackeln, wenn sie versuchen, einen Job zu kriegen, wird es sich rächen, oh, wie ich sehe, hatten Sie Schwierigkeiten mit der Polizei, weil Sie randaliert haben, nein, hier gibt es keine Jobs für Gundas und Badmashs, aber was ist mit Sajida Rana, der Premierministerin, ist es zu fassen, dass ihre eigene Leibwache, unsere Premierministerin, Mama Bharat, und was wollen wir jetzt machen, hat irgendwer mal darüber nachgedacht, und Gott steh uns bei, wenn hier alles zusammenbricht, dann werden die Awadhis uns einfach überrollen ... Kij beobachtet, wie die Götter in Schwadronen und Verbänden und Kommandos wogen und sich hinter ihr zu einer strahlenden Hemisphäre über der Stadt auftürmen. Sie tippt dem Fahrer auf die Schulter. Er wäre fast in eine Hütte aus Ziegelsteinen und Plastik am Straßenrand gefahren.

»Ihrer Frau geht es gut, und sie wird die Nacht bei ihrer Mutter verbringen, bis es sicher genug ist, wieder nach Hause zu kommen.«

Kurz danach verlässt sie ihn. Hier sind die Götter so selten wie die Sterne am Nachthimmel. Sie schweben um die großen gelben Natriumdampflampen an den Hauptstraßen herum, über den Autos, die im Regen vorbeibrausen, sie flattern wie Flammen an den Komkabeln hinauf und hinunter, aber die Bastis dahinter sind schwarz, unheilig. Das Flüstern der Götter führt sie in die Dunkelheit. Die Welt rennt, die Stadt brennt, aber der Slum muss schlafen. Ein verdutztes Gesicht in einem nächtlichen Chai-Stand starrt sie an, als wäre sie ein Djinn, der vom Sturm herangewirbelt wurde. Immer geradeaus weiter, bis du zu einem großen Strommast kommst, flüstert der Gott des MTV-Asia-Kabelkanals auf dem blassblauen Bildschirm. Gottheiten hängen an den Trägern des großen Masts wie Blätter an einem Baum. Auf der linken Seite, sagen sie. Wo es zwei Stufen hinuntergeht, mit dem Kunstdünger-Plastiksack anstelle einer Tür. Es ist leicht zu finden, selbst in der fließenden, stinkenden Dunkelheit, wenn man von den Göttern geführt wird. Sie erspürt die Konturen des baufälligen Hauses. Die Plastiktürplane raschelt, als sie sie berührt. Drinnen erwacht Leben. Dies ist der Ort, zu dem die DNS in der Datenbank sie geführt hat. Hinter ihr schimmert das wahre Licht der Dämmerung grau und fahl durch das Götterleuchten. Kij hebt die Plastikfolie an und duckt sich unter dem Türsturz hindurch.

Sie klopfen und rufen zwanzig Minuten lang, aber der gute Doktor Nanak empfängt heute keine Besucher. Die Türen sind verriegelt, die Luken dicht, die Fenster mit Läden verrammelt und mit großen Messingschlössern gesichert. Thomas Lull hämmert mit der Faust gegen die graue Tür.

»Na los, öffnen Sie, verdammt noch mal!«

Schließlich häuft er Metallschrott vor den Brückenfenstern mit dem Maschendraht auf, während sich der Regen zu immer größeren Pfützen auf dem grauen Deck sammelt. Damit erregt er die Aufmerksamkeit zweier Australier auf dem Nachbarkahn. Zwei Jungs Mitte zwanzig mit freiem Oberkörper in wadenlangen Jams kommen über die Rampe. Wasser tropft von ihren Rastalocken, aber sie bewegen sich durch den Regen, als wäre es ihre natürliche Umgebung. Lisa Durnau, die unter einer Markise Schutz gesucht hat, wirft einen Blick auf ihre Unterkörper. Sie haben diese Bauchmuskelfurchen, die bis unter den Hosenbund reichen.

»Kumpels, wenn der Guru nicht da ist, ist er nicht da.«

»Ich habe da oben eine Bewegung gesehen«, ruft Thomas Lull. »He! Ich sehe Sie, kommen Sie raus, ich muss Ihnen ein paar Fragen stellen.«

»Hören Sie, etwas mehr Respekt, wenn jemand seine Ruhe haben will«, sagt der zweite Fitnesstyp. Er trägt eine geschnitzte Jadespirale an einem Lederriemen um den Hals. »Der Guru gibt keine Interviews, für niemanden, nirgendwo, nirgendwie. Okay?«

»Ich bin kein verdammter Journalist, und ich bin kein verdammter Karsevak«, erklärt Thomas Lull und klettert die Schiffsaufbauten hinauf.

»Lull«, stöhnt Lisa Durnau.

»Oh nein, das tun Sie nicht«, ruft der erste Australier, und gemeinsam packen sie Thomas Lull an den Beinen und ziehen ihn von der Brücke. Er knallt unsanft auf den Steg.

»Jetzt sind Sie eindeutig länger geblieben, als Sie willkommen sind«, sagt Jadejunge. Dann ziehen sie Thomas Lull auf die Beine, halten seine Arme in festem Griff und dirigieren ihn zum Steg zwischen den Schiffen.

Lisa Durnau beschließt, dass es an der Zeit ist, etwas zu tun. »Nanak!«, ruft sie zur Brücke hinauf.

Eine Gestalt bewegt sich hinter dem Maschendraht und dem schmutzigen Glas.

»Wir sind keine Journalisten. Wir sind Lisa Durnau und Thomas Lull. Wir wollen mit Ihnen über Kalki reden.«

Die Tür zur Laufbrücke öffnet sich. Ein mit Schals umwickelter Kopf lugt heraus, ein Gesicht wie Hanuman, der Affengott.

»Lasst ihn los.«

Nanak, der Traumchirurg, wuselt auf der Brücke hin und her, um auf korrekte Weise Tee zuzubereiten. Nach den industriellen Schiffsaufbauten wirkt die Inneneinrichtung mit den pseudokolonialen Möbeln aus Korb und Bambus erstaunlich dekadent.