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»Die würde ich auch erschießen«, sagt Shiv. »Sie sind abartig. Ich meine, okay, auch die Brahmanen spielen an den Genen rum, aber sie sind immer noch Männer und Frauen.«

»Ich habe gelesen, die Neuts arbeiten daran, sich klonen zu lassen«, sagt Talv behutsam. »Sie wollen normale Frauen dafür bezahlen, dass sie ihre Kinder austragen.«

»Also, das ist einfach nur widerlich«, sagt Shiv, und als er sich wieder umdreht und sein leeres Glas abstellt, liegt ein Zettel auf der blau leuchtenden Theke.

»Was ist das?«

»So etwas nennt man eine Rechnung«, sagt Talv.

»Wie bitte? Seit wann muss ich in diesem Etablissement für Getränke bezahlen?«

Shiv entfaltet den kleinen Zettel, wirft einen Blick auf die Zahl. Blickt noch einmal darauf.

»Nein. Was zum Teufel ist das? Bin ich hier nicht mehr kreditwürdig? Wollt ihr das damit sagen? Shiv Faraji, wir vertrauen dir nicht mehr?«

Die Tivi-Mädchen blicken auf, als er die Stimme hebt, bläulich angestrahlt wie Devis. Talv seufzt. Dann ist Salman da. Er ist der Besitzer, er hat Verbindungen, die Shiv nicht hat. Shiv hält die Rechnung hoch wie eine Anklageschrift.

»Ich habe gerade zu Ihrem Star gesagt ...«

»Ich habe da gewisse Dinge über Ihre Diskontfähigkeit gehört.«

»Mein Freund, ich genieße hohes Ansehen in der ganzen Stadt.«

Salman legt einen kalten Finger auf den kalten Behälter. »Ihre Aktie wird nicht mehr so hoch notiert wie früher einmal.«

»Irgendein Scheißer unterbietet mich? Ich werde seine Eier in Trockeneis ...«

Salman schüttelt den Kopf. »Es ist ein makroökonomisches Problem. Die Kräfte des Marktes, Sir.«

Und die Musst-Club-Bar wird im Zoom langgezogen, so dass die Wände und Ecken vor Shiv zurückzuweichen scheinen, ausgenommen der Kopf des Brahmanen, der riesig und aufgebläht wirkt und wie ein bemalter Heliumballon bei einem Festival wackelt.

Manche sehen rot. Für Shiv war es schon immer ein blauer Schleier gewesen. Ein tiefes, vibrierendes, intensives Blau. Er nimmt die Paan-Schale, zerschlägt sie, hält Talvs Hand auf dem Tresen fest und lässt eine lange Klinge aus Glas wie eine Guillotine über seinem Daumen hängen.

»Wollen wir doch mal sehen, wie er ohne Daumen schüttelt und rührt«, zischt Shiv. »Der Star der Bar.«

»Shiv, immer mit der Ruhe«, sagt Salman sehr langsam und zerknirscht. Shiv weiß, dass es das Zischen einer Kobra ist, aber es ist blau, völlig blau, zitternd blau. Eine Hand auf seiner Schulter. Yogendra.

»Okay«, sagt Shiv, ohne jemanden oder etwas anzusehen. Er legt die Scherbe nieder und hebt die Hände. »Alles gut.«

»Ich werde darüber hinwegsehen«, sagt Salman. »Aber ich erwarte vollständige Bezahlung, Sir. Innerhalb von dreißig Tagen. Die üblichen Geschäftsbedingungen.«

»Okay, hier ist irgendwas oberfaul«, sagt Shiv und tritt den Rückzug an. »Ich werde herausfinden, was es ist, und dann komme ich wieder, um mir Ihre Entschuldigung anzuhören.«

Er stößt noch seinen Barhocker um, aber er vergisst die Körperteile nicht. Jetzt endlich schauen die Mädchen ihn an.

Das ayurvedische Restaurant schließt pünktlich um acht, weil die Philosophie besagt, dass man nicht später essen sollte. Die Szene in der Gasse lässt darauf schließen, dass es nicht mehr öffnen wird. Shiv sieht einen gemieteten Lieferwagen, zwei Ponykarren, drei Liefertrikes und eine Schar nach Stunden bezahlter Gundas, die eine Kette gebildet haben und Pappkartons von der Tür weiterreichen. Oberkellner Videsh demontiert die Tische und blickt kaum auf, als Shiv und sein Wunderknabe hereinstürmen. Madam Ovary ist im Büro und pickt sich die Rosinen aus dem Aktenschrank heraus.

»Willst du verreisen?«

»Einer meiner Jungs ist in diesem Moment zu deiner Wohnung unterwegs.«

»Ich war aushäusig. Geschäftliche Angelegenheiten. Ich habe so etwas hier, weißt du?« Shiv zieht seinen Palmer hervor.

»Shiv, das ist keine sichere Kommunikation. Nein.«

Madam Ovary ist eine kleine, dicke, fast kugelrunde Malayali und trägt einen fettigen Zopf, der ihr bis zum Kreuz hinunterreicht und seit zwanzig Jahren nicht aufgeschnürt wurde. Für ihre Jungs ist sie die ayurvedische Mutter, die sie mit Tinkturen und Pulvertütchen behandelt. Wer an sie glaubt, schreibt ihr wahrhaftige Heilkräfte zu. Shiv gibt seine Rezepturen an Yogendra weiter, der sie an Touristen verkauft, die mit den Flussbooten eintreffen. Ihr Restaurant hat internationalen Ruf, vor allem bei den Deutschen. Hier tummeln sich ständig blasse Nordeuropäer mit den abgezehrten Gesichtszügen, die man nach dreißig Tagen unablässiger Verdauungsprobleme bekommt.

»Dann erklär es mir«, sagt Shiv. »Du wirfst dein ganzes Zeug in Handkarren, und ganz plötzlich ist das hier« — sein kühles rostfreies Fläschchen — »mit Lepra infiziert.«

Madam Ovary legt ein paar Bilanzen in ihre Plastikaktentasche. Kein Leder, überhaupt keine Tierprodukte. Menschliche Produkte für den menschlichen Verzehr, das ist ayurvedisch korrekt. Das schließt auch die embryonale Stammzellentherapie ein.

»Was weißt du über nonblastulare Stammzellentechnologie?«

»Das ist dasselbe wie unsere normale embryonale Stammzellentechnik, nur dass man jede Körperzelle benutzen kann, um Ersatzteile zu züchten, und nicht nur die von Föten. Ein weiterer Unterschied ist der, dass diese Methode nicht funktioniert.«

»Sie funktioniert ganz wunderbar, und zwar seit elf Uhr Eastern US Standard Time. Was du in diesem Fläschchen hast, ist weniger wert als das Fläschchen selbst.«

Shiv sieht wieder die Leiche, wie sie vom Fluss fortgetragen wird. Er sieht, wie sich der Sari der Frau hinter ihr aufbläht. Er sieht sie auf der geschrubbten Emaille-Tischplatte im All-Asia, der Klinik für Schönheitsoperationen, offen unter dem Licht. Shiv kann Verschwendung nicht ausstehen. Ganz besonders regt er sich darüber auf, wenn ein unerfahrener Chirurg eine routinemäßige Eiernte in ein Blutbad verwandelt.

»Es wird immer Leute geben, die sich amerikanische Technologie nicht leisen können. Wir sind hier in Bharat ...«

»Junge, kennst du die erste Geschäftsregel? Erkenne, wann du deine Verluste begrenzen musst. Meine Betriebskosten sind immens: Ärzte, Kuriere, Polizisten, Zollbeamte, Politiker, Stadträte, alle halten die Hand auf. Der Zusammenbruch ist nahe. Ich habe nicht die Absicht, unter den Trümmern verschüttet zu werden.«

»Wohin gehst du?«, fragt Shiv.

»Das werde ich dir auf gar keinen Fall sagen. Wenn du auch nur einen Funken Verstand gehabt hast, hättest du schon vor langer Zeit deine Aktivposten streuen müssen.«

Shiv hat sich diesen Luxus nie erlauben können. Auf jeder Etappe seiner Reise von der Chandi Basti zu diesem ayurvedischen Restaurant hatte er nie eine andere Wahl. Moral war etwas für Leute, die woanders als in der Basti lebten. Allerdings hätte er die Wahl gehabt, in jener Nacht, als er die Apotheke plünderte. Jeder Badmash konnte sich in den Jahren der Separation eine Waffe besorgen, aber selbst in dieser Zeit war Shiv Faraji ein Mann mit Stil gewesen. Ein Stilist benutzt einen gestohlenen Nissan-Geländewagen, um damit die stählernen Rollläden der Apotheke zu durchbrechen. Danach hatte seine Schwester sich von der Tuberkulose erholt. Die geraubten Antibiotika hatten ihr das Leben gerettet. Er hatte getan, was sein Vater nicht tun wollte, nicht tun konnte. Er hatte ihnen gezeigt, wozu ein Mann mit Mut und Entschlossenheit imstande war. Er hatte keine Paisa vom Geld des Apothekers angerührt. Ein Raja nimmt nur das, was er braucht. Damals war er zwölf gewesen. Zwei Jahre jünger als sein Assistent Yogendra. Jeder Schritt ist der einzig mögliche Schritt. Jetzt ist es genauso, als ihm die Eierstöcke durch die Finger rinnen. Ihm wird sich eine Möglichkeit bieten. Dann wird er tun, was zu tun ist. Es wird die einzige Möglichkeit sein, etwas zu tun. Das Einzige, was er nicht tun wird, ist davonlaufen. Dies ist seine Stadt.