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Shiv versucht gar nicht erst wegzulaufen. Diese Dinger können ein Tempo von einhundert Stundenkilometern erreichen, und sobald sie die DNS-Witterung von jemandem aufgenommen haben, wird sich diese Klinge durch jedes Hindernis schneiden, bis sie auf weiches Fleisch stößt. Der Urban Combat Robot ragt über ihm auf. Der gemeine kleine Gottesanbeterinnenkopf senkt sich, und die Sensoren arbeiten. Jetzt entspannt sich Shiv. Dies ist eine Show für die Straße.

»Mr. Faraji.«

Shiv hätte fast gelacht.

»Zu Ihrer Information: In diesem Moment wurden alle Verbindlichkeiten und Steuerschulden gegenüber Mr. Bachchan an die Ahimsa Collections Agency übertragen.«

»Bachchan lässt meine Schulden eintreiben?«, ruft Shiv und blickt auf die Überreste seines letzten Wertgegenstands, der ausgeweidet auf der Straße liegt und Alkosprit ausblutet.

»Das ist korrekt, Mr. Faraji«, sagt der Killerrobot. »Ihr Konto beim Wettbüro Bachchan weist gegenwärtig ein Minus von achtzehn Millionen Rupien auf. Ab heute haben Sie eine Woche, um Ihre Schulden zu begleichen. Andernfalls werden Maßnahmen zur Eintreibung ergriffen.«

Die Maschine fährt auf den Hinterbeinen herum, sammelt sich und springt über die Teeverkäufer, Kühe und Nutten hinweg auf die Kreuzung.

»He!«, ruft Shiv ihr nach. »Wie wäre es mit einer Rechnung?« Er hebt einige Scherben und Reste deutscher Präzisionsarbeit auf und wirft sie dem Schuldeneintreiber hinterher.

11

Lisa, Lull

»Ihre beste Idee, Ms. Durnau«, sagte Thomas Lull über den breiten Schreibtisch hinweg, auf dem ihre Bewerbungsunterlagen und ihr Lebenslauf ausgebreitet waren, über ihm das Bildfenster mit dem weiten Kansas im heißesten Juni dieses Jahrhunderts. »Wo waren Sie, als Sie darauf kamen?«

(Sie flashbackt zu dieser Szene zurück, zweiundzwanzig Stunden von der ISS entfernt und noch sechsundzwanzig bis Darnley 285, vollgestopft mit Flugdrogen und in einen Sack reißverschlossen, der an die Wand der Transferkapsel geklettet ist, damit sie Captain Pilot Beth nicht in die Quere kommt, die ein leicht verstopftes rechtes Nasenloch hat und rhythmisch pfeifend atmet, bis dieses Geräusch das bedeutendste Ereignis in Lisa Durnaus Universum ist.)

Niemand hatte je einen solchen Juni erlebt, weder das Flughafenpersonal noch das Mädchen von der Autovermietung oder der Mann vom Wachschutz der Universität, den sie nach dem Weg fragte. Dies war mehr als warmes Wasser vor der Küste von Peru oder die Todeszuckungen des Golfstroms. Die Klimatologie war in den Bereich geraten, wo sich nichts mehr vorhersagen ließ. Thomas Lull hatte ihren Lebenslauf durchgeblättert, einen flüchtigen Blick auf die erste Seite ihrer Bewerbung geworfen, und als sie das erste Bild der Diashow aufgerufen hatte, war er ihr mit dieser Frage in die Parade gefahren.

Lisa Durnau kann sich heute noch an ihre aufkochende Wut erinnern. Sie drückte die Hände flach auf die Schenkel ihres guten Hosenanzugs, um den Zorn niederzukämpfen. Als sie sie wieder hochnahm, hatten sie zwei handtellerförmige Schweißflecken hinterlassen, die wie Warnungen vor dem bösen Blick aussahen.

»Professor Lull, ich bemühe mich hier, professionell aufzutreten, und ich glaube, Sie sind mir die professionelle Höflichkeit Ihrer ungeteilten Aufmerksamkeit schuldig.«

Sie hätte in Oxford bleiben sollen. In Oxford war sie glücklich gewesen. Carl Walker hätte verschiedene Körperteile verkauft, um sie in Keble zu halten. Bessere Doktorarbeiten als ihre waren in diesem Kuhdorf in der Luft zerrissen worden, wo die Institute noch immer gesetzlich verpflichtet waren, Intelligent Design zu lehren. Hätte sich das wichtigste Zentrum für die Erforschung von Cyberleben auf einem Hügel mitten im Bible Belt befunden, wäre Lisa Durnau zu diesem Hügel gepilgert. Sie hatte das christliche Universum ihres Vaters zurückgewiesen, bevor er und ihre Mutter sich trennten, aber die presbyterianische Hartnäckigkeit und Eigenständigkeit hatten sich mit ihrer DNS verflochten. Sie wollte sich von diesem Mann nicht erschüttern lassen.

»Sie können sich meine Aufmerksamkeit verdienen, indem Sie meine Frage beantworten. Ich möchte wissen, was Ihre Inspiration war. Der Moment, als es Sie wie ein Blitzschlag traf. Der Moment, als Sie die nächsten siebzig Stunden nur noch von Kaffee und Dextroamphetamin lebten, weil Sie wussten, dass Ihnen die Idee abhandenkommen würde, wenn Sie sie auch nur für kurze Zeit loslassen. Der Moment, als sie aus dem Nichts auftauchte und bereits vollkommen und vollständig ausgeprägt war. Ich möchte wissen, wie und wann und wo es Sie getroffen hat. Wissenschaft ist Schöpfung. Nichts anderes interessiert mich.«

»Okay«, sagte Lisa Durnau. »Es war auf der Damentoilette in der Paddington Station in London, England.«

Professor Thomas Lull strahlte und lehnte sich auf seinem Sessel zurück.

Die Gruppe der Kognitiven Kosmologen traf sich zweimal im Monat in Stephen Sangers Büro im Imperial College London. Das Treffen gehörte zu den Dingen, von denen Lisa Durnau wusste, dass sie sich irgendwann dazu aufraffen sollte, es aber vermutlich niemals schaffen würde, ähnlich wie die Absicht, ihr Konto auszugleichen oder Kinder zu bekommen. Carl Walker ließ ihr die Nachrichten und Zusammenfassungen der Gruppe per Mailkopie zukommen. Es war intellektuell faszinierend, und sie bezweifelte nicht, dass die Mitgliedschaft in der Gruppe ihrem Ruf und ihrer Karriere Auftrieb verleihen würden. Das Problem war, dass diese Leute einen quanteninformatischen Ansatz verfolgten und Lisas Gedanken sich auf topologischen Kurven bewegten. Dann schweiften die zweimal im Monat eintreffenden Berichte von Quanteninformatik-Kauderwelsch zu Spekulationen ab, dass Künstliche Intelligenz im Prinzip ein paralleles Universum sein könnte, das sich als Computercode darstellen ließe, so wie die Säulengänge und Chorsänger von Oxford aus Elementarteilchen und DNS bestanden. Das war Lisas Reich. Sie leistete einen Monat lang Widerstand, bis Carl Walker sie an einem Freitag zum Mittagessen einlud, das um Mitternacht in einem jamaikanischen Restaurant endete, wo sie Guinness tranken und zu den Towers of Dub schunkelten. Zwei Tage später saß sie in einem Konferenzraum im fünften Stock und frühstückte Schokoladencroissants und lächelte viel zu oft, während sie die klügsten Köpfe des Landes musterte, die sich Gedanken über die Stellung des Geistes in der Struktur des Universums machten.

Alle Kaffeetassen wurden nachgefüllt, und dann begann der Diskurs. Das Tempo der Diskussion riss Lisa in einem atemlosen Sog mit. Die Protokolle ließen nicht erkennen, in welcher Breite und Differenziertheit die Diskussionen geführt wurden. Sie kam sich wie ein dickes Kind bei einem Basketballspiel vor, das immer zu spät losrennen und fangen wollte, jedoch viel zu langsam war. Als Lisa endlich zu Wort kam, ging sie auf Dinge ein, über die drei Ideen früher gesprochen worden war, und das Klima der Unterhaltung hatte sich längst geändert. Die Sonne wanderte über den Hyde Park hinweg, und Lisa Durnau verfiel in immer tiefere Verzweiflung. Sie waren schnell und schlagfertig und umwerfend, und sie lagen falsch falsch falsch, aber sie schaffte es einfach nicht, es ihnen zu sagen. Sie langweilten sich bei diesem Thema bereits. Ihrer Meinung nach hatten sie alles herausgequetscht, was herauszuquetschen war, und sich anderen Dingen zugewandt. Sie würde ihre Chance verpassen. Es sei denn, sie sagte es ihnen. Sie musste jetzt sprechen. Ihr rechter Unterarm lag flach auf dem Eichentisch. Langsam hob sie die Hand in die Vertikale. Alle Blicke folgten der Bewegung. Plötzlich wurde es erschreckend still.

»Entschuldigung«, sagte Lisa Durnau. »Darf ich etwas dazu sagen? Ich glaube, Sie liegen falsch.« Dann erzählte sie ihnen von der Idee, die Leben, Geist und Intelligenz aus den zugrundeliegenden Eigenschaften des Universums entstehen ließ, auf genauso mechanische Weise wie bei der Materie und den physikalischen Naturkräften. Dass die Cybererde das Modell eines anderen Universums war, dessen Existenz vom Polyversum abhängig war, eines Universums, in dem der Geist kein evolutionäres Phänomen war, sondern etwas Fundamentales wie die Feinstrukturkonstante, wie Omega, wie die Dimensionalität. Ein Universum, das denkt. Wie Gott, sagte sie, und als sie diese Worte sagte, sah sie die Lücken und Mängel und die Dinge, die sie nicht durchdacht hatte, und sie wusste, dass alle Gesichter rund um den Tisch sie ebenfalls sahen. Sie hörte ihre eigene Stimme, einschüchternd und so selbstbewusst, so sehr davon überzeugt, dass sie in Kürze alle Antworten geben konnte. Sie schweifte in ein apologetisches Gemurmel ab.