Er packte den elastischen Hosenbund mit den Fäusten und zog ihr die Shorts und den Slip herunter. Lisa Durnau stieß einen leisen Schrei aus. Mit einer fließenden Bewegung streifte sie ihr Joggingtop über den Kopf, stieg aus den Schuhen und besprang ihn, die Beine um seine Hüften geschlungen. Aneinandergeklammert taumelten sie unter die Dusche. Während er sich mit seiner Kleidung abmühte und über seine störrischen Socken fluchte, duschte sie sich ab. Er drängte sich in die Kabine und presste sie gegen die gekachelte Wand. Lisa schwenkte die Hüften, schlang erneut die Beine um ihn und versuchte mit ihrer Vulva seinen Schwanz zu finden. Lull trat einen Schritt zurück und drückte sie behutsam von sich. Lisa Durnau drehte sich um, machte einen Handstand und nahm seinen Oberkörper mit den Beinen in die Zange. Thomas Lull beugte sich herab, stieß mit der Zunge hinein. Halb ertrinkend, halb ekstatisch wollte Lisa schreien, riss sich aber zusammen. Es machte mehr Spaß, dagegen anzukämpfen, halb erstickt und kopfstehend. Dann legte sie wieder die Beine um Lull, und er nahm sie tropfend und von ihr umschlungen. Schließlich warf er sie aufs Bett und vögelte sie, während die College-Abendglocken läuteten.
Im High Table saß sie neben einem dänischen Doktoranden, dessen Augen strahlten, weil er tatsächlich mit einem der Erfinder des Alterre-Projekts sprechen durfte. Im Zentrum des Tisches diskutierte Thomas Lull mit dem Master des College über den Sozialdarwinismus der Geneline-Therapie. Lisa blickte nur kurz bei seinen Worten »Tötet die Brahmanen jetzt, solange es noch nicht zu viele von ihnen gibt« auf, doch ansonsten nahm sie ihn nicht zur Kenntnis. So waren die Regeln. So lief es bei Konferenzen ab. Bei einer hatte es begonnen und bei den folgenden die stärkste Ausprägung erreicht. Wenn die Veranstaltung zu Ende war, wurden die Regeln und Bedingungen der Loslösung zwischen verschiedenen Konferenzthemen vereinbart. Bis dahin war der Sex großartig.
Für Lisa Durnau war Sex immer etwas gewesen, an dem andere Leute Gefallen fanden, das aber im Drehbuch ihres eigenen Lebens nicht vorkam. Es war nicht besonders aufregend. Ohne war sie durchaus glücklich. Dann entdeckte sie mit jemandem, von dem sie es am wenigsten erwartet hatte, in einer sehr unpassenden Beziehung eine Sexualität, in die sie ihre natürliche Sportlichkeit einbringen konnte. Sie hatte einen Partner gefunden, der sie verschwitzt und mit salzigem Geschmack in ihren geliebten Laufsachen mochte, der es al freso und al dente mochte, gewürzt mit all den Dingen, die sie fast zwanzig Jahre lang in ihrer Libido eingesperrt hatte. Dinge wie Vergewaltigungsspiele und Tantra machte Pastor Durnaus sportliche Tochter einfach nicht. Zu jener Zeit war ihre Schwester Claire in Santa Barbara ihre engste Vertraute. Sie verbrachten ganze Abende am Telefon und gingen all die schmutzigen Details durch, unter johlendem Gelächter. Ein verheirateter Mann. Und ihr Chef. Claires Theorie lautete: Gerade weil die Beziehung so unpassend war und im Geheimen stattfand, konnte Lisa ihren Phantasien freien Lauf lassen.
Es hatte in Paris begonnen, in der Abflughalle im Terminal 4 von Charles des Gaulle. Der Flug nach O’Hare war verspätet. Ein Fehler der Flugsicherung in Brüssel hatte sich bis zu den Flugzeugen an der Ostküste ausgewirkt. BAA142 stand mit vier Stunden Verspätung auf der Anzeigetafel. Lisa und Lull hatten soeben eine intellektuell zermürbende Woche hinter sich gebracht, in der es darum gegangen war, das lullistische Argument, dass Realität und Virtualität sinnlose Chauvinismen waren, gegen heftige Angriffe durch eine Gruppe von französischen Neorealisten zu verteidigen. Jetzt wollte Lisa Durnau nur noch auf ihre Veranda treten und nachsehen, ob Mr. Cheknavorian von nebenan die Kräuter gegossen hatte. Auf der Tafel klickte die Anzeige auf sechs Stunden. Lisa stöhnte. Sie hatte ihre E-Mails geschrieben. Sie hatte ihre finanziellen Transaktionen erledigt. Sie hatte Alterre einen Kurzbesuch abgestattet, das gerade eine Ruhephase zwischen Ausbrüchen punktualistischer Evolution durchmachte. Es war drei Uhr morgens, und in der Langeweile und Müdigkeit und Dislokation im Schwebezustand der hell erleuchteten Lounge zwischen den Staatsgebieten lehnte Lisa Durnau den Kopf gegen Thomas Lulls Schulter. Sie spürte, wie er sich bewegte und sie ihn küsste. Als Nächstes schlichen sie zu den Flughafenduschen. Ein Angestellter reichte ihnen zwei Handtücher und flüsterte Vive le sport.
Sie mochte es, mit Thomas Lull zusammen zu sein. Er war unterhaltsam, er konnte reden, und er hatte einen angenehmen Sinn für Humor. Sie hatten vieles gemeinsam, Werte und Glaubensvorstellungen. Filme, Bücher. Essen, die legendären mexikanischen Mittagsmahlzeiten am Freitag. All das war so weit entfernt von einem Fick in Hündchenstellung an den feuchten Fliesen einer Duschkabine im Terminal 4, aber eigentlich gar nicht so weit weg. Die Liebe begann doch meistens in der Nachbarschaft. Man schwärmte für das, was man jeden Tag sah. Den Jungen auf der anderen Seite des Zauns. Den Kollegen am Wasserspender. Den andersgeschlechtlichen Freund, mit dem man sich schon viele Jahre gut verstanden hatte. Ihr war klar, dass sie schon immer etwas für Thomas Lull empfunden hatte. Sie war nur nie imstande gewesen, dem Ganzen einen Namen zu geben oder in eine Handlung umzusetzen, bis die Erschöpfung und die Frustration und die Dislokation sie aus ihrer Lisa-Durnau-heit gerissen hatten.
Er hatte andere gehabt. Sie kannte alle Namen und etliche Gesichter. Er hatte ihr davon erzählt, wenn sie zu ihren Partnern und Familien zurückgekehrt waren und nur sie beide bei einem Krug Margarita zusammensaßen und die Öllampen herunterbrannten. Niemals Affären mit Studentinnen, dazu war seine Frau auf dem Campus zu bekannt. Normalerweise nur für eine Nacht auf einer Konferenz. Einmal eine E-Mail-Affäre mit einer Schriftstellerin aus Sausalito. Und nun war sie die nächste Kerbe im Bettpfosten. Wo es enden würde, konnte sie nicht sagen. Aber sie hatten es weiterhin mit den Duschkabinen.
Nach dem Essen und den Getränken lösten sie sich von den Gesprächsknäueln und liefen über die Cherwell-Brücken zum billigeren Ende der Stadt. Hier gab es Studentenkneipen, die noch nicht der Vergesellschaftung anheimgefallen waren. Aus einem Pint wurden zwei, dann drei, weil der Laden sechs Guest Real Ales im Angebot hatte.
Während des vierten hielt er inne und sagte: »L. Durnau.« Sie liebte es, wenn er sie so nannte. »Falls mir irgendetwas zustoßen sollte, ich weiß nicht was, was auch immer passiert, wenn die Leute sagen, dass einem ›etwas zustößt‹, würdest du dich dann um Alterre kümmern?«
»Um Himmels willen, Lull.« Das war ihr Name für ihn. Lull und L. Durnau. Zu viele Ls und Us. »Machst du dir konkrete Sorgen? Hast du vielleicht etwas ...?«
»Nein nein. Ich denke nur weiter, man weiß ja nie. Ich vertraue darauf, dass du die Sache richtig weiterführen wirst. Tu etwas, wenn sie Scheiß-Coca-Cola-Werbung auf die Wolken kleben wollen.«
Den Rest der Guest Ales schafften sie nicht. Als sie durch die warme, lärmende Nacht zu den Studentenwohnheimen zurückliefen, sagte Lisa Durnau: »Ja, mach ich. Wenn du die Fakultät überzeugen kannst, werde ich mich um Alterre kümmern.«
Zwei Tage später erreichten sie Kansas City mit dem letzten Nachtflug, und das Personal machte nach ihnen den Flughafen zu. Es war nur der Jetlag, der Lisa Durnau auf der Fahrt zur Universität wachhielt. Sie setzte Thomas Lull vor seinem weitläufigen grünen Anwesen draußen in der Vorstadt ab.
»Wir sehen uns«, flüsterte sie. Um drei Uhr morgens erwartete sie natürlich keinen Kuss. Als sie auf ihre Veranda trat und die Fliegengittertür öffnete und ihre Tasche im Flur fallen ließ, riss der körperliche Schock sie um wie ein Schwerlaster. Sie steuerte ihr großes Bett an. Ihr Palmer meldete einen Anruf. Sie überlegte, gar nicht ranzugehen. Es war Lull.