»Lassen Sie sie selber wachsen.«
Krishan ist ein großer Mann, der sich sehr leise bewegen kann, wie es viele große Männer können, aber Parvati hat die Kühle seines Schattens auf den weichen Haaren ihres Nackens gespürt wie Tau auf den Kürbisblättern.
»Oh, Sie haben mich erschreckt!«, sagt sie sittsam und verwirrt. Es ist ein Spiel, mit dem sie sich gerne die Zeit vertreibt.
»Verzeihen Sie, Mrs. Nandha.«
»Und?«, sagt Parvati.
Krishan zieht seine Brieftasche hervor und reicht Parvati einen Hundert-Rupien-Schein. »Wie haben Sie das erraten?«
»Oh, es war offensichtlich«, sagt Parvati. »Es konnte nur Govind sein. Warum hätte er sie sonst bis zu diesem üblen Haus in Brahmpur East verfolgen sollen, nur um sie zu verspotten und zu verhöhnen? Nein nein, nur ein wahrer Ehemann würde seine Frau wiederfinden, ganz gleich, was sie getan hat, und ihr verzeihen und sie nach Hause bringen. Bereits in dem Moment, als er an der Tür dieses Thai-Massage-Hauses auftauchte, wusste ich, dass er es war. Die Verkleidung als Airline-Pilot konnte mich nicht täuschen. Ihre Familie mag sie verstoßen, aber niemals ein wahrer Ehemann. Jetzt muss er sich nur noch an dem Regisseur dieser SupaSingingStar Show rächen ...«
»Khursheed.«
»Nein, der betreibt das Restaurant. Arvind ist der Regisseur. Govind wird die Gelegenheit zur Rache erhalten, falls die Chinesen ihn nicht vorher wegen dieses Casino-Projekts drankriegen.«
Krishan kapituliert und wirft die Hände hoch. Er ist kein Fan von Stadt und Land, aber er wird es sich ansehen und auf die unvorstellbar komplexe Handlungsentwicklung wetten, wenn er damit seine Klientin glücklich macht. Es ist ein seltsamer Auftrag, diese kleine Farm oben auf einem Wohnblock in der Innenstadt. Ein Kompromiss, wie es scheint. Diese Ehen zwischen Stadt und Land sind manchmal schwierig.
»Ich werde für Sie Chai kochen müssen«, sagt Parvati. Krishan beobachtet, wie sie die Treppe hinunterruft. Sie besitzt die ganze Grazie des Landes. Die Stadt für den Glanz, das Dorf für die Weisheit. Krishan denkt über ihren Ehemann nach. Er weiß, dass er Beamter ist und seine Rechnungen sofort und ohne Diskussion bezahlt. Da Krishan lediglich eine Häfte des Bildes sieht, kann er nur spekulieren, was die Beziehung, die Anziehung betrifft. Manchmal fragt er sich, wie er jemals eine Frau finden soll, wenn selbst ein Mädchen aus geringer Kaste mit einem Blick und einer Handbewegung einen soliden Mann der Mittelklasse für sich gewinnen kann. Sei ein guter Gärtner. Verdien Geld, pflanz es an, lass es zu mehr Geld wachsen. Kauf dir einen Maruti und zieh hinaus nach Lotus Gardens. Da draußen wirst du eine gute Partie finden.
»Heute«, kündigt Krishan an, als er mit seinem Chai fertig ist und das Glas auf die Holzeinfassung des Hochbeets stellt, »habe ich mir überlegt, vielleicht Bohnen und Erbsen dort drüben, als Abschirmung. Nach links ist alles offen. Und hier ein Viertelbeet für Salatgemüse in westlichem Stil. Salat im westlichen Stil ist die ganz große Sache bei Dinnerpartys. Wenn Sie Ihre Gäste bewirten, kann der Koch ihn frisch geschnitten verarbeiten.«
»Wir haben keine Gäste«, sagt Parvati. »Aber heute Abend findet ein großer Empfang drüben im Haus der Dawars statt. Ein recht bedeutendes Ereignis. Da ist es wirklich nett. So viele Bäume. Aber Mr. Nandha sagt, es sei umständlich, zu weit draußen. Zu viel Fahrerei. Ich kann hier alles haben, was sie da draußen haben, und es ist viel praktischer.«
Krishan benötigt zwei Gänge von der Straße aufs Dach, um die alten Eisenbahnschwellen aus Holz heraufzuschaffen, die er für die Einfassung der Beete benutzt. Er legt sie in grober Anordnung aus, dann schneidet und formt er die wasserdichte Folie und breitet sie aus. Parvati Nandha sitzt auf dem Rand des Tomaten- und Paprikabeets.
»Mrs. Nandha, verpassen Sie nicht die neue Folge von Stadt und Land?«, fragt Krishan.
»Nein, heute wurde sie auf halb zwölf verschoben. Es ist der letzte Tag der Testspiele gegen England.«
»Ich verstehe«, sagt Krishan, der Cricket liebt. Wenn sie geht, könnte er das Radio heraufholen. »Lassen Sie sich von mir nicht stören.« Er macht sich bereit, die Entwässerungslöcher in die Schwellen zu bohren, doch er ist sich die ganze Zeit bewusst, dass Mrs. Nandha immer noch dort sitzt und ihn beobachtet.
»Krishan«, sagt sie nach einer Weile.
»Ja, Mrs. Nandha?«
»Es ist einfach .... es ist so ein schöner Tag, und wenn ich da unten bin, höre ich all das Poltern und Hämmern von hier oben, aber ich bekomme es nie zu sehen, bevor es fertig ist.«
»Ich verstehe«, sagt Krishan, der Mali. »Sie stören mich nicht.«
Aber sie stört ihn doch.
»Mrs. Nandha«, sagt er, während er die letzte Eisenbahnschwelle verbolzt. »Ich glaube, Sie verpassen Ihre Sendung.«
»Wirklich?«, sagt Nandha Parvati. »Oh, ich habe gar nicht bemerkt, wie die Zeit vergangen ist. Kein Grund zur Sorge, ich kann mir die Wiederholung im Vorabendprogramm ansehen.«
Krishan schleppt einen Sack mit Kompost heran, schlitzt ihn mit dem Gärtnermesser auf und lässt die schwere braune Erdnahrung durch seine Finger auf das Dach rieseln.
Der Hund brennt mit abscheulichem öligem Rauch. Jashwant der Jain steht mit geschlossenen Augen da, vor ihm sein Besenjunge. Ob er sie zum Gebet oder vor Wut geschlossen hat, kann Mr. Nandha nicht sagen. Innerhalb weniger Momente hat sich der Hund in einen hell leuchtenden kleinen Feuerball verwandelt. Die anderen Hunde wuseln weiter kläffend um Mr. Nandhas Füße herum. Mit ihren kleinen programmierten Obsessionen sind sie zu dumm, die Gefahr zu erkennen.
»Sie sind ein gemeiner, grausamer Mann«, sagt Jashwant der Jain. »Ihre Seele ist schwarz wie Anthrazit, und Sie werden niemals das Licht des Moksha erreichen.«
Mr. Nandha schürzt die Lippen und richtet seine Waffe auf ein neues Ziel, einen Cartoon-Scoobi mit schwermütigen Augen und gelb-braun geschecktem Fell. Als das Ding die Aufmerksamkeit spürt, wedelt es mit dem Schwanz und watschelt mit hängender Zunge durch das hektische Gewimmel der Roboterhunde auf Mr. Nandha zu. Mr. Nandha betrachtet Tierschutzorganisationen als lächerliche soziale Affektiertheit. Varanasi kann seine Kinder nicht ernähren, ganz zu schweigen von seinen ausgesetzten Katzen und Hunden. Heime für Cybertiere lösen in ihm eine noch viel tiefere Verachtung aus.
»Sadhu«, sagt Mr. Nandha. »Was wissen Sie über ein Unternehmen namens Odeco?«
Es ist nicht das erste Mal, dass sich das Ministerium an das Mahavira Compassion Home for Artificial Life wendet. Im Jainismus wird eine lebhafte Debatte geführt, ob Cyberhaustiere und Künstliche Intelligenzen eine Seele haben oder nicht. Jashwant jedoch ist alte Schule, ein Digambara. Alles, was lebt, sich bewegt, isst und sich fortpflanzt, ist Jiva. Wenn die Kinder also genug von ihrem Cyber-Scoobi haben und der Cyberwachhund »Treuer Freund« achtzehnmal pro Nacht die Polizei ruft, gibt es neben den Müllhaufen von Ramnagar noch eine andere Zuflucht. Auch gejagte Kaihs finden hier immer wieder Unterschlupf. Mr. Nandha und seine Avatare waren in den letzten drei Jahren zweimal hier, um Massenexkommunikationen durchzuführen.
Jashwant hat draußen vor dem verwahrlosten Lagerhaus aus gepresstem Aluminium im Geschäftsviertel von Janpur auf ihn gewartet. Jemand oder etwas hat ihn gewarnt. Mr. Nandha wird hier nichts mehr finden. Als Jashwant vortrat, um den Mann vom Ministerium zu begrüßen, entfernte sein Feger, ein zehnjähriger Junge, eifrig mit einem langstieligen Besen Insekten und kriechende Tiere vom Weg des heiligen Mannes. Als Digambara trägt Jashwant keine Kleidung. Er ist ein großer Mann mit viel Fett um die Körpermitte, und er hat ständige Blähungen von seiner heiligen kohlehydratreichen Diät.