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Krishan Kudrati lächelt im Halbschlaf unter dem Kletterhibiscus. Ein dunklerer Schatten fällt auf seine geschlossenen Lider, gefolgt von einem kühlen Hauch. Er öffnet die Augen. Parvati Nandha steht über ihm und blickt auf ihn herab.

»Ich sollte Sie wirklich tadeln, dass Sie während der Arbeit schlafen.«

Krishan blickt auf die Uhr seines Radios. Er hat noch zehn Minuten Zeit, aber er setzt sich auf und schaltet das Radio aus. Die Spieler sind beim Mittagessen, und Ram Sagar Singh stöbert in seinem Wissensschatz aus Cricket-Fakten.

»Ich wollte nur hören, wie Sie meine neuen Armreifen für den Empfang heute Abend finden«, sagt Parvati, wie eine Tänzerin mit einer Hand an der Hüfte, während sie mit der anderen vor ihm herumwedelt.

»Wenn Sie stillhalten, kann ich vielleicht etwas erkennen.«

Metall fängt das Licht auf und überwältigt Krishan. Instinktiv streckt er die Hand aus. Ohne nachzudenken, schließt er sie um ihr Handgelenk. Die Erkenntnis betäubt ihn für einen Moment. Dann lässt Krishan wieder los.

»Das ist sehr schön«, sagt er. »Ist das Gold?«

»Ja«, sagt Parvati. »Mein Ehemann liebt es, mir Gold zu kaufen.«

»Ihr Ehemann ist sehr gut zu Ihnen. Sie werden der Star Nummer eins auf dieser Party sein.«

»Danke.« Parvati senkt den Kopf, als sie sich plötzlich für ihre Dreistigkeit schämt. »Sie sind sehr freundlich zu mir.«

»Nein, ich spreche nur die schlichte Wahrheit aus.« Die Sonne und der schwere Geruch der Erde machen Krishan mutig. »Verzeihen Sie mir, aber ich glaube, das bekommen Sie nicht so oft zu hören, wie Sie es hören sollten.«

»Sie sind ein äußerst dreister Mann!«, tadelt Parvati, doch sogleich wird sie wieder sanfter. »Hören Sie das Cricketspiel?«

»Das zweite Testpiel von Patna. Wir stehen bei zweihundertacht für fünf.«

»Von Cricket verstehe ich nichts«, sagt Parvati. »Das Spiel erscheint mir sehr komplex und schwierig zu gewinnen.«

»Wenn man einmal die Regeln und Strategien verstanden hat, ist es die faszinierendste Sportart überhaupt«, sagt Krishan. »Für die Engländer ist es das, was Zen am nächsten kommt.«

»Ich sollte darüber Bescheid wissen. Bei diesen gesellschaftlichen Empfängen wird ständig darüber geredet. Dann komme ich mir immer sehr dumm vor, weil ich danebenstehe und nichts dazu sagen kann. Ich mag keine Ahnung von Politik oder Wirtschaft haben, aber vielleicht wäre ich imstande, Cricket zu lernen. Vielleicht könnten Sie es mir beibringen.«

Mr. Nandha fährt durch New Varanasi und hört Dido und Aeneas in einer Aufnahme des English Chamber Orchestra, das Mr. Nandha wegen seiner rauen Umsetzung des Englischen Barock bemerkenswert findet. Am Rand seiner Wahrnehmungssphäre schwebt wie ein Gerücht vom Monsun das abendliche Durbar bei den Dawars. Ein Vorwand, nicht hingehen zu müssen, wäre ihm willkommen. Mr. Nandha befürchtet, dass Sanjay Dawar die glückliche Empfängnis eines Erben verkünden wird. Eines Brahmanen, wie er vermutet. Das wird Parvati veranlassen, erneut das alte Thema zur Sprache zu bringen. Er hat ihr wiederholt seinen Standpunkt klargemacht, aber sie hört nur, dass er ein Mann ist, der mit ihr keine Kinder zeugen will. Das deprimiert Mr. Nandha.

Ein Misston in seinem Hörzentrum: ein Anruf von Morva von der Steuerfahndung. Von allen Mitarbeitern des Ministeriums ist Morva der Einzige, dem Mr. Nandha Respekt entgegenbringt. Die Zusammenstellung belastender Dokumente hat eine besondere Schönheit und Eleganz. Es ist die reinste und heiligste Form der Detektivarbeit. Morva verlässt niemals sein Büro, muss sich niemals auf der Straße behaupten, droht niemals mit Gewalt und trägt keine Waffe, aber seine Gedanken reichen von seinem Schreibtisch im zwölften Stock in die gesamte weite Welt hinaus. Dazu sind nur ein paar Bewegungen der Hände und Augen nötig. Reiner körperloser Intellekt, während er von einer Strohfirma zu einem Steuerparadies huscht, von einer Offshore-Datenoase zu einem Treuhandkonto. Die Abstraktion seiner Arbeit begeistert Mr. Nandha: Entitäten ohne jegliche physische Struktur. Der reine Fluss, die Bewegung des immateriellen Geldes durch winzige Informationscluster.

Er hat Odeco aufgespürt. Es handelt sich um eine geheimniskrämerische Investmentfirma, die in einer karibischen Steueroase Zuflucht gefunden hat und Mega-Dollars in visionäre Forschungsprojekte steckt. Zu ihren Investitionen in Bharat gehörten das Institut für Künstliche Intelligenz an der University of Bharat in Varanasi, die Forschungs- und Entwicklungsabteilung von Ray Power und verschiedene Darwinware-Treibhäuser, die am Rande der Legalität Kaihs niedrigster Stufe züchten. Nicht die Kaih, die aus dem Hinterhof-Wettprojekt von Tikka-Pasta ausbrach und Amok lief, denkt Mr. Nandha. Nicht einmal ein Hochrisikounternehmen wie Odeco würde es wagen, mit den Sundarbans Geschäfte zu machen.

Die Amerikaner fürchten diese Dschungelcamps, wie sie alles außerhalb ihrer Landesgrenzen fürchten, und arbeiten mit Mr. Nandha und seinesgleichen zusammen, um ihren endlosen Krieg gegen die wilden Kaihs zu führen. Gleichzeitig empfindet Mr. Nandha große Bewunderung für die Datenrajas. Sie haben Tatkraft und Unternehmungsgeist. Sie sind stolz und haben sich einen Namen in der Welt gemacht. Die Sundarbans von Bharat und den States of Bengal, Bangalore und Mumbai, New Delhi und Hyderabad finden globalen Widerhall. Sie sind das Domizil der mythischen »Generation Drei«, Kaihs mit Überintelligenz, die so hoch wie Götter über den Menschen stehen.

Der Badrinath-Sundarban beansprucht räumlich ein bescheidenes Apartment im fünfzehnten Stock an der Vidyapeeth Road. Die Nachbarn des Datenrajas Radhakrishna dürften nicht im Mindesten ahnen, dass nebenan zehntausend kybernetische Devis wohnen. Als er sich durch die Mopeds zum Parkplatz hupt, ruft Mr. Nandha seine Avatare auf. Jashwant wurde gewarnt. Datenrajas haben zahlreiche Fühler, die auf jede Vibration im globalen Netz reagieren, so dass sie beinahe hellsichtig scheinen. Als Mr. Nandha den Wagen verschließt, beobachtet er, wie sich die Straßen und die Skyline mit Göttern füllen, die riesig wie Berge sind. Shiva überprüft den drahtlosen Verkehr, Krishna das Extra- und Intranet, Kali hebt ihren Säbel über die Satellitenschüsseln von New Varanasi, um alles niederzumähen, was sich aus Badrinath hinauskopieren will. Schaden ist uns Freude und Bosheit unsere Kunst, singt der Chor des English Chamber Orchestra.

Dann wird alles weiß. Ein Ansturm statischen Rauschens. Die Götter werden von der Skyline getilgt. Dido und Aeneas bricht mitten im Continuo ab. Mr. Nandha reißt sich den Hoek vom Ohr.

»Platz machen, Platz machen!«, schreit er die Passanten an. Während seiner ersten Woche beim Ministerium erlebte Mr. Nandha leibhaftig einen ausgewachsenen EM-Puls. Die Signatur ist eindeutig. Als er die Stufen zum Foyer hinaufstürmt und mit seinem stotternden Palmer Polizeiunterstützung anfordert, glaubt er etwas zu sehen, das zu groß für einen Vogel ist und zu klein für ein Flugzeug. Es springt vom Apartmentgebäude empor und verschwindet im leuchtenden Nachthimmel von Varanasi. Sekunden später explodiert die Fensterfront des fünfzehnten Stocks in einem Feuerball.

»Laufen Sie, flüchten Sie!«, ruft Mr. Nandha, als die rauchenden Trümmer auf die Gaffer herabregnen, aber der einzige große, erdrückende Gedanke in seinem Kopf ist, dass er es jetzt nicht mehr schaffen wird, seinen Anzug von Mukherjee abzuholen.

13

Shaheen Badoor Khan, Najia

Premierministerin Sajida Rana trägt heute Gold und Grün. Ihr Kabinett weiß, dass es um Angelegenheiten des nationalen Stolzes geht, wenn sie in den Farben der Flagge erscheint. Sie steht am Ostende des langen Teaktischs im lichten Kabinettzimmer aus Marmor in der Bharat Sabha.