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An der Wand reihen sich goldgerahmte Ölgemälde von Vorgängern und politischen Vorbildern aneinander. Ihr Vater Diljit Rana in seiner Richterrobe, der Vater der Nation. Ihr Großvater Shankar Rana im Seidengewand eines englischen Kronanwalts. Jawarhalal Nehru, unnahbar und leicht furchteinflößend in seinem niedlichen Anzug, als hätte er den Preis gesehen, den künftige Generationen für seinen schnellen, schmutzigen Deal mit Mountbatten würden zahlen müssen. Der Mahatma, der Vater von allen, mit Reisschale und Spinnrad. Lakshmi Bai, die kriegerische Rani, die in den Steigbügeln ihres Pferdes der Kavallerie von Maratha steht und den Angriff auf Gwalior befehligt. Und die Autokraten jener anderen mächtigen indischen Dynastie, die den Namen Gandhi teilt: Sonia, der ermordete Rajiv, die Märtyrerin Indira, Mutter Indien.

Die Marmorwände und -decken des Kabinettzimmers wurden als filigranes Kunstwerk der Hindu-Mythologie ausgearbeitet. Doch die Akustik ist trocken und hallend. Jedes Flüstern wird verstärkt. Sajida Rana legt die Hände auf das polierte Teakholz, stützt sich darauf und nimmt die Haltung eines Kämpfers an.

»Können wir es überleben, wenn wir Awadh angreifen?«

Verteidigungsminister V. S. Chowdhury wendet ihr die trüben Raubvogelaugen zu.

»Bharat wird überleben. Varanasi wird überleben. Varanasi ist ewig.«

Im hallenden Saal kommt kein Zweifel auf, was er damit meint.

»Können wir sie besiegen?«

»Nein. Wir können es nicht einmal hoffen. Sie haben gesehen, wie Shrivastava und McAuley sich im Weißen Haus die Hände geschüttelt haben, um den Status einer meistbegünstigten Nation zu besiegeln.«

»Als Nächstes wird das Shanker Mahal an der Reihe sein«, sagt Energieminister Vajubhai Patel. »Die Amerikaner haben Ray Power gründlich beschnuppert. Die Awadhis müssen gar nicht einmarschieren, sie können uns einfach aufkaufen. Nach meinen letzten Informationen ist der alte Ray zum Manikarna Ghat hinuntergegangen, um sein Surya Namaskar darzubringen.«

»Und wer leitet jetzt den verdammten Laden?«, fragt Chowdhury.

»Ein Astrophysiker, ein Verpackungsverkäufer und ein selbsternannter Comedian.«

»Gott steh uns bei, wir sollten unverzüglich kapitulieren«, murmelt Chowdhury.

»Ich kann nicht glauben, was ich an diesem Tisch höre«, sagt Sajida Rana. »Wie alte Frauen an der Wasserpumpe. Das Volk will einen Krieg.«

»Das Volk will Regen«, sagt Biswanath steif, der Minister für Umweltangelegenheiten. »Das ist alles, was es will. Den Monsun.«

Sajida Rana wendet sich an ihren vertrauenswürdigsten Assistenten. Shaheen Badoor Khan hat sich im Marmor verloren. Seine Aufmerksamkeit wird von vulgären heidnischen Gottheiten verführt, die gegenseitig über ihre Körper hinwegkriechen, die Wände hinauf und quer über das Dach. Dann löscht er mental die krasseren Konturen aus, die skulptierten Kegel der Brüste, das derb vorstehende Linga, und reduziert sie zu einer verwischten Androgynie aus Marmorhaut, die in- und durcheinander- und aus sich selbst herausfließt. Sein geistiges Auge springt zur Rundung eines Wangenknochens, zu einem elegant gebogenen Nacken, einer glatten perfekten Kurve aus haarloser Kopfhaut, die er in einem Flughafenkorridor erspäht hat.

»Mr. Khan, was haben Sie in Bengalen gehört?«

»Hirngespinste«, sagt Shaheen Badoor Khan. »Wie immer wollen die Banglas demonstrieren, dass sie eine Hightech-Lösung für ein Problem entwickeln können. Der Eisberg ist eine PR-Aktion. Sie sind fast genauso durstig wie wir.«

»Genauso ist es.« Jetzt spricht Innenminister Ashok Rana. Für Shaheen Badoor Khan ist Vetternwirtschaft kein Thema, aber man hätte wenigstens danach streben sollen, den Mann auf einen geeigneten Posten zu setzen. Unter dem Vorwand, ein Argument vorzubringen, wird Ashok eine kurze Rede halten, mit der er die Politik seiner Schwester unterstützt, wie auch immer diese orientiert sein mag. »Was das Volk braucht, ist Wasser, und wenn dazu ein Krieg nötig ist ...«

Shaheen Badoor Khan stößt einen sehr leisen Seufzer aus, gerade laut genug, dass der Bruder ihn wahrnimmt. Verteidigungsminister Chowdhury schaltet sich ein. Er hat eine helle und quengelige Stimme, die sich mit unangenehmen Resonanzen von den zankenden Marmor-Apsaras vermischt.

»Die Strategische Entwicklungsabteilung der Landstreitkräfte empfiehlt einen direkten Präventivschlag gegen den Damm. Wir schicken auf dem Luftweg einen kleinen Kommandotrupp los, besetzen den Damm, halten ihn bis zum letzten Moment und ziehen uns dann über die Grenze zurück. In der Zwischenzeit setzen wir die Vereinten Nationen unter Druck, damit der Damm unter die Kontrolle einer internationalen Friedenstruppe gestellt wird.«

»Falls die Amerikaner nicht vorher zu Sanktionen aufrufen«, wirft Shaheen Badoor Khan ein. Ein zustimmendes Gemurmel geht um den langen dunklen Tisch.

»Zurückziehen?«, fragt Ashok Rana fassungslos nach. »Unsere tapferen Jawans führen einen mächtigen Schlag gegen Awadh aus, um gleich darauf die Flucht zu ergreifen? Wie wird man das auf den Straßen von Patna aufnehmen? Hat diese Strategische Entwicklungsabteilung nicht den geringsten Izzat?«

Shaheen Badoor Khan spürt, wie sich das Klima im Raum verändert. Dieses Gerede von Stolz und tapferen Soldaten und Feigheit bewegt die Anwesenden. »Falls ich meine Meinung vorbringen darf ...«, sagt er in die absolute, hallende Stille hinein.

»Ihre Meinung ist hier stets willkommen«, sagt Sajida Rana.

»Ich glaube, dass die größte Gefahr für unsere Regierung von den inszenierten Demonstrationen am Sarkhand Roundabout ausgeht und nicht von unseren Auseinandersetzungen mit Awadh«, erklärt er vorsichtig. Auf beiden Seiten des Tisches wird Widerspruch laut. Als Sajida Rana die Hand hebt, kehrt wieder Ruhe ein.

»Fahren Sie fort, Sekretär Khan.«

»Ich sage nicht, dass es keinen Krieg geben wird, obwohl ich glaube, dass hier allen klar ist, welche Position ich zu aggressiven Maßnahmen gegenüber Awadh einnehme.«

»Die weibliche Position«, sagt Ashok Rana und flüstert seinem Assistenten zu: »Die muslimische Position.«

»Ich rede hier von Gefahren für unsere Regierung, und die größte Bedrohung, mit der wir es zu tun haben, geht offensichtlich von der inneren Zwietracht und den Unruhen aus, die von der Shivaji geschürt werden. Solange unsere Partei die breite Unterstützung des Volkes für jedwede militärische Aktion gegen Awadh hat, wird dieses Kabinett diplomatische Verhandlungen befürworten. Wir sind uns einig, dass militärische Schlagkraft ausschließlich ein Werkzeug ist, mit dem wir die Awadhis an den Verhandlungstisch bringen können, trotz des hohen Stellenwerts, den Ashok unserer militärischen Leistungsfähigkeit beimisst.« Shaheen Badoor Khan hält Ashok Ranas Blick lange genug stand, um ihm klarzumachen, dass er ein Idiot ist, dessen Stellung seine Kompetenz übersteigt. »Doch wenn die Awadhis und ihre amerikanischen Schutzherren eine politische Alternative sehen, die in Bharat breite populäre Unterstützung hat, wird N. K. Jivanjee sich als großer Friedensstifter präsentieren. Der Mann, der den Krieg verhinderte, der den Ganges wieder fließen ließ und den stolzen Ranas trotzte, die Schande über Bharat brachten. Wir werden diesen Raum für die Dauer einer Generation nicht mehr von innen sehen. Das ist es, was hinter der Inszenierung um den Sarkhand Roundabout steht. Es geht nicht um die moralische Empörung der Aufrichtigen Hindutva von Bharat. Jivanjee will den Mob gegen uns aufbringen. Er wird auf seinem Triumphwagen des Jagannath über den Chandni Boulevard bis in dieses Kabinettszimmer fahren.«

»Gibt es irgendeinen Grund, um ihn verhaften zu lassen?«, fragt Außenminister Dasgupta.

»Steuerrückstände?«, schlägt Vipul Narvekar vor, der Assistent von Ashok Rana, womit er amüsiertes Gemurmel auslöst.