»Ich habe einen Vorschlag«, sagt Shaheen Badoor Khan. »Wir geben N. K. Jivanjee, was er haben will, aber nur, wenn wir wollen, dass er es bekommt.«
»Erklären Sie das bitte, Mr. Khan.« Jetzt beugt sich Premierministerin Rana interessiert vor.
»Ich sage: Wir lassen ihm seinen Willen. Er soll seine Million standhafter Anhänger zusammenrufen. Er soll seinen Kriegswagen rollen lassen, während seine Shivajis hinter ihm tanzen. Er soll die Stimme der Hindutva sein, er soll seine kriegstreiberischen Reden halten und an den verletzten Stolz Bharats appellieren. Er soll das Land in den Krieg treiben. Wenn wir uns als Tauben darstellen, macht ihn das zum Falken. Wir wissen, dass er einen Mob zu Gewalttätigkeiten aufhetzen kann. Das ließe sich gegen die Awadhis in den Grenzstädten richten. Sie werden sich schutzsuchend an Delhi wenden, und die ganze Sache wird eskalieren. Mr. Jivanjee muss nicht überredet werden, seine Rath Yatra bis hinauf zum Kunda-Khadar-Damm zu jagen. Die Awadhis werden zurückschlagen, und dann rücken wir als die verletzte Partei ein. Die Shivajis werden als diejenigen diskreditiert, die die ganze Sache angezettelt haben, die Awadhis werden mit ihren amerikanischen Freunden in die Defensive gedrängt, und wir gehen als die Garanten für Vernunft, Besonnenheit und Diplomatie an den Verhandlungstisch.«
Sajida Rana erhebt sich von ihrem Platz.
»Subtil wie stets, Sekretär Khan.«
»Ich bin nur ein Staatsdiener ...« Shaheen Badoor Khan neigt bescheiden den Kopf, aber er fängt Ashok Ranas Blick auf. Der Mann ist wütend.
Chowdhury meldet sich zu Wort. »Bei allem Respekt, Sekretär Khan, aber ich glaube, Sie unterschätzen den Willen des Volkes von Bharat. Bharat ist viel mehr als Varanasi und die Probleme mit den Metrostationen. Ich weiß, dass wir in Patna einfache, patriotische Menschen sind. Dort ist jeder der Überzeugung, dass ein Krieg die öffentliche Meinung einigen und N. K. Jivanjee an den Rand drängen wird. Es ist eine gefährliche Taktik, sich in Zeiten nationaler Gefahren auf subtile Spiele einzulassen. Durch uns fließt derselbe Ganges wie durch Sie, und Sie sind hier nicht die Einzigen, die unter Durst leiden. Es ist, wie Sie gesagt haben, Premierministerin: Das Volk braucht einen Krieg. Ich will nicht in den Krieg ziehen, aber ich glaube, dass wir es tun müssen. Und wir müssen schnell und als Erste zuschlagen. Dann verhandeln wir aus einer Position der Stärke, und wenn wieder Wasser in den Pumpen ist, wird man Jivanjee und seine Karsevaks als Pöbel durchschauen. Premierministerin, wann haben Sie jemals die Stimmung des Volkes von Bharat falsch eingeschätzt?«
Nicken, zustimmendes Brummen. Erneut schlägt das Klima um. Sajida Rana steht am Kopfende des Tisches mit ihren Ministern, blickt auf die Reihe ihrer Vorfahren und Vorbilder, wie Shaheen Badoor Khan es schon bei vielen Kabinettssitzungen erlebt hat. Sie wird sie nun aufrufen, die Entscheidung zu unterstützen, die sie für Bharat treffen wird.
»Ich habe Sie verstanden, Mr. Chowdhury, aber was Mr. Khan vorschlägt, hat etwas für sich. Ich bin gewillt, es zu versuchen. Ich lasse zu, dass N. K. Jivanjee uns die Arbeit abnimmt, während unsere Armee in Bereitschaft bleibt und innerhalb von drei Stunden mobilisiert werden kann. Meine Herren, schicken Sie Ihre Berichte bis sechzehn Uhr an mein Büro, und ich werde meine Weisungen um siebzehn Uhr verteilen. Vielen Dank. Die Sitzung ist geschlossen.«
Das Kabinett und die Berater erheben sich, während Sajida Rana mit wehenden Nationalfarben hinausschreitet, gefolgt vom Stab ihrer Sekretäre. Sie ist eine große, schlanke, eindrucksvolle Frau ohne eine Spur von Grau im Haar, obwohl die Geburt ihres ersten Enkelkindes unmittelbar bevorsteht. Shaheen Badoor Khan nimmt einen Hauch von Chanel wahr, als sie vorbeirauscht. Er wirft einen Blick auf die Sexgottheiten, die über Wände und Decke kriechen, und unterdrückt ein Erschaudern.
Im Korridor berührt ihn jemand am Ärmeclass="underline" der Verteidigungsminister.
»Mr. Khan.«
»Ja. Was kann ich für Sie tun, Minister?«
Chowdhury zieht Shaheen Badoor Khan in eine Fensternische. Der Minister beugt sich vor und sagt leise und ohne Betonung: »Eine erfolgreiche Sitzung, Mr. Khan, aber ich möchte Sie an Ihre eigenen Worte erinnern. Sie sind nicht mehr als ein Staatsdiener.«
Er klemmt sich die Aktentasche unter den Arm und eilt durch den Korridor davon.
Verkatert vom Blutrausch wacht Najia Askarzadah recht spät in ihrer Backpacker-Koje im Imperial International auf. Auf der Suche nach Chai wankt sie in die Gemeinschaftsküche, an den Australiern vorbei, die sich darüber beklagen, wie flach die Landschaft ist und dass es hier keinen anständigen Käse gibt. Sie schenkt sich ein Glas ein und kehrt in ihr Zimmer zurück, von Gräueln geplagt. Sie erinnert sich daran, wie sich die Mikrosäbler aufeinanderstürzten und sie mit der Menge aufgesprungen ist und nach Blut geschrien hat. Ein so niederträchtiges und schmutziges Gefühl hat sie noch nie empfunden, auch nicht von Drogen oder Sex, aber sie ist süchtig danach.
Najia hat viel über ihre Affinität zu Gefahr nachgedacht. Ihre Eltern haben sie als Schwedin großgezogen, mit toleranter Bildung, sexueller Freizügigkeit und westlicher Orientierung. Sie haben keine Fotos ins Exil mitgenommen, keine Souvenirs, weder ihre Sprache noch einen Sinn für Geographie. Das einzige Afghanische an Najia Askarzadah ist ihr Name. Das Werk ihrer Eltern war so gut gelungen, dass Najias Ahnungslosigkeit bis zu ihrem ersten Semester an der Universität anhielt. Als ihr Tutor vorschlug, sie sollte für einen Essay über die afghanische Politik der Nachbürgerkriegszeit recherchieren, wurde Najia mit einem Mal bewusst, dass sie eine komplette verschüttete Identität besaß. Diese Identität öffnete sich unter Najia Askarzadah, der kleinen polysexuellen Skandinavierin, die Geisteswissenschaften studierte, und verschluckte sie in den drei Monaten, in denen der Essay zur Grundlage ihrer späteren Abschlussarbeit wurde. Es gab ein Leben, das sie hätte führen können, und ihre bisherige Karriere war das Vorspiel dazu. Bharat am Rande eines Wasserkrieges ist die Vorbereitung auf ihre Rückkehr nach Kabul.
Sie sitzt auf der angenehm kühlen Veranda des Imperial und sieht ihre Mails durch. Dem Magazin hat ihre Story gefallen. Sogar sehr. Man will ihr achthundert Dollar dafür bezahlen. Sie sendet den unterschriebenen Vertrag zurück in die USA. Ein weiterer Schritt auf dem Weg nach Kabul, aber nur ein Schritt. Sie muss ihre nächste Story planen. Es wird eine politische Geschichte sein. Als Nächstes wird sie Sajida Rana interviewen. Alles andere tritt hinter Sajida Rana zurück. Unter welchem Thema soll es stehen? Von Frau zu Frau. Premierministerin Rana, Sie sind Politikerin, Staatsoberhaupt, eine dynastische Gestalt in einem Land, das wegen eines Kreisverkehrs gespalten ist, in dem Männer so verzweifelt eine Ehefrau suchen, dass sie die Mitgift zahlen, wo Monsterkinder, die halb so langsam altern wie der menschliche Durchschnitt, die Privilegien und Bedürfnisse von Erwachsenen entwickeln, bevor sie biologisch zehn geworden sind. Ein Land, das Durst leidet und kurz davorsteht, deswegen einen Krieg zu beginnen. Doch in erster Linie sind Sie eine Frau in einer Gesellschaft, in der Frauen Ihrer Klasse und Ausbildung hinter einer neuen Purdah verschwunden sind. Was hat Sie dazu befähigt, praktisch im Alleingang diesem seidenen Käfig der Wertschätzung zu entfliehen?
Nicht schlecht. Najia klappt ihren Palmer auf. Sie will den Text gerade eintippen, als das Gerät piept. Das ist bestimmt Bernard. Nicht sehr tantramäßig, in eine Kampfarena zu gehen. Auch nicht sehr tantramäßig, mit einem anderen Mann auszugehen. Nicht dass er besitzergreifend wäre, also muss er ihr nichts verzeihen, aber sie muss sich die Frage stellen: Wird es mich auf meinem Weg zum Samadhi weiterbringen?
»Bernard«, sagt Najia Askarzadah, »verpiss dich. Ich mein’s ernst. Ich dachte, du wärst nicht eifersüchtig. Oder ist das nur etwas, das du allen Frauen sagst, genauso wie dieses tantrische Ding mit deinem Schwanz?«