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»In der Tat«, sagt Shaheen Badoor Khan. »Wirklich ein Glückskind.«

Der Mann verzieht das Gesicht. »Darin kann ich Ihnen nicht beipflichten, Sir. Ich habe ein großes Problem mit der Geneline-Therapie.«

»Warum das?«

»Es ist ein Rezept für Revolution.«

Shaheen Badoor Khan staunt über die Heftigkeit dieser Antwort.

»Das Letzte, was Bharat braucht«, fährt der Mann fort, »ist eine neue Kaste. Auch wenn sie sich als Brahmanen bezeichnen, sind sie vielmehr die waren Unberührbaren.« Er besinnt sich. »Verzeihen Sie mir, ich weiß gar nichts über Sie, schließlich ...«

»Zwei Söhne«, sagt Shaheen Badoor Khan. »Auf die althergebrachte Weise. Sicher an der Universität untergekommen, Gott sei gelobt, wo sie sich zweifellos jeden Abend mit solchen Themen beschäftigen, auf der Suche nach heiratsfähigem Material.«

»Wir sind eine deformierte Gesellschaft«, sagt der Mann.

Shaheen Badoor Khan fragt sich, ob dieser Mann ein Djinn ist, der ihn prüfen soll, weil er mit allem, was er sagt, Shaheen aus dem Herzen spricht. Er hat sich an ein jungverheiratetes Paar erinnert, mit blendenden Karriereaussichten, auf einem leuchtenden Lebensweg, die Eltern so stolz, so begeistert von ihren Kindern. Und natürlich die Enkelkinder, die Enkelsöhne. Man hat alles bis auf das eine — einen Sohn. Ein einziger Sohn wäre mehr als genug. Dann die Termine bei den Ärzten, die sie nie hatten sehen wollen, und die Familien, die über den Ergebnissen grübelten. Dann die bitteren kleinen Pillen und die blutigen Tage. Shaheen Badoor Khan kann nicht mehr zählen, wie viele Töchter er schon fortgespült hat. Seine Hände haben die Gliedmaßen der Gesellschaft von Bharat verstümmelt.

Er würde sich gern weiter mit dem Mann unterhalten, aber dessen Aufmerksamkeit wird von der Party in Anspruch genommen. Shaheen folgt seinem Blick: Die Frau, über die sich Bilquis lustig gemacht hat, das gutaussende Mädchen vom Land, bewegt sich durch die aufgeregte Menge. Die Ankunft der Diva steht unmittelbar bevor.

»Meine Frau«, sagt der Mann. »Mein letzter Aufruf. Bitte entschuldigen Sie mich. Es war mir ein Vergnügen, Sie kennengelernt zu haben.« Er stellt seinen Champagner auf den Boden und geht zu ihr. Applaus, als Mumtaz Haq auf die Bühne tritt. Sie lächelt und lächelt und lächelt ihr Publikum an. Ihr erstes Lied an diesem Abend wird eine Hommage an die großzügigen Gastgeber sein, die Hoffnung auf Glück, langes Leben und Wohlstand für ihr anmutiges Kind. Die Musiker spielen auf. Shaheen Badoor Khan geht.

Seiner erhobenen Hand gelingt es nicht, eines der vereinzelten Taxis in diesem Vorort anzuhalten, wo jeder einen eigenen Wagen hat. Ein Phatphat trommelt vorbei, wendet an einer Lücke im betonierten Mittelstreifen und fährt an den Straßenrand. Shaheen Badoor Khan geht darauf zu, doch dann dreht der Fahrer den Gashebel und rattert davon. Shaheen Badoor Khan erspät eine dunkle Gestalt in voluminöser Kleidung unter dem Plastikdach. Das Phatphat überquert erneut den Mittelstreifen, tuckert auf Shaheen Badoor Khan zu. Ein Gesicht blickt aus der Blase, ein elegantes, fremdartiges, feenhaftes Gesicht. Wangenknochen werfen Schatten. Licht glitzert auf der haarlosen, mit Glimmer bestäubten Kopfhaut.

»Sie können sehr gern mitfahren.«

Shaheen Badoor Khan schreckt zurück, als hätte ein Djinn seinen geheimen Seelennamen gerufen.

»Nicht hier, nicht hier«, flüstert er.

Das Neut blinzelt mit den Augen, ein langsamer Kuss. Der Motor heult auf, das kleine Phatphat fädelt sich wieder in den Nachtverkehr ein. Straßenlicht spiegelt sich auf Silber am Hals des Neut, einem Shiva-Trishul.

»Nein«, fleht Shaheen Badoor Khan. »Nein.«

Er ist ein Mann mit Verantwortung. Seine Söhne sind erwachsen geworden und ausgezogen, seine Frau ist für ihn seit Jahren fast wie eine Fremde, aber es gibt einen Krieg, eine Dürre, eine Nation, um die er sich kümmern muss. Doch die Anweisungen, die er dem Maruti-Fahrer gibt, der endlich anhält, beziehen sich nicht auf das Khan-Haveli. Er fährt zu einem anderen Ort, einem ganz besonderen Ort. Einem Ort, von dem er gehofft hatte, ihn nie wieder aufsuchen zu müssen. Auch wenn die Hoffnung nur klein war. Zu dem besonderen Ort geht es eine Gali hinunter, die zu schmal für Fahrzeuge ist und von kunstvoll gearbeiteten Jharokhas aus Holz und ramponierten Klimaanlagen überragt wird. Shaheen Badoor Khan öffnet die Taxitür und tritt hinaus in eine andere Welt. Sein Atem geht flach und zitternd. Da. Im kurzen Licht einer sich öffnenden und schließenden Tür sieht er zwei Silhouetten, zu schlank, zu elegant, zu feenhaft für die ordinäre Menschheit.

»Oh«, ruft er leise. »Oh.«

14

Thal

Thal rennt. Eine Stimme aus dem Taxi ruft sys Namen. Ys blickt sich nicht um. Ys bleibt nicht stehen. Ys rennt, und hinter ys bläht sich der Schal in verwischtem ultrablauem Paisleymuster. Hupen ertönen, plötzlich auftauchende Gesichter schreien Beleidigungen; Schweiß und Zähne. Thal schreckt vor einem Beinahe-Zusammenstoß mit einem kleinen schnellen Ford zurück, Musik wumm-wumm-wummt. Ys fährt herum, weicht dem schockierenden Tröten von Lastwagenhupen aus, schlüpft zwischen einem ländlichen Pick-up und einem Bus hindurch, der von einer Haltestelle abfährt. Thal bleibt für einen Moment auf dem Mittelstreifen stehen, um zurückzublicken. Die Blase des Taxis schnurrt immer noch über den Fußgängerweg. Dort steht eine Gestalt, im Licht der Scheinwerfer erkennbar. Thal stürzt sich in den stählernen Fluss.

An diesem Morgen versuchte Thal sich zu verstecken, hinter Arbeit, hinter einer riesigen Wraparound-Piloten-Sonnenbrille, hinter dem heftigsten Kater seines Lebens, aber jeder musste vorbeikommen und den neuesten Tratsch über die waaahnsinnigen Leute auf der waaahnsinnigen Party erfahren. Selbst die coolen Typen umkreisten Thals Workstation. Natürlich fragten sie nicht direkt, sondern suchten nach Hinweisen und Mutmaßungen. Die Tratschnetze waren voll davon, auch die Nachrichtenkanäle, und sogar die Schlagzeilendienste sendeten Bilder von der Nacht an Palmer in ganz Bharat. Auf einem davon zwei Neuts, die auf dem Floor abgehen, von A-Promis bejubelt und beklatscht.

Dann brach hinter Thals Augen ein neuraler Kunda Khadar, und alles quoll wieder in sys Bewusstsein. Jedes. Winzige. Detail. Das Gefummel im Taxi, das Gemurmel im Flughafenhotel, die Obszönitäten. Das Morgenlicht matt und grau mit dem Versprechen eines weiteren ultraheißen Tages und die Karte auf dem Kissen. Keine Szene.

»Oh«, flüsterte Thal. »Nein.« Ys kroch so früh nach Hause, wie es die bevorstehende Hochzeit von Aparna Chawla und Ajay Nadiadwala zuließ, als zitterndes, paranoides Wrack. Zusammengekauert im Phatphat spürte ys die Karte in der Tasche, schwer und gefährlich wie Uran. Wirf sie jetzt weg. Lass sie aus dem Fenster flattern. Lass sie unter dem Sitzbezug verschwinden. Verlieren und vergessen. Aber ys konnte es nicht. Thal hatte schrecklich große Angst, dass ys verliebt war und dass ys dafür keinen Soundtrack hatte.

Die Frauen waren wieder auf den Treppen, drängten sich mit ihren Wasserkanistern aus Plastik hinauf und hinab. Die Gespräche verstummten, als Thal sich vorbeischob, Entschuldigungen murmelnd, und wurden dann kichernd und flüsternd wieder aufgenommen. Jedes Klappern, jeder Fetzen aus dem Radio schien eine Waffe, die auf ys geworfen wurde. Denk nicht darüber nach. In drei Monaten wirst du hier raus sein. Thal stürzte in sys Zimmer, riss sich die steife, nach Rauch stinkende Partykleidung vom Leib und tauchte nackt in sys wunderschönes Bett. Ys programmierte zwei Stunden Non-REM-Schlaf, aber sys Unruhe und Herzschmerz und sys wunderbare, wahnsinnige Verwirrung war stärker als die subdermalen Pumpen, so dass ys wachlag und die Federn aus Licht beobachtete, die durch den Fenstervorhang hereinwehten und wie langsame Würmer über die Decke krochen, und auf das stimmlose, chorale Dröhnen der Stadt in Bewegung lauschte. Thal breitete noch einmal die vergangene verrückte Nacht aus und glättete die Falten. Ys war nicht ausgegangen, um in etwas verstrickt zu werden. Ys war nicht einmal ausgegangen, um gefickt zu werden. Ys war einfach nur losgezogen, um einen irren Abend mit berühmten Leuten und ein wenig Glamour zu erleben. Ys wollte keinen netten Menschen kennenlernen. Ys wollte kein Techtelmechtel, keine Beziehung. Und was ys auf gar keinen Fall wollte, war Liebe auf den ersten Blick. Liebe und all die anderen entsetzlichen Dinge, von denen ys glaubte, sie in Mumbai zurückgelassen zu haben.