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»Ich suche nach jemandem. Tranh.«

Die schwarzen Augen der alten Frau wanderten über Thals Gesicht.

»Tranh. Reizendes Wesen. Nein, Tranh ist nicht hier. Noch nicht. Aber Tranh wird irgendwann hier sein.« Die alte Frau verschränkte vor Freude die Hände ineinander. Dann setzte die Wirkung der Banane ein, und Thal spürte, wie sich eine entspannte Wärme von sys Agnya-Chakra ausbreitete. Ys klinkte sich wieder in sys Musik ein und erkundete den seltsamen Club. Auf den Balkonen standen niedrige Diwane und Sofas, für intime Gesprächsrunden um Tische arrangiert. Für jene, die keine Bananen nahmen, gab es elegante Hookahs aus Messing. Thal trieb an einer Gruppe Neuts vorbei, die im Rauch zeitlupten. Sie wandten ys die Köpfe zu. Es waren viele Genderliche da. In der Ecknische war eine Chinesin in sehr schönem schwarzem Anzug damit beschäftigt, ein Neut zu küssen. Sie hatte ys rücklings auf den Diwan gedrückt. Ihre Finger spielten mit der hormonellen Gänsehaut auf sys Unterarm. Irgendwo überlegte Thal, dass ys gehen sollte, wirklich, aber das Einzige, was ys empfand, war eine warme Dislokation. Noch eine Banane, dachte ys, wäre gut.

Eine Frucht von der Säule ganz links schenkte ys einen kurzen, intensiven Schwall von Wohlgefühl. Thal trat vorsichtig an den Rand des Pools, um zu den gestaffelten Balkonen aufzublicken. Je höher man kam, desto weniger Kleidung benötigte man, schlussfolgerte ys. Das war völlig in Ordnung. Alles war in Ordnung. Hatte auch die blinde Frau gesagt.

»Tranh?«, wandte sich Thal an ein Knäuel von Körpern, die sich rund um ein duftendes Hookah versammelt hatten. Ein schmerzlich junges und hübsches Neut mit feinen ostasiatischen Zügen lugte aus einem Gewühl männlicher Körper hervor. »Entschuldigung«, sagte Thal und ließ sich weitertreiben. »Hast du Tranh gesehen?«, fragte ys eine nervös wirkende Frau, die neben einem Sofa voller lachender Neuts stand. Alle blickten auf und starrten ys an. »Ist Tranh schon hier?« Der Mann stand vor der dritten magischen Bananenranke. Er war nüchtern in einen halboffiziellen Abendanzug gekleidet, Jayjay Valaya, vermutete Thal aufgrund des Schnitts. Ein kluger Mann, schlank, in mittlerem Alter, aber er pflegte seine Haut. Feine, ästhetische Züge, dünne Lippen, intelligenter Blick in den unruhigen Augen. Die Augen, das Gesicht waren nervös. Seine Hände, stellte Thal mittels der wundersamen Macht der Banane fest, die alles in eine sinnvolle Perspektive rückte, waren perfekt manikürt und zitterten.

»Wie bitte?«, fragte der adrette Mann zurück.

»Tranh. Tranh. Ist ys hier?«

Der Mann sah ys perplex an, dann pflückte er eine Banane von der Faust neben seinem Kopf. Er bot sie Thal an.

»Ich suche nach jemandem«, sagte Thal.

»Nach wem?«, fragte der Mann und bot erneut die Banane an.

Thal wischte sie mit der Hand weg. »Tranh. Haben Sie? Nein ...« Thal entfernte sich bereits.

»Bitte!«, rief der Mann ys nach und hielt die Banane wie ein Linga zwischen den Fingern fest. »Bleiben Sie, reden Sie, einfach nur reden ...«

Dann geschah es. Selbst in den flackernden Schatten unter dem Balkon war das Profil unverkennbar, die Rundung der Wangenknochen, die Art, wie ys sich vorbeugte, um sich angeregt zu unterhalten, das Spiel der Hände im Laternenschein, das Lachen wie eine Tempelglocke.

»Tranh.«

Ys blickte nicht vom Gespräch mit sys Freunden auf, über den niedrigen Tisch gebeugt, in gemeinsame Erinnerungen vertieft.

»Tranh.« Diesmal wurde ys erhört. Tranh schaute auf. Das Erste, was Thal in sys Gesicht las, war völlige Verständnislosigkeit. Ich weiß nicht, wer du bist. Dann das Wiedererkennen, die Wiedererinnerung, gefolgt von Überraschung, Bestürzung, Missvergnügen. Schließlich peinliche Verlegenheit.

»Verzeihung«, sagte Thal und trat aus der Nische zurück. Alle Gesichter sahen ys an. »Tut mir leid, ich habe mich geirrt ...« Ys wandte sich um und flüchtete diskret. Das Bedürfnis zu schreien pumpte in sys Schädel. Der schüchterne Mann stand in der Begrünung. Während Thal immer noch feindliche Blicke auf sich gerichtet spürte, nahm ys ihm die Banane aus der weichen Faust, schälte sie, biss tief hinein. Dann setzte das Pharm ein, und Thal nahm wahr, wie sich die Dimensionen des Innenhofs in die Unendlichkeit erweiterten. Ys bot dem Mann die seltsame Frucht an.

»Nein, danke«, stammelte er, aber Thal hatte ihn am Arm gepackt und zerrte ihn zu einem unbesetzten Sofa. Ys spürte immer noch die glühenden Blicke, die auf sys Hinterkopf gerichtet waren.

»Also«, sagte Thal, setzte sich seitwärts auf das niedrige Sofa und drapierte die dünnen Hände um die angezogenen Knie. »Sie wollen mit mir reden, also lassen Sie uns reden.« Ein Blick zurück. Sie starrten immer noch. Ys aß den Rest der Banane, und die flackernden Laternen öffneten sich. Ys wurde von ihrer Gravitation eingesogen, und sys nächster klarer Gedanke beschäftigte sich mit der Fassade eines kurdischen Restaurants. Ein Kellner eilte mit ys an Tischen voller verblüffter Gäste vorbei zu einer kleinen Nische im hinteren Bereich, die von einem duftenden geschnitzten Zedernholzschirm abgetrennt war.

Wie gute Gäste kamen und gingen die Bananen der blinden Frau zeitig. Thal spürte, wie die geschnitzten geometrischen Muster auf den Trennwänden heranrasten, von himmlischer Ferne bis klaustrophobischer Nähe. Im Restaurant war es heiß, und die Stimmen sämtlicher Gäste, der Küchenlärm und die Straßengeräusche waren unerträglich scharf und nahe.

»Ich hoffe, es stört Sie nicht, dass ich Sie hierhergebracht habe, aber ich mochte es dort nicht«, sagte der Mann gerade. »Da kann man sich nicht unterhalten, nicht richtig jedenfalls. Hier jedoch ist es diskret, und der Besitzer ist mir einen Gefallen schuldig.« Mezze wurden gebracht sowie eine Flasche mit einer klaren Spirituose und ein Krug Wasser. »Arak«, sagte der Mann und goss ein wenig ein. »Ich selber trinke es nicht, aber mir wurde gesagt, dass es wunderbar geeignet ist, sich Mut einzuflößen.« Er fügte Wasser hinzu. Thal staunte, als die klare Flüssigkeit schlagartig leuchtend und milchig wurde. Thal nahm einen Schluck, schreckte vor dem fremdartigen Anisgeschmack zurück und nippte dann noch einmal langsamer und bedächtiger.

»Ys ist ein Chuutya«, erklärte Thal. »Tranh ist ein Chuutya. Ys wollte mich keines einzigen Blickes würdigen. Ys hatte nur Augen für sys Freunde. Jetzt wünschte ich, ich wäre nie gekommen.«

»Es ist so schwierig, jemanden zu finden, der einem zuhört«, sagte der Mann. »Jemanden, der keine Pläne verfolgt, der mich nicht um etwas bitten oder mir etwas verkaufen will. Bei meiner Arbeit will jeder hören, was ich zu sagen habe, welche Ideen ich habe. Jedes Wort von mir wird in Gold aufgewogen. Bevor ich Ihnen begegnet bin, war ich bei einem Durbar im Quartier. Alle wollten hören, was ich zu sagen habe, alle wollten etwas von mir, mit Ausnahme dieses einen Mannes. Er war ein seltsamer Mann, und er sagte etwas sehr Seltsames. Er sagte, wir seien eine deformierte Gesellschaft. Ich habe diesem Mann zugehört.«

Thal nippte vom Arak. »Schätzchen, das haben wir Neuts schon immer gewusst.«

»Also erzählen Sie mir von den Geheimnissen, die Sie kennen. Sagen Sie mir, wer Sie sind. Ich würde gern hören, wie Sie geworden sind, was Sie sind.«

»Nun«, sagte Thal und war sich unter dem aufmerksamen Blick des Mannes jeder Narbe und jedes Implantats bewusst, »mein Name ist Thal, und ich wurde 2019 in Mumbai geboren, und ich arbeite bei Indiapendent im Metasoap-Designteam für Stadt und Land

»Und in Mumbai«, sagte der Mann, »im Jahr 2019, als Sie geboren wurden, was ...?«