Er ist zurückgekehrt. Es ist nur ein Charpoy in der Ecke, aber es gibt ein Dach und ein Feuer und zweimal täglich Dal und das sichere Wissen, dass niemand und nichts, keine Killermaschine mit Krummsäbeln statt Händen, ihn hier finden wird. Doch auch hier lauert eine Gefahr. Es wäre einfach, in die Gewohnheit zurückzufallen, ein wenig zu essen, ein wenig in der Mittagssonne zu schlafen, ein wenig zu stehlen, ein wenig mit seinen Freunden abzuhängen, über dies und jenes zu sprechen und Mädchen nachzuschauen, und schon ist ein Tag, ein Jahr, ein Leben vorbei. Er muss nachdenken, reden, seine Schulden eintreiben und seine Gefälligkeiten einfordern. Yogendra macht seine Runden in der Basti und der Stadt, hört, was die Straße über Shiv sagt, der ihm den Rücken zugekehrt hat, der noch eine Spur von Ehrgefühl hat.
Und dann ist da noch seine Schwester.
Leela ist eine Warnung davor, dass ein Sohn und Bruder nicht von Diwali bis Guru Poornima warten sollte, um seine Familie wiederzusehen. Was einmal eine nett aussehende, stille, schüchterne, aber vernünftige Siebzehnjährige gewesen war — die schon verheiratet sein könnte —, ist zu einer Bibelchristin geworden. Eines Abends ging sie mit einer Freundin zu einer religiösen Veranstaltung, die von einem Kabelsender organisiert wurde, und kehrte wiedergeboren zurück. Es genügt nicht, dass sie den Herrn Jesus Christus gefunden hat. Alle anderen sollten ihn auch finden. Insbesondere der böööseste ihrer bööösen Brüder. Also kommt sie mit ihrer Bibel mit dem hauchdünnen Papier daher, von dem Shiv weiß, dass es die allerbesten Joints abgeben würde, und mit ihren kleinen Traktaten und ihrer nervigen Art.
»Schwester, dies ist meine Zeit der Ruhe und Erholung. Du unterbrichst sie. Wenn dir dein Christentum so viel bedeutet, wie du sagst, würdest du deinen Bruder respektieren. Ich glaube, irgendwo steht, dass du deinen Bruder ehren und respektieren sollst.«
»Meine Brüder sind meine Brüder und Schwestern in Christus. Jesus sagt, dass ihr meinetwegen euren Vater und eure Mutter hassen werdet und euren Bruder auch.«
»Dann ist das eine sehr dumme Religion. Welcher deiner Brüder und Schwestern in Christus hat dir Medikamente besorgt, als du wegen Tuberkulose am Verrecken warst? Welcher von ihnen ist in die Apotheke des reichen Mannes gebrettert? Du machst dich zu niemandem, zu nichts. Niemand wird dich heiraten, wenn du keine richtige Inderin bist. Deine Gebärmutter wird verdorren. Du wirst regelrecht nach Kindern schreien. Ich spreche es nicht gern aus, aber nur ich und kein anderer wird dir die Wahrheit sagen. Mutter nicht, deine Christenfreunde nicht. Du machst einen schrecklichen Fehler, bring das ganz schnell wieder in Ordnung.«
»Der schreckliche Fehler ist es, den Weg zur Hölle zu wählen,« sagt Leela trotzig.
»Und was glaubst du, was das hier ist?«, sagt Shiv.
Yogendra bleckt die Rattenzähne.
An diesem Nachmittag hat Shiv eine Verabredung: Priya aus dem Musst. Die guten Zeiten, sie sind nicht vergessen. Fünfzehn Minuten lang beobachtet Shiv den Chai-Stand, um sicherzugehen, dass sie es ist und nur sie allein. Priya ist Schmerz in seinem Herzen. Sie mit ihrer Hose, die eng an der Wölbung ihres Hinterns klebt, und ihrem dünnen Seidentop und ihrer Sonnenbrille mit Bernsteinrahmen und der blassen blassen Haut und den roten roten Lippen, die schmollen, während sie sich ungeduldig nach ihm umsieht und versucht, sein Haar, sein Gesicht, seinen Gang in der Menge der drängenden und starrenden Körper zu entdecken. Sie steht für alles, was er verloren hat. Er muss hier raus. Er muss sich wieder aufrichten. Wieder ein Raja sein.
Sie wippt auf den Stiefelabsätzen und stößt kleine Kiekser des Entzückens aus, ihn zu sehen. Er bringt ihr Tee, sie sitzen auf einer Bank an der Metalltheke. Sie bietet an, die Rechnung zu übernehmen, aber er zahlt mit seinem schrumpfenden Geldbündel. Chandi Basti wird es nicht erleben, dass eine Frau Shiv Faraji einen Tee bezahlt. Ihre Beine sind lang und sauber und urban. Die Männer von Chandi Basti begutachten sie mit ihren Augen, dann sehen sie den Saum des Ledermantels, den der Mann an ihrer Seite trägt, und gehen ihrer Wege. Yogendra sitzt auf einer umgestürzten Kunstdüngertonne aus Plastik und stochert in den Zähnen.
»Na, vermissen mich meine Frauen und meine Barkeeper?« Er bietet ihr eine Bidi an, nimmt sich Feuer vom Gasbrenner unter dem ratternden Wasserboiler.
»Du hast Riesenärger«. Sie steckt sich ihre an seiner an, ein Bollywood-Kuss. »Du kennst das Ashima-Inkassobüro?«
»Ein Haufen Ganoven.«
»Die Dawood-Gang. Für die ist Schuldenkaufen ein neues Metier. Shiv, die Dawoods sind hinter dir her. Das sind die Kerle, die Gurnit Azni auf dem Rücksitz seiner Limousine lebendig gehäutet haben.«
»Alles Verhandlungssache. Sie wollen viel, ich biete wenig, wir treffen uns in der Mitte. Das ist die Art, wie Männer Geschäfte machen.«
»Nein. Sie wollen, was du ihnen schuldest. Nicht eine Rupie weniger.«
Shiv lacht, das freie, verrückte Lachen, das in sich zerbricht. Er kann das Blau am Rand seines Blickfeldes sehen, das reine Krishna-Blau.
»Niemand hat so viel Geld.«
»Dann bist du tot, und es tut mir sehr leid.« Shiv legt seine flache Hand auf Priyas Oberschenkel. Sie erstarrt.
»Du bist hergekommen, um mir das zu sagen? Von dir habe ich etwas erwartet.«
»Shiv, an jeder Straßenecke gibt es Hunderte von Big Dadas wie du, und alle erwarten sie was.« Ihr Satz bricht ab, als Shiv ihr an das Kinn greift, die Finger hart in das weiche Fleisch presst und den Daumen über den Knochen reibt. Blaue Flecken. Er wird ihr blaue Flecken wie blaue Rosen verpassen.
Priya schreit auf. Yogendra zeigt seine Schneidezähne. Schmerz erregt diesen Jungen, denkt Shiv. Schmerz bringt ihn zum Lächeln. Die Leute von Chandi Basti starren. Er spürt Augen um sich herum. Starrt nur!
»Raja«, flüstert er. »Ich bin ein Raja«.
Er lässt sie los. Priya reibt sich den Kiefer.
»Das tat weh, Madar Chowd!«
»Da ist doch noch was, oder?«
»Du verdienst es nicht. Du verdienst, von den Dawoods mit einem Roboter aufgeschlitzt zu werden, Behen Chowd.« Sie zuckt, als Shiv wieder nach ihrem Gesicht greift. »Es ist eine kleine Sache, aber es könnte mehr drin sein. Eine ganze Menge mehr. Nur was abliefern. Wenn du’s richtig machst, sagen sie ...«
»Sagt wer?«
»Nitish und Chunni Nath.«
»Ich arbeite nicht für Brahmanen.«
»Shiv ...«
»Es geht ums Prinzip. Ich bin ein Mann mit Prinzipien.«
»Das Prinzip, von den Dawoods zu Kabob zerhackt zu werden?«
»Ich lasse mir nichts von Kindern befehlen.«
»Das sind keine Kinder.«
»Hier unten schon.« Shiv legt seine Hand auf die Leistengegend und zuckt. »Nein, ich arbeite nicht für die Naths.«
»Dann brauchst du auch nicht hierhin zu gehen.« Sie lässt ihre kleine Tasche aufschnappen und schiebt einen Zettel über die schmierige Theke. Darauf steht eine Adresse, draußen im Industriegebiet. »Und du brauchst dieses Auto nicht.« Sie legt einen Mietschlüssel neben den Zettel mit der Adresse. Er ist für einen Mercedes, einen großen, kali-schwarzen, Vier-Liter-SUV-Mercedes, wie ein Raja ihn fahren würde. »Wenn du nichts davon brauchst, werde ich jetzt gehen und für deinen Moksha beten.«
Sie schnappt sich ihre Tasche und rutscht von der hohen Bank herunter und drängt sich an Yogendra vorbei und stolziert in den hochhackigen Stiefeln, die ihren Arsch hin und her wippen lassen, über die Pappkartons.
Yogendra sieht Shiv an. Es ist dieser abgeklärte Blick, der in Shiv den Wunsch aufsteigen lässt, ihm den Kopf gegen die Blechtheke zu schlagen, bis er ein Knacken hört und es weich wird.
»Bist du damit fertig?« Er schnappt sich Yogendras Dose mit Tee und schüttet den Inhalt auf den Boden. »Sieht ganz so aus. Wir haben was Besseres vor.«