Выбрать главу

Der Junge schaltet sofort auf sein Fick-dich-selbst-Schweigen. In seinem Schädel ist er so alt wie ein Brahmane. Nicht zum ersten Mal wundert sich Shiv, ob er vielleicht ein reicher Junge ist, der Sohn und Erbe eines Piraten-Lords, rausgeworfen aus einer Limousine im Neonlicht von Kashi, damit er lernt, wie es wirklich in der Welt abläuft. Überleben. Hochkommen. Keine anderen Regeln gelten.

»Kommst du oder was?«, ruft er Yogendra zu. Irgendwo hat der Junge Paan zum Kauen gefunden.

An diesem Abend kommt Leela wieder vorbei, um ihrer Mutter mit den Blumenkohl-Puris zu helfen. Sie sind ein besonderer Genuss für Shiv, aber der Geruch von heißem Ghee in dem engen, dunklen Haus verursacht ihm Gänsehaut und Kopfjucken. Shivs Mutter und Schwester hocken am kleinen Gaskocher. Yogendra sitzt bei ihnen und trocknet die gekochten Puris mit zerknülltem Zeitungspapier. Shiv beobachtet den Jungen, wie er bei den Frauen hockt und die ofenheißen Brote in die Papiernester löffelt. Das muss für ihn einmal etwas bedeutet haben. Ein Herd, ein Feuer, Brot, Papier. Shiv beobachtet, wie Leela die Puris zu kleinen Ovalen zusammenklatscht und sie in das siedende Fett wirft.

Sie sagt in den häuslichen Frieden hinein: »Ich denke daran, meinen Namen zu Martha zu ändern. Der ist aus der Bibel. Leela kommt von Leelavati, die eine heidnische Göttin ist, aber in Wirklichkeit ist sie ein Dämon Satans aus der Hölle. Weißt du, wie es in der Hölle ist?« Beiläufig löffelt sie Blumenkohl-Puris mit einer Kelle aus Hühnerdraht heraus. »Die Hölle ist ein Feuer, das niemals erlischt, eine große, dunkle Halle, wie ein Tempel, nur größer als alle Tempel, die du je gesehen hast, weil er Platz haben muss für all die Menschen, die den Herrn Jesus nicht erkannt haben. Die Mauern und Säulen sind viele Kilometer hoch, und sie glühen feuergelb, und die Luft ist wie eine Flamme. Ich sage Mauern, aber es gibt nichts außerhalb der Hölle, nur massiven Fels, der sich auf ewig in alle Richtungen erstreckt, und die Hölle ist hineingemeißelt. Das heißt, selbst wenn du fliehen könntest, was du nicht kannst, weil du wie ein Paket zusammengekettet bist, könntest du nirgendwo anders hin. Und der Raum ist voll mit Milliarden und Abermilliarden Menschen, die alle wie kleine Bündel angekettet sind, alle übereinandergestapelt, tausend tief und tausend weit und tausend hoch, eine Milliarde in einem Haufen und Tausende von diesen Haufen. Die in der Mitte können überhaupt nichts sehen, aber sie können sich gegenseitig hören, und alle schreien. Das ist das Einzige, was du in der Hölle hören kannst, das große Schreien, das niemals aufhört, von den Milliarden von Menschen, angekettet und brennend, aber niemals verbrennend. Das ist es, in den Flammen brennen, aber niemals verbrennen.«

Shiv rührt sich auf dem Charpoy. Hölle ist etwas, das Christen gut können. In seiner Hose richtet sich sein Schwanz auf. Die Qualen, die Schreie, die schmerzvoll aufgetürmten Körper, die Nacktheit, die Hilflosigkeit, das hat ihn schon immer erregt. Yogendra legt die getrockneten Puris in einen Korb. Seine Augen sind tot, stumpf. Sein Gesicht ist das eines Tieres.

»Und die Sache ist die, dass es auf ewig so weitergeht. Tausend Jahre sind noch nicht einmal eine Sekunde. In der Hölle ist ein Brahma-Lebensalter nicht mal ein Augenblick. Tausend Brahma-Lebensalter, und du bist immer noch nicht am Ende. Es hat noch nicht einmal angefangen. Das wird mit dir passieren. Du wirst von den Dämonen hinuntergeholt und angekettet und oben auf den Haufen von Menschen gelegt, und dein Fleisch wird anfangen zu brennen und du wirst versuchen, in den Flammen nicht zu atmen, aber dann musst du es doch tun, und danach wird sich nie etwas ändern. Der einzige Weg, um der Hölle zu entgehen, ist dein Glaube an den Herrn Jesus Christus, wenn du ihn als deinen Herrn und Erlöser annimmst. Es gibt gar keinen anderen Weg. Stell es dir vor: die Hölle. Hast du überhaupt eine Ahnung davon, wie das sein wird?«

»Etwa so?« Yogendra ist schnell wie ein Messer in der Gasse. Er greift sich Leelas Handgelenk. Sie schreit auf, aber sie kann sich nicht befreien. Als er ihre Hand zum siedenden Ghee zieht, hat sein Gesicht den gleichen tierischen Ausdruck.

Shivs Tritt gegen seine Schläfe wirft ihn durch den Raum, verstreut die Puris in alle Richtungen. Leela/Martha flüchtet kreischend ins Hinterzimmer. Shivs Mutter schrickt vom Ofen zurück, weg vom heißen Fett und der tückischen Gasflamme.

»Schaff ihn raus, raus aus meinem Haus!«

»Oh, er geht schon«, sagt Shiv, während er mit zwei Schritten den Raum durchschreitet, Yogendra mit zwei Fäusten im T-Shirt anhebt und ihn auf die Gali hinauszerrt. Yogendras Blut pulsiert aus einem schmalen Riss über seinem Ohr, aber er grinst immer noch auf die gleiche dumpfe, animalische Weise. Shiv schleudert ihn auf die Gasse und tritt mit dem Stiefel nach. Yogendra wehrt sich nicht, versucht nicht, sich zu verteidigen, wegzurennen oder sich einzurollen, sondern erträgt die Tritte mit einem Leck-mich-Grinsen im Gesicht. Es ist, als würde man eine Katze prügeln. Katzen verzeihen niemals. Scheißkerl. Katzen ersäuft man im Fluss. Shiv tritt ihn, bis das Blau weg ist. Dann setzt er sich gegen die Hüttenwand und steckt sich eine Bidi an. Steckt noch eine an, reicht sie weiter an Yogendra. Der nimmt sie. Sie rauchen in der Gasse. Shiv macht die Kippe auf dem Pappkarton unter dem italienischen Schuhabsatz aus.

Der Raja der Scheiße.

»Komm, wir müssen ein Auto abholen.«

17

Lisa

Lisa Durnau hangelt sich den Tunnel hinauf ins Herz des Asteroiden. Der Schacht ist nur ein wenig breiter als ihr Körper, die Vakuumanzüge sind weiß und liegen eng an. Sie bekommt den Gedanken nicht aus dem Kopf, dass sie ein NASA-Spermium ist, das eine kosmische Yoni hinaufschwimmt. Sie zieht sich am weißen Nylonseil vorwärts und folgt Sam Raineys Profilsohlen. Dann halten die Füße des Projektleiters inne. Sie stößt sich von einem Knoten im Seil ab und schwebt halbwegs eine Vagina aus Stein hinauf, eine Viertelmillion Meilen von zu Hause entfernt. Ein Roboterarm streckt sich vom inneren Kern nach unten und zwängt sich an ihr vorbei, auf kleinen Manipulatorfingern kriechend. Lisa zuckt zusammen, als er ihren Druckanzug streift. Japanische Königskrabben sind ein Schrecken ihrer Kindheit, spindeldürre Dinger aus Chitin. Sie hat des Öfteren geträumt, wie sie die Bettdecke zurückschlägt und darunter eine solche Krabbe vorfindet, die die Scheren nach ihrem Gesicht ausstreckt.

»Warum die Verzögerung?«

»Hier ist eine Wendehöhle. Von nun an werden Sie die Wirkung der Gravitation spüren. Sie möchten sich bestimmt nicht mit dem Kopf nach unten weiterbewegen.«

»Dieses Tabernakelding hat ein eigenes Schwerkraftfeld?«

Sam Rainey zieht die Beine an, dann verschwindet er im Schimmern zwischen den Lumröhren. Lisa sieht ein vages Weiß, das einen Purzelbaum schlägt, dann blickt sein Gesicht durch das Visier in ihres.

»Passen Sie auf, dass Sie sich nirgendwo die Arme einklemmen.«

Lisa Durnau zieht sich vorsichtig in den Wendebereich hinauf. Die Stelle ist gerade groß genug, so dass sich ein gekrümmter Körper im Vakuumanzug vielleicht nie mehr daraus befreien kann. Sie zieht eine Grimasse, als der Fels über ihre Schultern kratzt.

Seit sie durch die Druckschleuse in das Ausgrabungszentrum von Darnley 285 ausgeschieden wurde, war alles beklemmend eng. In der ISS roch es muffig, doch in der Darnley-Basis herrscht ein Gestank, der einer konzentrierten Jahresdosis entspricht. Darnley ist eine instabile Trinität aus Weltraumwissenschaftlern, Archäologen und Ölarbeitern von der Nordküste Alaskas. Darnleys größte Überraschung war das, was die Bohrcrews entdeckten, als sie den Fels durchstoßen hatten und die Spycams hinunterließen. Es war kein Triebwerkssystem, kein phantastischer Sternenantrieb. Es war etwas ganz anderes.

Der Anzug, den man ihr gegeben hatte, passte wie eine zweite Haut, ein Mikrogewebe dünner als ein Sauerstoffmolekül, hinreichend flexibel, um sich damit in den engen Räumen der Darnley-Basis bewegen zu können, und gleichzeitig stabil genug, um einen menschlichen Körper vor dem Vakuum zu schützen. Lisa hatte sich, während ihr immer noch schwindlig vom Transfer aus dem Shuttle war, an einen Handgriff in der Druckschleuse geklammert und gespürt, wie sich der weiße Stoff immer fester auf ihre Haut legte. Die Leute der Crew hatten sich einer nach dem anderen umgedreht und waren in das Kaninchenloch getaucht, das den Eingang zum Felsbrocken bildete. Dann war sie an der Reihe, ihre Klaustrophobie zu überwinden und in den Schacht zu gleiten. Uhren tickten. Sie hatte fünfundvierzig Minuten, um reinzugehen, sich mit dem zu beschäftigen, was auch immer im Herzen von Darnley 285 wohnte, wieder rauszukommen und Captain Pilot Beths Shuttle zu besteigen, bevor der Rückflug begann.