Выбрать главу

»Ich glaube, dazu ist etwas mehr nötig«, sagt der Subadar, packt Thomas Lull am Arm und zerrt ihn mit sich. Hinter der Reihe der Fahrzeuge schälen sich Männer mit Flammenwerfern aus der Tarnung. Dann wird Thomas Lull bewusst, dass Kij ihm entglitten ist. Er brüllt ihren Namen. Er weiß nicht mehr, wie oft er diesen Namen während dieser Nacht schon in diesem verlorenen, von Furcht verstümmelten Tonfall gerufen hat. Thomas Lull reißt sich von dem Bharati-Offizier los.

Kij steht vor der huschenden, hüpfenden Linie der Kampfroboter. Sie lässt sich auf ein Knie nieder. Sie sind nur noch wenige Meter, wenige Augenblicke entfernt, mit schrillenden Sensendrähten. Sie hebt die linke Hand mit der Innenfläche nach außen. Der Ansturm der Roboter kommt zum Stillstand. Einer nach dem anderen, dann immer mehr auf einmal, ziehen sie ihre Waffen ein, rollen sich zur kugelförmigen Transitkonfiguration zusammen. Dann stürmt ein Bharati-Jawan vor und reißt sie zurück, und die Männer feuern mit den Flammenwerfern, Feuer gegen Feuer. Thomas Lull geht zu ihr. Sie zittert, ihr Gesicht ist mit Tränen und Ruß verschmiert, und sie hält immer noch den verdrehten Trageriemen ihrer kleinen Tasche in der Hand.

»Hat jemand eine Decke oder so etwas?«, fragt er, als die Soldaten sie durch die Fahrzeugreihe führen. Irgendwo entfaltet sich die Folie einer Rettungsdecke. Thomas Lull legt sie Kij um die Schultern. Der Soldat weicht zurück. Er hat schon Kaih-Kampfhubschrauber gesehen und gegen Roboter gekämpft, aber dies macht ihm Angst. Besser so, denkt Thomas Lull, während er Kij zur Wagenburg der Truppentransporter führt. Für uns alle.

19

Mr. Nandha

Alle fünf Leichen haben die Fäuste hochgereckt. Mr. Nandha hat schon genug Feuertote gesehen, um zu wissen, dass es etwas mit Biologie und Temperatur zu tun hat, aber eine ältere, voraufgeklärte Sensibilität sieht sie, wie sie gegen wirbelnde Flammen-Djinns kämpfen. Am Ende muss es etwas Dämonisches gehabt haben. Das Apartment ist immer noch voller Ruß. In der Luft schwebt Polycarbon-Asche, Schwaden verdampfter Computergehäuse. Als sie sich auf Mr. Nandhas Haut absetzt, verschmiert sie zu feinem, schwarzem Kajal. Erst bei einer Temperatur von über eintausend Grad verwandelt sich Plastik in reinen Kohlenstoffruß.

Varanasi, die Stadt der Kremationen.

Die Pathologen ziehen an schwarzen Säcken die Reißverschlüsse zu. Sirenen von der Straßen, die Feuerwehr rückt ab. Jetzt liegt der Tatort in den Händen der Polizeibehörden, von denen das Ministerium an letzter Stelle steht. Die Jungs von der Spurensicherung rauschen an Mr. Nandha vorbei und zeichnen Videos mit ihren Palmern auf. Er hält sich unbefugt in einem fremden Zuständigkeitsbereich auf. Mr. Nandha hat seine eigene vertraute Methodik, und für ihn führen simple Beobachtungen und die Anwendung seiner Vorstellungskraft zu Einsichten und intuitiven Erkenntnissen, die sich niemals durch das polizeiliche Prozedere fassen lassen.

Die erste Sinneswahrnehmung, die das Verbrechen auslöst, ist der Gestank. Er konnte das verbrannte Fleisch und die ölige, süßliche, erstickende Note des geschmolzenen Kunststoffs bereits im Foyer riechen. Der Gestank überlagert alle anderen Wahrnehmungen, so dass sich Mr. Nandha konzentrieren muss, um daraus Informationen gewinnen zu können. Er öffnet seine Nasenlöcher für Hinweise, Widersprüche, subtile Kontraste, die ihm verraten könnten, was hier geschehen ist. Ein Kurzschluss irgendwo zwischen den vielen Computern war die erste Idee des Brandermittlers. Kann er das unverkennbare elektrische Prickeln aus der Mischung isolieren?

An zweiter Stelle kommt der Gesichtssinn. Was hat er gesehen, als er den Schauplatz des Verbrechens betrat? Zwei Türen, die von hydraulischem Werkzeug der Feuerwehr aufgehebelt wurden, die äußere mit dem Standard-Türblatt des Apartmentblocks und die innere, grüne aus stabilem Metall, mit Riegeln, die von den Brechstangen der Feuerwehr verbogen wurden. Sie konnten die Tür nicht öffnen? Haben sie sich so gut gesichert, dass sie sich selbst den Fluchtweg abgeschnitten haben? Auf der Innenseite der Tür wurde die Farbe versengt, so dass nacktes, verrußtes Metall zutage tritt. Weiter. Der kleine Vorraum, das Wohnzimmer, die Schlafzimmer, die sie als Speicherfarm genutzt haben. Die Küche mit Skeletten von Schränken und Regalen an den Wänden. Das Melaminharz ist abgeblättert, aber die Spanplatten sind intakt. Spanholz überlebt. Asche und Schwärze, alle Gegenstände miteinander verschmolzen. Die Fenster sind nach innen geplatzt. Ein Druckabfall? Das Feuer musste sich fast verausgabt haben. Nur noch schwarzer Rauch. Sie mussten erstickt sein, bevor die Fenster zersprangen und frischer Sauerstoff die Feuerdjinns wiederbelebte. Geschmolzene Stummel von Computerlaufwerken fließen ineinander. Vikram wird retten, was noch rettbar ist.

Dann das Gehör. Dreitausend Menschen leben in dieser Wohnanlage, aber die Stille auf dem Stockwerk, wo es gebrannt hat, ist absolut. Nicht einmal das Zwitschern eines vergessenen Radios. Die Feuerwehrmänner haben die Absperrung aufgehoben, aber die Bewohner zögern noch, in ihre Apartments zurückzukehren. Es gibt Gerüchte, dass der Brand eine Racheaktion der Awadhis für das Shatabdi-Massaker war. Die Nachbarn zu beiden Seiten wurden erst aufmerksam, als die Wand heiß wurde und die Farbe Blasen warf.

Dann der Tastsinn. Der schmierige, gerinnende Schmutz des Rußes im Haar. Eine schwarze, schwebende Spinnwebe lässt sich auf Mr. Nandhas Ärmel nieder. Er will sie abklopfen, doch dann erinnert er sich daran, dass sie zu zehn Prozent aus menschlichem Fett besteht.

Als Fünftes der Geschmackssinn. Mr. Nandha hat die Technik von Katzen gelernt — die Nasenlöcher blähen, den Mund leicht öffnen, die Luft über den Gaumen streichen lassen. Es ist nicht besonders elegant, aber kleinen Jägern und Krishna Cops hilft es sehr gut.

»Nandha, was machen Sie da?« Chauhan, der staatliche Pathologe, tütet die allerletzte Leiche ein und klatscht das Etikett auf den Plastiksack.

»Ein paar vorbereitende Maßnahmen. Können Sie mir schon irgendwas sagen?«

Chauhan zuckt mit den Schultern. Er ist ein Bär von einem Mann mit der kaltschnäuzigen Jovialität der Leute, die sich mit dem Innenleben von gewaltsam getöteten Mitmenschen beschäftigen.

»Rufen Sie mich heute Nachmittag an, dann habe ich vielleicht etwas für Sie.«

Vaish, der verantwortliche Inspektor der Polizei, blickt auf, ungehalten über das unbefugte Betreten.

»Und sonst, Nandha?«, sagt Chauhan, während er zurücktritt und seine Leute in den weißen Anzügen den Sack auf eine Bahre heben. »Wie ich höre, rekonstruiert Ihre gute Ehefrau die hängenden Gärten von Babylon. Sie scheint ihr altes Dorf wirklich sehr zu vermissen.«

»Wer sagt das?«

»Ach, was halt so geredet wird«, antwortet Chauhan und macht sich Notizen zum vierten Opfer. »Seit der Party bei den Dawars spricht es sich herum. Eine interessante Frau. Also hat sie einen grünen Daumen, Nandha?«