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Der Riva befördert Thal durch immer schmaler werdende Kanäle zwischen Stahlrümpfen, die mit immer besser werdenden Hindu-Texten bemalt sind, bis er sich in eine Fahrrinne zwängt, die kaum breit genug für das Boot ist, um schließlich neben einem alten Schlepper anzulegen, der den unwahrscheinlichen Namen Fugazi trägt. Dreißig Jahre lang hat die Fugazi Massengut von Kolkata flussaufwärts zu den neuen Industrien von Patna transportiert. Dann wurde sie von White Eagle Holdings aufgekauft und zum letzten Ankerplatz in der Freihandelszone Gangak gefahren, worauf ihre Maschinen ausgeschlachtet wurden. White Eagle Holdings ist ein höchst ehrenwertes Vermögensverwaltungsunternehmen mit Sitz in Omaha, Nebraska, das sich auf die Altersvorsorge von Beschäftigten im Gesundheitswesen spezialisiert hat. Der Firma gehören mehrere schwimmende Fabriken in Patna, die jene Art medizinischer Produkte herstellen, die bibelgläubige Wähler des Mittelwestens ihren Landsleuten vehement verbieten wollen. Hunderte von Industriebetrieben mit hohen Erträgen und geringer Legalität haben ihren Stammsitz in der FTZ Ganak: spezialisierte Piraten-Radiosender, Pharmafälscher, Datenaustauschdienste, Datenoasen, Emotika-Brauereien, Genbuster, Klonlabore, Zelltherapeuten, Darwinware-Dschungel, Kopierschutzknacker, Devisentransferdienstleister, Marken-Ripper, Stammzellenfarmer, Pornokraten, mindestens eine Kaih der Generation 3 (strittig) und Nanak, der freundliche Doktor, das gute Neut, der Guru der süßen Messer.

Thal steigt nervös die steile Leiter hinauf und ist sich dabei der aufragenden Metallwand des Nachbarschiffs hinter sys Rücken bewusst. Ein Wirbel im Zusammenfluss der Ströme, und die schwankenden Wände aus Stahl würden ys wie ein rohes Ei zerquetschen. Ein Gesicht lugt über die Reling: Es ist Nanak, der gute Doktor, schäbig wie stets in sys Cargo-Shorts, die dreimal zu groß sind, dem an ihm klebenden Netztop und den großen Tank-Girlie-Stiefeln, grinsend wie ein heiliger Affe.

Sie umarmen sich. Sie berühren sich. Sie küssen sich. Sie streicheln sich emotionale Erinnerungen an Freuden und Geschenke und lange Kindheitsnächte und das erste Brot am Morgen und barocke Glissandi in die subdermalen Zapfen, dieselben Neuralschlüssel, die Nanaks Roboterchirurgen in die Fasern von Thals enthäutetem Körper geschweißt haben. Dann lösen sie sich voneinander und lächeln und geben alberne Laute der Freude von sich und sind wieder rundum glücklich.

»Wie ich sehe, hat die Mode dich erwischt«, sagt Nanak. Ys ist klein und ein wenig schüchtern und verschämt und wird von der Schwerkraft noch ein wenig tiefer gebeugt, aber ys besitzt immer noch das allerfreundlichste Lächeln. Sys Haut ist ockerfarben von der Sonne.

»Zumindest habe ich mir Mühe gegeben«, sagt Thal und deutet mit einem Kopfnicken auf Nanaks Dock-Wallah-Outfit.

»Pass hier auf deine Absätze auf«, warnt Nanak. Das Deck ist ein modischer Hindernisparcours aus Kabelschächten und Lukenbolzen und Rohren, wo ein sorgloses Neut straucheln und gegen eine harte Stahlplatte krachen könnte. »Du bleibst doch zum Tee, oder? Vorsicht hier.« Sie klettern eine steile Leiter zum Steuerhaus hinauf. Auf der letzten Sprosse hält Thal inne, um über die Stadt aus Booten zu blicken. Hier geht es geschäftig zu wie auf einem Basar. Neben dem Gelderwerb gibt es immer Arbeit, die auf den Schiffen erledigt werden muss, von Malern und Deckschrubbern, Gärtnern und Wasseringenieuren, Solarenergieexperten und Kommunikationstechnikern. Musik dröhnt mit Bässen, die durch die großen Metallhohlräume verstärkt werden.

»Was gibt es also?«, fragt Nanak, als ys Thal in den holzgetäfelten, von Zedernduft erfüllten Empfangsraum führt. Der Geruch löst in Thal eine emotionale Reaktion aus, die so intensiv ist wie eine Erregung der Neuralschlüssel. Ys befindet sich wieder in der holzverkleideten Gebärmutter. Ys erinnert sich, wie die Ledersofas knirschen, wie Suniti am Tresen Filmi-Hits summt, wenn sie glaubt, dass niemand in der Nähe ist.

»Nur ein Routinecheck«, sagt Thal.

»Das können wir auf jeden Fall für dich machen«, sagt Nanak und ruft den Aufzug, um ins leere Herz des Schiffs hinunterzufahren, wo ys sys Transformationen durchführt.

»Hast du viel zu tun?«, fragt Thal, um sys Besorgnis zu überspielen. Der Aufzug öffnet sich und sie treten auf einen Korridor aus Mahagoni und mit Messingtüren hinaus. Thal hat einen Monat lang hinter einer solchen Tür verbracht, verrückt von den Schmerzmitteln und Immunsuppressiva, während sys Körper mit dem klarzukommen versuchte, was die chirurgischen Roboter damit angestellt hatten. Der wahre Wahnsinn war gekommen, als die in sys Rückenmark eingebetteten Proteinchips sich entpackten und damit begannen, vier Millionen Jahre biologischer Direktiven zu überschreiben.

»Im Moment habe ich zwei Fälle«, sagt Nanak. »Einer wartet — ein süßes kleines Ding, malaisch, ziemlich nervös, könnte jeden Augenblick ausreißen, was eine Schande wäre — und einer ist in der OP-Nachsorge. Wir scheinen eine Menge Transgenders alten Stils hereinzubekommen, so dass sich unser Ruf auch außerhalb der Szene ausbreitet, aber davon bin ich gar nicht so begeistert. Das ist nicht mehr als Schlachterhandwerk. Ohne jegliche Raffinesse.«

Und sie werden dafür bezahlen, so wie auch Thal immer noch bezahlt. Zehn Prozent sofort und monatliche Raten für fast den ganzen Rest von sys Leben. Eine Ganzkörperhypothek.

»Thal«, sagt Nanak vorsichtig. »Nicht die, hier bitte.« Thal stellt fest, dass sys Hand an der Tür zum OP-Raum liegt. Nanak drückt die Tür zur Klinik auf. »Wir werden dich nur ein wenig abklopfen, Schätzchen. Du musst nicht einmal die Kleidung ablegen.«

Aber Thal zieht doch die Boots aus und streift sys kühlen Mantel ab, bevor ys sich auf den weißen, gepolsterten Tisch legt. Ys blinzelt unbehaglich in die Deckenleuchten, während Nanak mit der Rekalibrierung des Scanners beschäftigt ist. In diesem Moment erinnert sich Thal daran, dass Nanak, der liebe Doktor, nicht einmal als Krankenpfleger qualifiziert ist. Ys ist nur ein Handlanger, ein chirurgischer Kesselflicker. Roboter hatten Thal zerlegt und ys wieder zusammengesetzt, Mikromanipulatoren, moleküldünne Skalpelle, die von Chirurgen in Brasilien gesteuert wurden. Nanaks Begabung liegt darin, wie ys mit sys Patienten umgeht, und in einer Nase für die gewieftesten Mediziner zu den günstigen Preisen, wo auch immer der globale Markt eine Gelegenheit eröffnet.

»Also, Baba, sag Nanak, ob dies ein reiner Patientenbesuch ist, oder ob du die Szene von Patna auskundschaften willst«, fordert Nanak ys auf und klemmt sich einen Hoek hinter das große Ohr.

»Nanak, ich bin jetzt ein Karriere-Neut, weißt du das nicht? Ich habe es in drei Monaten zum Abteilungsleiter geschafft. Noch ein Jahr, und ich schmeiße den ganzen Laden.«

»Dann kannst du wieder zu mir kommen und dir ein komplettes neues Emotika-Set leisten«, sagt Nanak. »Ich habe hier neues Zeugs, frisch aus den Mixern. Sehr gut. Sehr seltsam. Gut. Ich bin so weit. Atme einfach ganz normal.« Ys bewegt eine Hand in einer Mudra, und Halbkreise aus weißem Metall gleiten aus dem Bettgestell hervor und verbinden sich über Thals Füßen zu einem Ring. Trotz Nanaks Ermahnung stellt Thal fest, dass ys den Atem anhält, als der Scanner mit der Pilgerfahrt sys Körper hinauf beginnt. Ys schließt die Augen, während sich der Ring aus Licht über sys Kehle schiebt, und versucht sich nicht jenen anderen Tisch hinter jener anderen Tür vorzustellen. Den Tisch, der gar kein Tisch ist, sondern ein Gelbett in einem Tank voller Roboter. Ys hat auf diesem Tisch gelegen, narkotisiert und nur noch einen Funken weit vom Tod entfernt, das Nervensystem an eine Medo-Kaih angeschlossen, die dafür sorgte, dass sys Lungen weiterpumpten, sys Herz weiterschlug, sys Blut weiterzirkulierte. Thal kann sich nicht erinnern, wie sich der Deckel des Tanks herabsenkte, sich verriegelte und sich mit mehr unter Druck gesetztem narkotisierendem Gel füllte. Aber ys kann es sich vorstellen, und die Vorstellung ist zur Erinnerung geworden, einer klaustrophobischen imaginären Erinnerung ans Ertrinken. Was ys sich nicht vorstellen kann — was ys sich nicht vorzustellen wagt —, sind die Roboter, die sich durch das Gel bewegen, um ys mit ausgestreckten Klingen jeden Zentimeter Haut vom Körper zu schälen.