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Thal rollt sich auf der weichen Tatami-Matte auf den Rücken. Purpurrote Wolkenstreifen durchziehen den Himmel, die ersten, die ys seit Monaten gesehen hat. Ys stellt sich vor, den Regen riechen zu können, den er so lange herbeigesehnt hat, dass er ys wie eine eingebildete Erinnerung vorkommt.

»Es geht um jemanden, aber das wusstest du ja sowieso schon.«

»Ich hatte eine Ahnung.«

Eine einsame Bansuri wirft Noten in das sanfte Dunkel. Irgendwo da unten zwischen den Badmashs lässt ein Musiker eine uralte Bihari-Volksweise in die Luft schlängeln.

»Jemand, der klug und erfolgreich und still und tief ist, mit gutem Geschmack und Geheimnissen und großer Angst vor allem, der es aber sehnlichst will.«

»Ist das nicht etwas, wonach wir alle uns sehnen, Janum?«

»Jemand, der zufällig ein Mann ist.«

Nanak beugt sich vor. »Ist das ein Problem für dich?«

»Ich habe Mumbai verlassen, weil ich keine komplizierten Beziehungen mehr wollte, und jetzt stecke ich in der kompliziersten Beziehung, die ich mir vorstellen kann. Ich bin geflüchtet, weil ich bei diesem Spiel nicht mehr mitmachen wollte, beim Mann-und-Frau-Spiel. Du hast mir neue Regeln gegeben, du hast sie mir in den Kopf eingepflanzt, tief unten, und jetzt gelten sie einfach nicht mehr.«

»Du wollest von mir überprüfen lassen, ob alles noch innerhalb der operativen Parameter funktioniert.«

»Irgendwas muss mit mir nicht stimmen.«

»Mit dir ist alles in Ordnung, Thal. Ich habe in dich hinein- und durch dich hindurchgeblickt. Dein Geist, dein Körper und deine Beziehungen sind völlig gesund. Jetzt möchtest du, dass ich dir sage, was du tun sollst. Du nennst mich Guru, du hältst mich für weise, aber das werde ich nicht tun. Es gibt keine einzige Regel des menschlichen Verhaltens, die noch nie von irgendjemandem gebrochen wurde, irgendwo, irgendwann, unter banalen oder spektakulären Umständen. Mensch sein heißt, die Regeln zu transzendieren. Es ist ein Phänomen dieses Universums, dass die einfachsten Regeln höchst komplexe Verhaltensmuster hervorbringen können. Die Implantate geben dir einfach nur eine Reihe von reproduktionsunabhängigen Imperativen, mehr nicht. Der Rest, den Göttern sei Dank, liegt ganz bei dir. Sie wären nichts wert, wenn daraus nicht die beunruhigendsten und kompliziertesten Herzensprobleme entstehen könnten. Nur so ist diese Herrlichkeit und dieser Wahnsinn lebenswert. Wir sind mit Problemen geboren, so selbstverständlich wie Funken aufwärtsfliegen, und das ist das Großartige an uns, ob Mann, Frau, Transgen oder Neut.«

Die Töne der Flöte verfolgen Thal. Ys riecht ein Gerücht nach Regen im abendlichen Wind, der vom Fluss heranweht.

»Die Frage ist nicht was, sondern wer«, bemerkt Suniti, als sie die Thalis einsammelt. »Liebst du ihn?«

»Ich denke die ganze Zeit nur an ihn. Ich kriege ihn nicht mehr aus dem Kopf, ich möchte ihn anrufen und ihm Schuhe kaufen und Musik für ihn zusammenstellen und herausfinden, was er am liebsten isst. Er mag die orientalische Küche, das weiß ich bereits.«

Nanak wiegt sich auf den Hüftknochen. »Ja ja ja ja ja. Meine Assistentin hat natürlich recht, weil sie immer recht hat, aber du hast ihre Frage nicht beantwortet. Liebst du ihn?«

Thal nimmt einen tiefen Atemzug. »Ich glaube schon.«

»Dann weißt du, was du tun musst«, sagt Nanak, und Suniti schiebt das Metallgeschirr im Tischtuch zusammen und bringt alles weg, aber Thal erkennt an der Haltung ihrer Schultern, dass sie zufrieden ist.

Nach dem Essen ist der Jacuzzi an der Reihe. Nanak und Thal plätschern im brustwarzentiefen Wasser in der großen Holzwanne im anderen Flügel der Laufbrücke, gesprenkelt mit Tagetesblütenblättern und einer subtilen Note Teebaumöl, gegen Nanaks hartnäckigen Fußpilz. Auf drei Seiten steigt duftender Rauch auf, die Luft ist außergewöhnlich still, als würde sie abwarten, ein klimatischer Schwebezustand.

Patnas Himmelsleuchten ist ein goldener Nebel am westlichen Horizont. Nanak streichelt Thals Schenkel mit den langen, beweglichen Zehen. Das löst keinerlei regulierte genderliche Erregung aus. Es ist nur eine Berührung, etwas, das Neuts miteinder machen, was Freunde miteinander machen. Thal nimmt zwei weitere Kingfisher aus der Plastikkühlbox und öffnet sie am Badewannenrand. Eins für ys, eins für sys Guru.

»Nanak, glaubst du, dass alles gut wird?«

»Für dich persönlich? Für mich? Ja. Es ist leicht für Menschen, ein Happy End zu finden. Für diese Stadt, dieses Land, diesen Krieg? Da bin ich mir nicht so sicher. Nanak sieht sehr viel von dieser Brücke aus. An den meisten Tagen kann ich die Indische Braune Wolke erkennen, ich sehe, wie der Wasserstand fällt, ich sehe Skelette am Strand, aber sie machen mir keine Angst. Es sind diese schrecklichen Kinder, diese Brahmanen, wie man sie nennt. Wer auch immer ihnen diesen Namen gegeben hat, wusste über ein paar Dinge Bescheid. Ich sage, was Nanak daran so große Angst macht. Es geht nicht darum, dass sie doppelt so lange und halb so schnell leben wie wir oder dass sie Kinder mit den Rechten und Bedürfnissen von Erwachsenen sind. Was mir Angst macht, ist die Tatsache, dass wir ein Stadium erreicht haben, in dem Reichtum den Lauf der menschlichen Evolution verändern kann. Du könntest viele Lakh Geld erben, deine Kinder auf amerikanische Schulen schicken, wie es all die inzüchtigen, geistig beeinträchtigten Maharajahs tun, aber du könntest dir keinen IQ oder Begabungen oder auch nur ein gutes Aussehen kaufen. Alles, was du tun könntest, wäre reine Kosmetik. Aber mit diesen Brahmanen kann man sich eine neue Infrastruktur kaufen. Eltern hatten schon immer den Wunsch, ihren Kindern Vorteile zu verschaffen, und nun können sie es ihnen für alle folgenden Generationen geben. Und welche Eltern würden sich so etwas nicht für ihre Kinder wünschen? Der Mahatma, sein Angedenken sei gesegnet, war in vielerlei Hinsicht sehr weise, aber er hat nie größeren Unsinn von sich gegeben, als mit der Aussage, dass das Herz Indiens in den Dörfern schlägt. Das Herz und der Kopf Indiens war schon immer die Mittelklasse. Den Briten war das klar, und deshalb konnte eine Handvoll von ihnen uns hundert Jahre lang beherrschen. Wir sind eine offensiv bürgerliche Gesellschaft, es geht um Vermögen, Status, Anstand. Jetzt ist all das direkt vererbbar geworden, es ist in den Genen. Du kannst dein ganzes Geld an der Börse verlieren, bankrottgehen, es verspielen, durch eine Flut ruiniert werden, aber niemand kann dir deine genetischen Vorteile nehmen. Es ist ein Vermögen, das kein Dieb stehlen kann, ein Erbe, das ohne Verlust an die Nachkommen weitergegeben wird ... Ich habe in letzter Zeit viel darüber nachgedacht.«

»Nanakji«, sagt Thal, »du musst dir deswegen keine Sorgen machen. Das hat nichts mit uns zu tun. Wir sind ausgestiegen.« Ys spürt, wie ys unter sys Berührung erstarrt.

»Aber das sind wir nicht, Baba. Niemand kann das. In diesem Konflikt gibt es keine Nichtkombattanten. Wir haben unser schönes Leben und unsere kleinen niederschmetternden Herzensprobleme, aber wir sind immer noch Menschen. Wir sind ein Teil des Ganzen. Nur dass wir jetzt untereinander entzweit werden. Wir werden uns gegenseitig an die Gurgel gehen, weil die Zukunft unserer Kinder auf dem Spiel steht. Das Einzige, was die Mittelklasse von den Jahrzehnten der Verlorenen Frauen gelernt hat, ist, wie leicht es ist, eine neue Kaste zu schaffen, und wie sehr wir es lieben, vor allem, wenn das Bindi jetzt in der DNS steckt. Das wird uns tausend Jahre lang beherrschen, dieser genetische Raj.«

Inzwischen ist es völlig dunkel geworden. Thal spürt kühle Luft auf einer unerwarteten Hautstelle. Ys erschaudert, ein winziges Wesen auf einem riesigen Kontinent, das eine Zukunft ahnt, in der ys keinen Platz mehr haben wird als Ausgestiegenes, als genetischer Nichtkombattant.

Ein australischer Akzent ruft von unten. »Einen guten Abend dir da oben, Nanakji! Regen in Hyderabad, habe ich soeben gehört.«

Nanak erhebt sich halbwegs aus dem duftenden Wasser, aber der Rufer in der Nacht bleibt unsichtbar. »In der Tat eine gute Neuigkeit!«, antwortet ys. »Das werden wir auf jeden Fall feiern.«