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»Darauf trinke ich einen!«

Ein leises Geräusch von der Luke zur Hauptbrücke ist zu hören. Die Badenden drehen sich um. Hinter ihnen steht ein Neut, in einen kurzen blauen Yukata gehüllt, die Arme um den Oberkörper geschlungen.

»Ich habe gehört ... ich dachte ... könnte ich?«

»Hier sind alle willkommen«, sagt Nanak und kramt in der Kühlbox nach einem Kingfisher.

»Ist es wahr? Kommt der Regen wirklich?«, fragt das Neut, als ys aus dem blauen Baumwoll-Bademantel schlüpft. Thal verspürt einen kalten Schock, als ys die schmalen Schultern und die breiten gebärfreudigen Hüften sieht, die von Hormoninjektionen abgeflachten Brustknospen, das heilige Dreieck der rasierten Yoni. Mitten in der Prä-OP. Das schüchterne Neut, von dem Nanak gesagt hatte, dass ys ausreißen könnte. Ys versucht sich an die drei Jahre zu erinnern, die ys in der Prä-OP gelebt hat, während ys in einer Koje der Fugazi für die Anzahlung sparte. Wie die Erinnerung an einen Albtraum ist es eine Reihe von unzusammenhängenden Eindrücken. Die Hormoninjektionen, dreimal täglich. Das ständige Rasieren. Die endlosen Mantras, um sich abzugewöhnen, genderlich zu denken, um zu einem Neut zu werden.

»Ja, ich glaube, er kommt endlich«, sagt Nanak, als das Neut neben ys ins Becken steigt und alle sexuelle Identität ausgelöscht wird. Sie bewegen sich gemeinsam durch das blutwarme Wasser und berühren sich, wie es Neuts tun.

Thal schläft in jener Nacht an Nanaks Seite, zusammengerollt und tief und fest, und sie berühren sich, wie es Neuts tun, wie Freunde, die gelegentlich zusammen schlafen.

»Pass gut auf in Varanasi«, ruft Nanak ys zu, als ys an der schorfigen Wand der Fugazi hinabklettert, hinunter zum wartenden Riva, der im verdreckten Wasser dümpelt.

»Ich werde es versuchen«, ruft Thal zurück, »aber es ist ein erdrückendes kleines Herzensding.«

Als sich das Tragflügelboot vom erstaunlichen Bogen der Bund-Hafenanlagen entfernt, blickt Thal aus dem Fenster und sieht eine Fläche aus aufgewühlten grauen Wolken, die sich im Süden und Osten ausgebreitet haben, weiter, als ys blicken kann. ROMANCE AND ADVENTURE MIX dröhnt in sys inneren Ohren.

Wie Thal gehofft hat, ist Varanasi von ys begeistert. Insbesondere die Metasoap-Abteilung von Indiapendent Productions. Und ganz besonders Neeta am Tresen. Sie klatscht in die Hände, und ys sagt, dass ys faaaabelhaft aussieht und ys offenbar eine schöne Zeit im schrecklichen Patna hatte, und, oh, ich hätte fast vergessen, dass hier ein Brief für dich ist, mit Sonderzustellung und so.

Die Sonderzustellung steckt in einer Plastikhülle, auf der Dringlich und Eigenhändig zustellen steht, mit Blitzsiegeln und kniffligen Schnüren, an denen man hier ziehen muss, damit dort eine Schlaufe gelöst wird, mit der man wiederum einen perforierten Streifen aufreißen kann, um das innenliegende WICHTIGE DOKUMENT mit dem Daumen am Schnellspanner herausziehen und den Plastikumschlag entlang der markierten Perforierung aufreißen zu können, bis man schließlich die Nachricht in den Händen hält. Ein einzelner Zettel. Handbeschreiben mit diesen Worten: Muss Dich wiedersehen. Kannst Du heute Abend kommen, am 12. August? Im Club, Uhrzeit egal. Bitte. Danke. Und darunter eine einzelne verschnörkelte Initiale.

»Es ist wie in Stadt und Land, aber real!«, begeistert sich Neeta.

Thal liest den Brief ein Dutzend Mal im Phatphat zum White Fort. Während ys sich für den Abend mit dem Look aufdonnert (wenn sonst niemand mit dem Look im Club ist, wird ys alle Blicke auf sich lenken), langweilt das Fernsehen mit Kriegsgerede, und die Unterhaltungsprogramme sind voller lächelnder Leute, die in Formation tanzen, und zum ersten Mal kann ys sich nichts davon ansehen. Gar nichts. Ys schnappt sys Tasche und stürmt los. Mama Bharat ist auf dem Treppenabsatz und stellt den Müll raus.

»Keine Zeit, keine Zeit, heiße heiße Verabredung«, ruft Thal. Mama Bharat namastiert, dann ist ys die Treppe hinunter, zwängt sich an ein paar Männern in Anzügen vorbei, die ein paar Sekunden zu lange starren. Ys beobachtet, wie sie an sys Tür vorbei und ins nächsthöhere Stockwerk gehen. In der Säulenhalle des Untergeschosses wartet das Taxi, und heute können die Kinder rufen, was sie wollen, ys beleidigen und animalische oder saugende Laute machen, und alles fällt um Thal herum wie Tagetesblütenblätter zu Boden. Auf sys System läuft in dieser Nacht der Nächte STRANGE CLUB, FUGAZI SCHWIMMTANK und — wagt ys es, wagt ys es? — FUCK MIX.

Am Eingang zur Gasse zum Banana Club schiebt Thal den Ärmel hoch und programmiert glückseligschwebenderwartungsvollglimmend ein. Die Proteinchips werden aktiv, als sich die graue Holztür öffnet. Die blinde Vogelfrau im scharlachroten Sari ist da, den Kopf leicht zurückgelegt, Zwergbananen zwischen den Fingern. Es ist, als hätte sie sich seit Thals letztem Besuch nicht von der Stelle bewegt.

»Willkommen, willkommen, du reizendes Wesen! Hier, nimm dir.« Sie bietet ihm das Obst an. Thal schließt behutsam ihre Finger um die Bananen.

»Nein, nicht heute Abend.« Thal zögert, traut sich kaum zu fragen. »Ist jemand ...?«

Die blinde Frau zeigt zur obersten Galerie. Heute ist niemand hier, obwohl der Monat gerade erst begonnen hat. Gerüchte über Krieg und Regen. Unten im zentralen Hof führt ein Neut in einem langen wehenden Kleid einen Kathak mit einer Anmut auf, die den klassischen Stil weit hinter sich lässt. Der zweite Stock ist leer bis auf zwei Pärchen, die sich auf den Diwanen miteinander unterhalten. Im dritten Stock stehen lederne Clubsessel und niedrige Tische. Tischlaternen aus Messing verbreiten Glühwurmlicht. Der Chill-Bereich. Hier befindet sich an diesem Abend nur ein einziger Gast. Khan sitzt auf dem Sessel am Ende der Galerie, die Hände symmetrisch auf den Armlehnen, auf jene Weise, die für Thal schon immer eine zeitlose Eleganz hatte. Sehr englisch. Ihre Blicke treffen sich. Thal blinzelt einen Segen. Khan ist so süß, er versteht diese Sprache gar nicht. Thal streicht mit der Hand über das Holzgeländer. Bei der Montage wurde Sandelholz benutzt, das einen Pheromonimprint in Thals Handfläche hinterlässt.

»Oh, du bist es«, sagt Thal, als ys sich in einem Sessel niederlässt, der im rechten Winkel zu Khan steht. Ys wartet auf ein Lächeln, einen Kuss, irgendeine Begrüßung. Khan zuckt nervös mit einem leisen Grunzen zusammen. Auf dem niedrigen, dickbeinigen Tisch liegt ein weißer Umschlag. Thal zieht sys eigenen Brief hervor, ordentlich zusammengefaltet, und legt ihn neben den Umschlag. Ys schlägt die glatten Beine übereinander.

»Du könntest mir wenigstens sagen, dass ich umwerfend aussehe«, witzelt Thal.

Der Mann zuckt zusammen. Das stand nicht in seinem Drehbuch. Er schiebt Thal den Umschlag zu. »Bitte nimm das.«

Thal zieht die Klappe auf, lugt hinein, kann nicht glauben, was ys sieht, und blickt noch einmal, noch länger und noch fassungsloser hinein. Es ist ein Bündel aus Tausend-Rupien-Scheinen, insgesamt einhundert.

»Was ist das?«

»Es ist für dich.«

»Was, für mich? Das sind ...«

»Ich weiß.«

Thal legt den Umschlag wieder auf den Tisch. »Das ist sehr großzügig, aber ich muss ein wenig mehr darüber wissen, bevor ich es annehmen kann. Das ist verdammt viel Geld.«

Der Mann verzieht das Gesicht. »Ich kann dich nicht wiedersehen.«

»Was? Liegt es an mir? Was habe ich getan?«

»Nichts!« Dann leiser und mit Bedauern: »Nichts. Es liegt an mir, ich hätte niemals ... ich kann dich nicht wiedersehen. Ich hätte mich nicht einmal hier mit dir treffen sollen.« Er lacht gequält. »Hier schien es mir am sichersten zu sein ... Nimm es, es ist für dich, bitte nimm es an.«

Thal weiß, dass sys Mund offensteht. Was ys empfindet, kann es nur mit der Vorstellung vergleichen, wie es ist, wenn das Gehirn gegen die Schädelkapsel klatscht, nachdem man einen Cricketschläger gegen den Kopf bekommen hat. Außerdem spürt ys an der glatten heiligen Haut an sys Hinterkopf, dass noch jemand bei ihnen auf der Galerie im dritten Stock ist, ein Neuankömmling.