»Das bringt Unglück, weißt du.«
»Was bringt Unglück?«, fragt das Mädchen. Sie hat einen trägen, schleppenden Stadtakzent.
»Das.« Er tippt auf ihr Bauchjuwel. Sie zuckt zusammen, weicht aber nicht zurück, sondern balanciert ihr gyroskopisches Cocktailglas auf dem Geländer und dreht sich zu ihm um. Rote Ranken schrauben sich durch ihren klaren Cocktail. »Opale. Unglücksjuwelen. Das haben die englischen Viktorianer geglaubt.«
»Ich kann nicht sagen, dass ich mich besonders unglücklich fühle«, sagt das Mädchen. »Bringst du Unglück?«
»Von der schlimmsten Sorte«, sagt Shiv. Er entspannt sich, streckt sich entlang des Geländers aus und stößt dabei ihren Cocktail herunter. Er fällt wie eine Gottesträne, fängt das Licht ein wie ein Juwel. Von unten ist der Schrei einer Frau zu hören. »Und da hast du dein Unglück. Es tut mir wirklich leid. Ich würde dir einen Neuen holen.«
»Schon gut.«
Ihr Name ist Juhi. Shiv lenkt sie zu den Ticket-Kabinen. Yogendra reißt sich vom Anblick der hübschen Dinger los und folgt in diskretem Abstand. Die Kunda Khadars sind wirklich sehr kalt und sehr gut und sehr teuer. Das rote Zeug hat Zimtgeschmack, mit einem kleinen Schuss THC. Juhi plappert über den Club und die Leute. Shiv blickt zur VIP-Ebene hinauf. Die Nath-Geschwister haben sich auf eine noch höhere Ebene begeben, zwei Goldsterne unter der gewellten Plastik-Überdachung. Juhi tritt ihn sanft, vorspielerisch mit einem Gavialstiefel. Mit Federn und allem anderen.
»Ich sehe, dass du da hochschaust, Badmash. Für wen arbeitest du?« Juhi schiebt sich dichter an ihn heran.
Shiv nickt in Richtung der Naths, die von ihren finsteren Helfern umgeben sind.
Juhi verzieht das Gesicht. »Chuutyas. Du hast mit denen zu tun? Pass gut auf. Sie können machen, was sie wollen, weil sie Geld haben und die Polizei ihrem Papa gehört. Sie sehen wie Engel aus, aber im Innern sind sie finster und alt. Sie sind schlecht zu Frauen. Er will ficken, weil er im Kopf zwanzig Jahre alt ist, aber er kriegt keinen hoch, so dass er Hormone und Zeugs nehmen muss, und selbst dann läuft da nichts. Ich hab’s bei Hunden größer gesehen. Also benutzt er Spielzeug und andere Sachen. Und sie ist genauso übel. Sie schaut ihm zu, wie er spielt. Ich weiß das, weil eine Freundin von mir einmal mit ihnen mitgegangen ist. Beide sind gleich übel.«
Das russische Grrrl bemerkt Shivs Blick, nickt ihn zu sich herüber, und deinen kleinen Affen auch.
»Komm mit hoch«, sagt er zu Juhi. »Du musst sie nicht treffen.« Er denkt daran, wie es ist, wenn er sein Startkapital hat. Es wird mehr von diesen Kunda Khadars geben und ein Hotelzimmer und einen Platz mit Junkfood und einen Fernseher für Yogendra. Shiv spürt allmählich die Glut in seinem Bauch. Die Schultern gehen zurück. Das Kinn hoch. Der Schritt wird ausgreifender, leichter. Goldene Menschen drehen sich, um zu schauen, ihre Kunda Khadars wie kleine Morde in den Händen. In ihrer Mitte die goldenen Kinder. Nitish und Chunni Nath stehen Seite an Seite. Sie sind in identische Sherwanis mit Goldbrokat gekleidet. Ihre Gesichter sind glatt und babyfett und offener und unschuldiger, als sie es sein sollten. Das Haar von Chunni reicht ihr bis zur Taille. Nitish ist rasiert, seine Kopfhaut glänzt von Glimmerstaub. Shiv findet, dass er dadurch wie ein Krebskind aussieht. Sie lächeln. Jetzt kann er sehen, wo es sich verbirgt. In dem alten, alten Lächeln. Nitish winkt ihm zu.
»Mr. Faraji.« Die Stimme von Nitish Nath ist hoch und rein und schneidet durch den Mix. »Und der Junge ist?«
»Mein persönlicher Assistent.«
»Ich verstehe.«
Shiv spürt Schweißperlen unter seinem Leder. Jedes Wort, jede Nuance, jeder Klang und jede Muskelbewegung wird genau geprüft und gedeutet. Er bemerkt wieder diese Geruchsnote. Er weiß nicht, ob es wirklich oder eingebildet ist, aber immer wenn er mit Brahmanen zusammen ist, kann er die Falschheit riechen, die verkorksten Gene. Sie riechen nicht menschlich.
»Und die ... Frau?«
»Niemand. Habe ich gerade erst kennengelernt. Sie ist nichts.«
»Gut. Kommen Sie bitte mit.«
Es gibt eine Ebene über allen anderen, ein winziger Käfig aus Baustahlmatten, der am Hauptkran hängt. Shiv, Yogendra und Nitish Nath passen genau hinein wie die Fruchtsegmente in eine Orangenschale. All das Geplapper, die Echos, das Geschiebe der Körper, die still auf ihren gestaffelten Rampen tanzen, verstummt so plötzlich, dass Shiv ihre Abwesenheit als scharfen Schmerz empfindet.
»Dieser Bereich hat ein Stummfeld,« sagt Nitish Nath. Seine Stimme ist verflacht, für Shiv klingt sie, als würde er direkt an seinem Trommelfell sprechen. »Schlau, was? Sehr nützlich für heikle Geschäfte. Mit Ihrer bisherigen Leistung sind wir zufrieden, Mr. Faraji. Ihr geschäftsmäßiges Ethos ist erfrischend. Ihnen wurde angedeutet, dass es weitere Aufträge geben wird, wenn wir von Ihren Fähigkeiten überzeugt sind. Wir möchten Ihnen einen neuen Vertrag anbieten. Eine gefährliche Angelegenheit. Es besteht durchaus die Möglichkeit, dass Sie getötet werden. Als Gegenleistung werden wir Ihre Schulden bei den Dawoods abschreiben. Deren Maschinen werden Ihnen keinen Besuch mehr abstatten. Und wir werden genug drauflegen, damit Sie in dieser oder in jeder anderen Stadt ein gutes Leben führen können.«
»Was ist das für ein Job?«
»Eine Beschaffung, Mr. Faraji. Hier ist der Hintergrund. Das alles wird kaum Sinn für Sie ergeben, aber niemand soll sagen, Sie seien nicht vollständig informiert worden. Seit geraumer Zeit hat die Regierung der Vereinigten Staaten Lohnaufträge für geheimdienstliche Computerarbeiten vergeben, die sie unter den Bestimmungen ihrer Hamilton-Gesetze nicht selbst ausführen können. Sie benutzen routinemäßig Datenoasen in Ländern, die das internationale Abkommen nicht unterzeichnet und Zugang zu höherer künstlicher Intelligenz haben. Wissen Sie, was Generation Zwei Komma Fünf bedeutet?«
»Ein Computer, den man in fünfundsiebzig Prozent aller Fälle nicht von einem Menschen unterscheiden kann.«
»Eine gute Zusammenfassung. Alles, was über Zwei Komma Fünf hinausgeht, ist gesetzlich verboten. Alles darunter muss lizensiert werden. Bharat ist kein Unterzeichnerstaat, aber das Land setzt aus eigener Initiative eine Lizensierung von allem bis zu Zwei Komma Sieben Fünf durch. Das dient dem Schutz der vorherrschenden Position im Medienmarkt, nicht zuletzt durch Stadt und Land. Unser Kunde hat in Erfahrung gebracht, dass ein Bharati-Sundarban eine Dekodierung für die Vereinigten Staaten vornimmt — die NASA, das Pentagon und die CIA sind beteiligt, was ungewöhnlich ist, uns aber einen Hinweis auf die Wichtigkeit der Dekodierungsarbeit gibt. Unser Kunde will diesen Dekodierungsschlüssel.«
»Was genau soll ich machen?« Das Stummfeld lässt Shivs Backenzähne schmerzen.
Nitish Nath klatscht in die kleinen pummeligen Hände. »Sehr professionell! Die Mission besteht aus zwei Teilen. Punkt eins: Finden Sie heraus, welcher Sundarban die Dekodierung vornimmt. Punkt zwei: Infiltrieren Sie ihn und stehlen Sie den Schlüssel. Wir wissen, dass dieser Mann vor drei Wochen in Bharat angekommen ist.« Nitish Nath hält eine Hand hoch. Er trägt einen Palmer-Handschuh. Er zeigt Shiv einen Videoclip mit einem bärtigen Westler in der schlabbrigen Kleidung, die diese Leute meistens tragen und die ihnen nie passt. Er wurde dabei aufgenommen, wie er aus einem Phatphat aussteigt, nach rechts und links den Verkehr überblickt und sich dann durch die Menge zu einer Bar in Kashi schiebt. Der Clip beginnt wieder von vorn. »Sein Name ist Hayman Dane, er ist Amerikaner, ein freiberuflicher Krypto-Spezialist.«
Shiv betrachtet den dicken Mann genau. »Ich glaube, ihm stehen große Schmerzen bevor.«
Nitish Nath kichert. Es ist ein Geräusch, das Shiv nicht noch einmal hören möchte. »Wenn Sie wissen, wo er sich aufhält, und einen Plan haben, wie die Beschaffung arrangiert werden soll, wird unser Kunde für Ihre Ausgaben aufkommen, zusätzlich zu Ihrer großzügigen Vergütung. Können wir jetzt von hier verschwinden? Allmählich ekle ich mich vor Ihrem Körpergeruch.«