Выбрать главу

»Wir sind gerade dabei.«

Yogendra müsste inzwischen fast da sein. Der Parkplatz vor dem Hotel war reserviert, eine Vereinbarung mit dem Portier. Er würde jetzt das Fenster herunterfahren, nach dem Stinger auf dem Beifahrersitz greifen. Keine Waffen. Shiv hasste Waffen. Du hast nur einen Versuch, Junge, mach es richtig.

Shiv lehnte sich auf dem niedrigen bestickten Diwan zurück. Der Kaffee blubberte auf dem Dreifuß über der Kohlenpfanne. Anand goss zwei frische Tassen ein. Er sieht vielleicht wie ein Lavda aus, aber er macht seine Sache gut, dachte Shiv.

»Meine nächste Frage?«

»Wie sehr glaubst du an Verschwörungstheorien?«

»Ich halte grundsätzlich nicht viel von Theorien.«

»Jeder hat eine Theorie, mein Freund. Theorie ist die Grundlage von allem. Der Bruder der Frau meines Vetters macht Datenverarbeitung für die ESA, und da gibt es folgendes Gerücht. Kannst du dich daran erinnern, dass die Amerikaner und Russen und Chinesen und Europäer vor einiger Zeit bekanntgaben, dass sie eine unbemannte Mission nach Tierra schicken wollten?«

Shiv schüttelte den Kopf. Nach der zweiten Tasse schien sich Anands Stimme in einem Schwall von Geschichten auszubreiten, als würde seine Mutter ihm eine Heldengeschichte von Rama und dem verwegenen Hanuman erzählen.

»Der erste EXP? Erdähnlicher extrasolarer Planet? Nein? Wie auch immer, sie fanden diesen Planeten Tierra, und es gab ein großes Trara auf den Nachrichtenkanälen, man sei dabei, eine Sonde zu bauen, die hinfliegen sollte. Und jetzt kommt die Verschwörung: Es gibt gar keine Tierra-Mission. Hat es nie gegeben. Alles ist nur ein Vorwand für das, was sie wirklich da oben treiben. Das Gerücht besagt, dass sie etwas entdeckt haben. Etwas, das Gott nicht geschaffen hat und das auch nicht von uns stammt. Eine Art Objekt, und es ist alt. Verdammt alt. Ich meine, nicht nur Millionen, sondern Milliarden Jahre alt. Kannst du dir das vorstellen? Arahbs von Jahren. Brahma-Zeitalter. Sie haben eine Menge Schiss bekommen — so viel Schiss, dass sie bereit sind, ihre Sicherheit aufs Spiel zu setzen und zu den Einzigen zu gehen, die richtig mit Quanten-Kryptologie zurechtkommen. Zu uns.« Er stieß den Daumen auf seine Brust.

Der Amerikaner dürfte jetzt rauskommen, dachte Shiv, mit dem süßen Rauch im Luftwürfel schweben, der den Hof erfüllt, weg von den leeren Worten der Straße, wo die Frauen arbeiteten und der große Mietwagen mit der Nadel wartete. Er wird aus der Tür kommen, blass und blinzelnd und gleichgültig. Er wird nicht einmal nach dem Auto schauen. Er wird an Kaffee und Donut, Kaffee und Donut, Kaffee und Donut denken. Es ist die Gewohnheit, die uns tötet. Shiv hörte das Fauchen des Stingers. Er sah die Knie des dicken Mannes einknicken, als die Chemikalien seine motorischen Neuronen überlasteten. Er sah Yogendra, der ihn nach hinten ins Auto verfrachtete. Er lächelte über das magere Straßenkind, das versuchte, den großen Mann durch die Heckklappe zu wuchten.

Shiv saß auf dem weichen Kissen, die Hände auf die Knie gelegt. Die frühen Wolkenstreifen verbrannten, der Himmel wurde blau. Ein weiterer knochentrockener Tag. Von fern konnte er ein Radio hören. Der Ansager schien von etwas sehr begeistert zu sein. Laute Stimmen, Debatten, eine Tonlage, die abstritt. Er legte den Kopf zurück und sah dem Dampf des Kaffees zu, der sich nach oben kräuselte, bis er ihn durch ein Blinzeln mit den Kondensstreifen eines Jets verschmelzen konnte. Der Nepali Temple Ball sagte: Glaube. Glaube, dass nichts feststeht, dass alles glaubwürdig ist. Es ist ein großes Universum. Scheiße. Das Universum war eng und gemein und zusammengestaucht in einem Keil aus Helligkeit und Musik und Haut, ein paar Jahrzehnte lang und nicht breiter als dein peripheres Blickfeld. Leute, die was anderes glaubten, waren Amateure.

»Und meine dritte Frage?«

Yogendra musste ihn jetzt haben, irgendwie nach hinten verladen haben, bevor die Zuckungen nachließen. Er würde sich in den Verkehr eingefädelt haben, fickt euch, ihr Autos, Taxis, Phatphats, Lastwagen, Busse, Mofas und heiligen Kühe. Er würde ihn herschaffen.

Anands Augen weiteten sich, als würden sie eine Wahrheit erkennen, die selbst für einen aufstrebenden Datenraja und Verschwörungstheoretiker zu viel war.

»Jetzt kommt der eigentliche Wahnsinn. Man legt sich nicht mit den Naths an, aber es gibt Gerüchte, mit wem sie zusammenarbeiten, wer ihr Kunde sein könnte.«

»Verschwörungen und Gerüchte.«

»Wenn es keinen Gott gibt, dann sind sie alles, was einem bleibt.«

»Der Kunde?«

»Niemand anderer als Mister Herzallerliebst höchstpersönlich, Freund der Armen und Held der Unterdrückten, Geißel der Ranas und Hammer der Awadhis: der ehrenwerte N. K. Jivanjee!«

Shiv nahm sich die dritte Tasse angereicherten Kaffees.

Shiv steht auf und geht langsam zur vordersten Sitzreihe, wie es das Stück vorsieht. Das ist das Zeichen für Yogendra, auf den Sand herunterzuspringen. Er schlendert zu Hayman Dane, der jetzt keucht. Yogendra dreht seinen Kopf zu einer Seite, dann zur anderen, betrachtet ihn, als sei er eine exotische Frucht. Yogendra hockt sich hin, achtet darauf, dass Hayman Dane sehen kann, was er macht, und hebt das abgetrennte Ohrläppchen auf. Er tänzelt zum Käfig mit dem Mikrosäbler und lässt das Stück Ohr vorsichtig durch die Stäbe fallen. Ein Schnappen. Shiv kann das Knirschen hören, leise, aber deutlich. Hayman Dane schreit, ein schrilles, in die Hose pissendes, wehklagendes Stöhnen, der Schrei eines Mannes in letzter Todesangst, der Schrei eines Mannes, der kein Mann mehr ist. Shiv verzieht das Gesicht, als er die hässlichen, ungebührlichen Laute hört. Er erinnert sich an den Anblick, den er bot, als Yogendra ihn durch den Tunnel in den Ring brachte, wie Yogendra ihn mit den Händen weiterstieß. Der dicke Mann machte tippelnde, trottende Schritte aus Furcht, das Gleichgewicht zu verlieren, gaffte, blinzelte, um zu begreifen, wohin man ihn gebracht hatte. Jetzt sieht Shiv den Pinkelfleck, der sich warm und dunkel wie Fruchtwasser über seine hellbraunen Shorts ausbreitet. Er kann nicht glauben, dass sich dieses weiße, westliche, käufliche Genie auf ein so törichtes Ende einlässt.

Yogendra hüpft zurück auf das Geländer. Sai geht zum Käfig. Sie hebt den Mikrosäbler hoch und beginnt mit ihrer Parade, einen Fuß langsam vor den anderen setzend. Schritt Schritt Schritt, Drehung. Schritt Schritt Schritt, Drehung. Der rituelle Tanz, der Shiv bezaubert und verführt hat, in jener Nacht, in der er sie in diesem Ring und auf diesem Sand gesehen hat. In der Nacht, als er alles verlor. Und nun tanzt sie für ihn. Es liegt etwas Uraltes darin, die Frau, die auf dem Kampfboden stelzt, machtvoll, ein Tanz der Kali. Der Mikrosäbler müsste ihr das Handgelenk aufschlitzen, ihr eine Seite des Kopfes abreißen. Doch er hängt in der Luft, von Händen liebkost, hypnotisiert.

Shiv geht jetzt zur vordersten Sitzreihe. Ringplatz.

»Ich frage Sie, Hayman Dane. Wo ist der Sundarban?«

Sai kauert sich vor ihm nieder, das eine Bein untergeschlagen, das andere zur Seite ausgestreckt. Sie fixiert Hayman Danes weinerliche Augen. Sie hängt sich die Katze um den Hals. Shiv hält den Atem an. Das hat er noch nie gesehen. Er hat eine schnelle, harte, erfreuliche Erektion.

»Chunar«, schluchzt Hayman Dane. »Im Chunar Fort. Ramanandacharya. Sein Name ist Ramanandacharya. Machen Sie meine Hände los, Mann! Machen Sie meine verdammten Hände los!«

»Noch nicht, Hayman Dane«, sagt Shiv. »Es muss einen Dateinamen und einen Kode geben.«

Der Mann ist jetzt hysterisch, ein Tier ohne Gedanken oder Geist.

»Ja!«, schreit er. »Ja, machen Sie einfach meine Hände los!«

Shiv nickt Yogendra zu. Der Junge kräht wie ein Hahn, flitzt zu dem Amerikaner und schließt die Handschellen auf. Hayman Dane schreit, als der Blutkreislauf in seine Gelenke zurückkehrt.

»Fick dich, Mann. Fick dich«, murmelt er, aber darin liegt jetzt kein Widerstand mehr.