Shiv hebt einen Finger. Sai streichelt den ramponierten Kopf ihres Mikrosäblers, Millimeter neben ihrem rechten Auge.
»Der Name und der Schlüssel, Hayman Dane.«
Der Mann hebt die Hände: Schau, ich bin unbewaffnet, hilflos, keine Bedrohung oder Gefahr. Er kramt in der Brusttasche des kitschigen Hemds. Er hat größere Titten als manche Frauen, die Shiv gefickt hat. Er hält seinen Palmer hoch.
»Sehen Sie? Er war die ganze Zeit in meiner verdammten Tasche.«
Shiv hebt einen Finger. Yogendra schnappt sich den Palmer, schwingt sich über das Geländer zu den Sitzreihen. Sai streichelt den ramponierten Kopf ihres Mikrosäblers.
»Lassen Sie mich jetzt gehen, Mann. Sie haben, was Sie wollten, lassen Sie mich jetzt gehen.«
Yogendra ist bereits halb den Gang rauf. Sai ist wieder auf den Beinen, geht zum Tunnel zurück. Shiv steigt die flachen Stufen hinauf, eine nach der anderen.
»He, was soll ich jetzt machen?«
Sai steht am Tor. Sie schaut Shiv wartend an. Shiv hebt einen Finger. Sai dreht sich um und wirft den Mikrosäbler in den Ring aus blutigem Sand. Schweinezeit.
27
Shaheen Badoor Khan
Sajida Rana beugt sich in einem weißen Yukata über die Balustrade aus gemeißeltem Stein und bläst den Rauch in die frühmorgendliche duftende Dunkelheit.
»Sie haben mich in den Arsch gefickt, Khan.«
Shaheen Badoor Khan hat geglaubt, er könnte keine schrecklichere Übelkeit, keine erdrückenderen Schuldgefühle, keine vernichtendere Demütigung empfinden, während sein Dienstwagen morgens um drei Uhr durch die Straßen zum Bhavan der Ranas gerollt war. Er hatte beobachtet, wie das Thermometer im Armaturenbrett gestiegen war. Endlich kommt der Monsun, hatte er gedacht. Es ist jedes Mal unerträglich, bevor das Wetter umschlägt. Doch er hat Eis gesehen, Bangla-Eis. Die States of Bengal und ihr gezähmter Eisberg hatten den Eiszauber bewirkt. Er versuchte ihn sich vorzustellen, im Golf von Bengalen verankert, mit blinkenden Navigationslichtern markiert. Er hat die Möwen gesehen, die darüber kreisten. Was auch immer geschieht, der Regen wird auf mich und auf diese Straßen fallen. Ich bin gestrauchelt, dachte er. Ich wurde zu Boden geworfen. Tiefer hinunter geht es nicht mehr. Auf der Veranda des Rana Bhavan versteht er, dass er noch nicht einmal den Kontinentalschelf erreicht hat. Bis zur Tiefseeebene geht es noch einmal zehn Kilometer runter, bis zur erdrückenden Finsternis. Und über ihm ist Eis, eine Eisschicht, die er niemals durchbrechen kann.
»Ich weiß nicht, was ich sagen soll.«
Es klingt so schwach. Und es ist eine Lüge. Er weiß, was er sagen sollte. Er hat es geübt, während er im Phatphat zum Haveli zurückgefahren war. Die Worte, die Reihenfolge der Geständnisse, die Offenlegung lebenslanger Geheimnisse, alles war in einem Schwung auf ihn eingestürzt, und in seinem Kopf war alles perfekt geordnet gewesen. Er hatte gewusst, was er tun musste. Aber er muss die Gelegenheit erhalten, es zu tun. Sie muss ihm diese Gnade gewähren.
»Ich glaube, ich habe etwas mehr verdient«, sagt Sajida Rana.
Shaheen Badoor Khan hebt in exquisiter Qual eine Hand, aber es lässt sich nichts beschwichtigen oder beschönigen. Er hat keine Gnade verdient.
In der alten Zenana hatten die Lampen gebrannt. Als er im Säulengang stand, hatte Shaheen versucht, die Stimmen der Frauen herauszuhören. An den meisten Abenden waren Gäste da, Schriftstellerinnen, Anwältinnen, Politikerinnen, Meinungsmacherinnen. Sie redeten stundenlang, über alle Kastengrenzen hinweg. Bilquis sollte es zuerst erfahren, noch vor seiner Premierministerin, aber nicht vor Gästen. Niemals vor anderen.
Der Chauffeur Gohil kam verschlafen mit einer heruntergerollten Socke im Schuh herangehumpelt und unterdrückte ein Gähnen. Er wendete den Dienstwagen im Hof.
»Zum Rana Bhavan«, wies Shaheen Badoor Khan an.
»Worum geht es, Sahb?«, fragte Gohil, während er durch das Automatiktor fuhr und sich in den ewig kriechenden Verkehr einfädelte. »Eine wichtige Staatsangelegenheit?«
»Ja«, sagte Shaheen Badoor Khan. »Eine Staatsangelegenheit.« Als der Wagen die Kreuzung erreichte, hatte er auf dem Regierungsnotepad in der Armlehne seinen Rücktrittsbrief fertig geschrieben. Dann nahm er seinen Hoek, stellte ihn auf Audio und rief die Nummer an, die er sich seit dem Tag eingeprägt hatte, als er ins Büro der Premierministerin eingeladen worden war und man ihm die Rolle des Großwesirs angeboten hatte. Die Nummer, von der er insgeheim erwartet hatte, sie niemals wählen zu müssen.
»Shah.« Er hörte Sajida Ranas Atem zittern. »Gott sei Dank sind Sie es. Ich dachte schon, unser Land wäre angegriffen worden.«
Shaheen Badoor Khan stellte sich die Frau in ihrem Bett vor. Es musste weiß sein, groß und weiß. Das Licht wäre ein kleiner, seichter Teich um eine Lampe. Sie würde sich über einen Nachtschrank beugen. Ihr Haar wäre offen, und es würde ihr dunkel über das Gesicht fallen. Er versuchte sich vorzustellen, was sie im Bett trug. Du hast deine Regierung verraten, deine Nation, deinen Glauben, deine Ehe, deine Würde, und du überlegst dir, ob deine Premierministerin nackt schläft? Narendra wäre an ihrer Seite, zu einem weißen Zylinder zusammengerollt, der sich herumdreht. Schlaf weiter, Staatsangelegenheiten. Es war allgemein bekannt, dass sie immer noch zusammen schliefen. Sajida Rana war eine lustbetonte Frau, aber sie hatte auf ihrem Familiennamen beharrt.
»Premierministerin, ich muss mit sofortiger Wirkung meinen Rücktritt einreichen.«
Ich hätte die Trennwand hochkurbeln sollen, dachte Shaheen Badoor Khan. Es hätte eine Glasscheibe zwischen mir und Gohil sein sollen. Aber wozu die Mühe? Am Morgen wird er alles sehen können. Jeder wird alles sehen können. Wenigstens hat er dann eine gute Geschichte zu erzählen, durchsetzt von Tratsch und Mitgehörtem.
»Shah, was ist das für ein Blödsinn?«
Shaheen Badoor Khan wiederholte sich wortwörtlich und fügte dann hinzu: »Premierministerin, ich habe mich in eine Position gebracht, die eine Gefährdung der Regierung darstellt.«
Ein leiser Seufzer wie eine entschwindende Seele. Ein müder, erschöpfter Seufzer. Ein Rascheln von feinem, frischem, sauber riechendem weißem Leinen.
»Ich glaube, Sie sollten herkommen.«
»Ich bin schon unterwegs, Premierministerin«, sagte Shaheen Badoor Khan, aber sie hatte die Verbindung bereits unterbrochen, und er hörte nur noch das cyberstatische Zenrauschen in der Abgeschiedenheit seines Schädels.
Sajida Rana steht an der weißen Balustrade, die Hände fest um das Geländer geschlossen.
»Wie detailliert sind die Aufnahmen?«
»Mein Gesicht ist deutlich erkennbar. Niemand wird daran zweifeln, dass ich es bin. Premierministerin, man hat mich fotografiert, wie ich dem Neut Geld gebe.«
Sie bleckt die Zähne, schüttelt den Kopf, zündet sich eine weitere Zigarette an. Shaheen Badoor Khan hat sich niemals vorgestellt, dass sie rauchen könnte. Ein weiteres Geheimnis seiner Premierministerin, ähnlich wie ihr loses Mundwerk. Das muss der Grund sein, warum sie ihn mit nach draußen genommen hat, um den Rauch aus dem Rana Bhavan fernzuhalten. Erstaunlich, wie viele Details ihm auffallen.
»Ein Neut.«
Jetzt beginnt das innere Absterben. In dieser einen Silbe liegt all ihre Abscheu und Verständnislosigkeit, all ihre Enttäuschung und Wut.
»Sie sind ... ein Gender ...«
»Ich weiß, was sie sind. Dieser Club ...«
Ein weiterer Brocken wird ihm aus dem Körper gerissen. Der Schmerz ist grausam, verflüchtigt sich aber schon im nächsten Moment. Es ist eine große Erleichterung, ausnahmsweise die Wahrheit sagen zu können.
»Dorthin gehen Leute, die Neuts treffen wollen. Leute, für die Neuts sexuell attraktiv sind.«
Rauch steigt senkrecht von Sajida Ranas Zigarette auf, bevor er sich in träge Zickzackschwaden auflöst. Die Luft ist wunderbar still. Selbst das ewige Dröhnen der Stadt ist gedämpft.