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»Verraten Sie mir eins. Was haben Sie gedacht, was Sie mit ihnen tun könnten?«

Es ging nie darum, etwas zu tun, möchte Shaheen Badoor Khan erklären. Das ist etwas, das du nie verstehen wirst, wenn du aus deinem warmen, weichen Bett kommst und immer noch den Geruch deines Ehemannes an dir hast. Das ist etwas, das die Neuts immer verstanden haben. Es geht nicht ums Tun. Es geht ums Sein. Deshalb gehen wir dorthin, in diesen Club, um zu sehen, um im Kreis der Wesen aus unseren Phantasien zu sein, Wesen, nach denen wir uns schon immer gesehnt haben, aber zu denen wir selbst nie werden, weil wir nicht den Mut dazu haben. Für dieses kurze stechende Brennen der Schönheit.

Doch Sajida Rana gibt ihm gar nicht die Gelegenheit, all das zu sagen. »Ich muss gar nicht mehr wissen. Es besteht natürlich keine Hoffnung, dass Sie ein Mitarbeiter der Regierung bleiben.«

»Das habe ich keinen Augenblick lang erwartet, Premierministerin. Ich wurde in eine Falle gelockt.«

»Das ist keine Entschuldigung. Im Gegenteil, dadurch wird es sogar noch ... Was haben Sie sich dabei gedacht? Nein, antworten Sie nicht. Wie lange geht das schon?«

Eine weitere falsche, verständnislose Frage.

»Den größten Teil meines Lebens. So lange ich mich zurückerinnern kann. Schon immer.«

»Was Sie gesagt haben, als wir vom Damm zurückkehrten ... als Sie sagten, dass es sich zwischen Ihnen und Ihrer Frau abgekühlt hat ... verdammte Scheiße, Khan ...« Sajida Rana drückt den aufgerauchten Stummel mit dem Absatz ihres weißen Satinhausschuhs aus. »Sie haben es ihr doch erzählt, oder?«

»Nein, das nicht.«

»Was dann?«

»Sie weiß von meinen ... Vorlieben. Sie weiß es schon seit einiger Zeit. Seit langer Zeit.«

»Wie lange?«

»Jahrzehnte, Premierministerin.«

»Hören Sie auf, mich so zu nennen! Nennen Sie mich nicht so! Sie waren zwanzig Jahre lang ein Sicherheitsrisiko für diese Regierung, und Sie haben die Unverfrorenheit, mich weiterhin zu premierministrieren? Ich habe Sie gebraucht, Khan. Wir könnten verlieren. Ja, wir könnten diesen Krieg verlieren. Die Generäle haben mir all die Satellitenbilder gezeigt und ihre Kaih-Modelle, und sie selber sagen, dass die Awadhis Truppen in den Norden gegen Jaunpur vorrücken lassen. Ich bin mir da nicht so sicher. Es ist viel zu offensichtlich. Die Awadhis haben sich noch nie offensichtlich verhalten. Ich habe Sie gebraucht, Khan, um mich gegen diesen Idioten Chowdhury durchzusetzen.«

»Es tut mir leid, es tut mir unendlich leid.« Aber er will gar nicht hören, was seine Premierministerin zu sagen hat. Er hat alles schon mehrmals gehört, er hat es sich immer wieder selbst gesagt, während der Wagen durch den erstickenden Morgen gefahren war. Shaheen Badoor Khan will reden, damit all die Dinge, die er ein Leben lang weggepackt hat, wie Wasser über die steinernen Lippen einer Springbrunnenfigur in irgendeiner dekadenten europäischen Stadt sprudeln. Jetzt ist er frei. Jetzt gibt es kein Geheimnis mehr, keine Zwänge, und er möchte so sehr, dass sie versteht, dass sie sieht, was er sieht, fühlt, was er fühlt, seinen Schmerz nachempfindet.

Sajida Rana setzt sich seufzend auf die Balustrade. »Es regnet in Maratha, wussten Sie das? Der Monsun wird hier sein, bevor die Woche zu Ende ist. Die Wolken bewegen sich über den Dekkan. In diesem Moment tanzen die Kinder von Nagpur im Regen. Noch ein paar Tage, und sie werden auf den Straßen von Varanasi tanzen. Drei Jahre. Ich hätte warten können. Ich musste den Damm nicht besetzen. Aber ich durfte es nicht riskieren, länger zu warten. Also lasse ich jetzt meine Bharati-Jawans auf dem Damm von Kunda Khadar patrouillieren. Welchen Eindruck wird das auf die einfachen Menschen von Patna machen? Aber Sie hatten recht. Wir haben N. K. Jivanjee in den Arsch gefickt. Und jetzt rächt er sich an mir. Wir haben ihn unterschätzt. Sie haben ihn unterschätzt. Das ist das Ende von uns beiden.«

»Premier... Mrs. Rana, wir wissen nicht ...«

»Wer sonst? Sie sind nicht so clever, wie Sie glauben, Khan. Keiner von uns ist das. Ihr Rücktrittsgesuch wurde angenommen.« Dann beißt Sajida Rana die Zähne zusammen und schlägt mit der Faust gegen die Kalksteinbrüstung. Blut tritt aus ihren Fingerknöcheln hervor. »Warum haben Sie mir das angetan? Ich hätte Ihnen alles gegeben. Und Ihre Frau, Ihre Jungs ... Warum gehen Männer solche Risiken ein? Ich werde mich von Ihnen lossagen.«

»Natürlich.«

»Ich kann Sie nicht mehr beschützen. Shaheen, ich weiß nicht, was jetzt mit Ihnen geschehen wird. Verschwinden Sie aus meinem Blickfeld. Wir können uns glücklich schätzen, wenn wir diesen Tag überleben.«

Als Shaheen Badoor Khan mit knirschenden Schritten über den geharkten Kies zum Dienstwagen zurückläuft, beleben sich die dunklen Bäume und Büsche um ihn herum mit Vogelgezwitscher. Einen Augenblick lang denkt er, dass all die Lügen seines Lebens in seinem inneren Ohr klingeln, während sie sich hinaus und ans Licht drängeln. Dann wird ihm klar, dass es die Overtüre des Dämmerungschors ist, die Botenvögel, die bereits in dunkler Nacht singen. Shaheen Badoor Khan hält inne, dreht sich, hebt den Kopf, lauscht. Die Luft ist warm, aber schneidend klar und gegenwärtig. Er atmet reine Dunkelheit. Er spürt den Himmel als Kuppel über sich, und jeder Stern ist ein nadelfeiner Lichtstrahl, der ihm ins Herz sticht. Shaheen Badoor Khan spürt, wie das Universum um ihn rotiert. Er ist gleichzeitig die Achse und der Motor, Subjekt und Objekt, er dreht und wird gedreht. Ein winziges Ding, ein kleines Lied, das zusammen mit zahllosen anderen in der gewaltigen Dunkelheit widerhallt. Die Zeit wird die Wogen seiner Taten und Untaten glätten, die Geschichte wird seinen Namen im Staub der Allgemeinheit einebnen. Es hat nichts zu bedeuten. Zum ersten Mal, seit die Fischerkinder im Sonnenuntergang von Kerala planschten und spielten, versteht er, was Freiheit ist. Freude flammt in der Mulde seines Manipura-Chakras auf. Der sufistische Moment der Selbstlosigkeit, der Zeitlosigkeit. Gott im Unerwarteten. Er hat es nicht verdient. Das Geheimnis dabei ist, dass es niemals zu denen kommt, die glauben, es verdient zu haben.

»Wohin, Sahb?«

Verantwortungen. Nach der Erleuchtung die Pflicht.

»Zum Haveli.« Von nun an geht es nur noch bergab. Die Worte, die einmal ausgesprochen wurden, lassen sich so leicht wiederholen. Sajida Rana hatte recht. Er hätte es ihr sofort sagen müssen. Die Anschuldigung hat ihn überrascht: Shaheen Badoor Khan ist nachhaltig daran erinnert worden, dass seine Premierministerin eine Frau ist, eine verheiratete Frau, die nicht bereit war, den Namen ihres Ehemannes anzunehmen. Er polarisiert die Autofenster dunkel gegen neugierige Augen.

Bilquis hat es nicht verdient. Sie hat einen guten Ehemann verdient, einen wahren Mann, der sie niemals in der Öffentlichkeit bloßstellen würde, selbst wenn sie ihn nicht mehr liebt oder das Bett mit ihm teilt, selbst wenn sie kein gemeinsames Leben mehr führen. Einen Mann, der lächelt und die richtigen Worte sagt, der nie zulässt, dass sie vor den Damen ihres Juristinnenzirkels vor Scham das Gesicht bedecken muss. Er hat alles gehabt — das hat auch Sajida Rana gesagt —, aber er konnte trotzdem nicht verhindern, dass er selbst alles zerstört. Er hat wahrhaftig verdient, was mit ihm geschehen ist. Dann schlägt auf dem sonnenrissigen Ledersitz des Regierungsfahrzeugs plötzlich Shaheen Badoor Khans Wahrnehmung um. Er hat es nicht verdient. Niemand hat es verdient, und alle haben es verdient. Wer kann sich mit erhobenem Haupt anmaßen, über ihn zu urteilen? Er ist ein guter Berater, der beste Berater, den es gibt. Er hat seinem Land gute und weise Dienste geleistet. Es braucht ihn immer noch. Vielleicht kann er untertauchen, sich wie eine Kröte während der Trockenzeit tief in den Schlamm eingraben und darauf warten, dass sich das Klima ändert.

Das erste Licht des Morgens fällt auf die Straßen, während der Dienstwagen weitersurrt, sanft wie ein Nachtfalter. Shaheen Badoor Khan erlaubt sich in seinem verdunkelten Glaskasten ein Lächeln. Der Wagen biegt um die Ecke, wo der Sadhu auf einem Betonblock sitzt, den einen Arm in einer Schlinge erhoben, die an einem Laternenpfahl befestigt ist. Shaheen Badoor Khan kennt diesen Trick. Nach einiger Zeit verliert man jedes Gefühl. Der Wagen hält unvermittelt an. Shaheen Badoor Khan muss die Arme ausstrecken, um nicht zu fallen.