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»Was gibt es?«

»Schwierigkeiten, Sahb.«

Shaheen Badoor Khan entpolarisiert das Fenster. Die Straße vor ihnen wird von frühem Verkehr blockiert. Die Leute haben die Taxis verlassen und lehnen sich gegen die offenen Türen, um das Spektakel zu beobachten, das sie an der Weiterfahrt hindert. Körper fließen über die Kreuzung, schemenhafte Männer in weißen Hemden und dunklen Hosen und junge Männer mit Schnurrbartansatz bewegen sich im stetigen, wütenden Trab, und die Lathis in ihren Händen wippen auf und ab. Eine Batterie Trommler kommt vorbei, gefolgt von einer Grupper wilder Frauen in Kali-Rot, mit weißer Asche eingeriebene Naga Sadhus, die simple Shiva-Trishuls schwenken. Shaheen Badoor Khan beobachtet, wie eine große Ganesha-Figur aus rosafarbenem Pappmaché in sein Blickfeld rumpelt, knallbunt, im zunehmenden Licht fast fluoreszierend. Sie schwankt hin und her, unbeholfen gelenkt von barbeinigen Puppenspielern. Hinter Ganesha ein noch erstaunlicherer Anblick: der wogende orange-rote Turm einer Rahta Yatra. Und Fackeln. Jeder Teilnehmer und jeder Läufer hält Feuer in der Hand. Shaheen Badoor Khan wagt es, das Fenster einen Spaltweit zu öffnen. Eine Lawine aus Lärm stürzt auf ihn ein, ein gewaltiges, unausgeformtes Grölen. Individuelle Stimmen schälen sich heraus, nehmen ein Thema auf, tauchen wieder unter. Sprechgesänge, Gebete, Parolen, Nationalhymnen, Choräle der Karsevaks. Er muss gar nicht die Worte verstehen, um zu wissen, wer sie sind. Der riesige Mahlstrom aus Demonstranten um den Sarkhand Roundabout ist ausgebrochen und strömt nun durch Varanasi. Das würden diese Menschen nur tun, wenn ihr Hass ein größeres Ziel gefunden hat. Shaheen Badoor Khan weiß, wohin sie mit den Fackeln in den Händen unterwegs sind. Die Nachricht ist an die Öffentlichkeit gelangt. Er hat gehofft, dass es etwas länger dauert.

Shaheen Badoor Khan blickt sich um. Die Straße ist immer noch frei.

»Bringen Sie mich von hier weg.«

Gohil gehorcht ohne Nachfrage. Der große Wagen setzt zurück, wendet und hupt wütend den Verkehr an, als er über den Betonmittelstreifen fährt und knirschend auf die andere Straßenseite wechselt. Bevor Shaheen Badoor Khan das Fenster verdunkelt, erkennt er im Osten eine Rauchwolke am Himmel, ölig wie brennendes Fett von einem Scheiterhaufen vor der gelben Morgendämmerung.

28

Thal

Das Phatphat hat kein Ziel, es fährt einfach nur. Thal hat dem Taxifahrer einen Strauß Rupien zugeworfen und genau das gesagt: einfach nur fahren.

Ys muss verschwinden. Den Job aufgeben, die Wohnung, alles, was ys sich in Varanasi aufgebaut hat. Irgendwohin gehen, wo niemand sys Namen kennt. Mumbai. Zurück zu Mum. Zu nahe. Zu zickig. In den tiefen Süden. Bangalore, Chennai. Dort gibt es große Medienindustrien. Ein guter Designer findet dort immer Arbeit. Aber selbst Chennai ist vielleicht nicht weit genug weg. Wenn ys sys Namen ändern könnte, noch einmal sys Gesicht ... Ys könnte sich über Patna absetzen, nach einer weiteren Behandlung durch Nanak. Setz es auf die Rechnung. Falls ys bei Nanak noch kreditwürdig ist. Ys müsste sich bald einen neuen Job besorgen. Ja, das ist es. Alles zusammenpacken, dann zum Bahnhof und nach Patna fahren, sich eine neue Identität zulegen.

Thal tippt dem Fahrer auf die Schulter. »Zum White Fort.«

»Da fahre ich nachts nicht hin.«

»Ich zahle Ihnen den doppelten Preis.«

Ys hätte das Geld annehmen sollen. Das Bargeld in sys Handtasche versickert wie Wasser in trockenem Sand. Die Karten, die noch nicht am Limit sind, stehen kurz davor. Eine Crore Rupien, unauffindbar, unaufhaltsam, eine Abhebung, damit könnte ys überall hinkommen. An jeden Ort des Planeten. Aber das würde bedeuten, dass ys sys Rolle annimmt. Wer hat geschrieben, dass ys bestraft werden muss? Was hat ys getan, um diese globale Schmach ertragen zu müssen? Thal betrachtet sys kleines Leben, dröselt die furchtbaren Schwachstellen auf, die ys in eine gedankenlose politische Waffe verwandelt haben. Fremd, allein, isoliert, neu. Man hat ys von dem Moment an beobachtet, als ys aus dem Shatabdi gestiegen ist. Tranh, die Nacht des lodernden Rausches im Flughafenhotel — der beste Sex, den ys je hatte —, die Tempelparty, die cremefarbene Einladung mit Goldrand, die ys wie ein Kultobjekt im Büro herumgezeigt hat ... Jeder einzelne der Chota Pegs, die durch sys goldene Kehle rannen ... Man hat mit ys gespielt wie mit einer Bansuri.

Thal bemerkt, dass ys die Hände zu wütenden Fäusten geballt hat. Ys staunt über die Hitze sys Zorns. Es wäre sicher, vernünftig und weise, wenn das Neut die Flucht ergreifen würde. Aber ys will mehr wissen. Ys möchte einen klaren Blick auf das Gesicht werfen, das ys all dies angetan hat.

»So, mein Freund, weiter geht es nicht.« Der Fahrer hebt sein Radio. »Diese Shivaji-Wahnsinnigen sind unterwegs. Sie sind aus dem Sarkhand Roundabout ausgebrochen.«

»Sie lassen mich hier mit diesen Leuten allein?«, brüllt Thal dem zurückfahrenden Phatphat nach. Ys hört den Zorn der Hindutva, der rhythmisch in den Straßenschluchten widerhallt. Die Straßen selbst sind auf den Beinen, alle Geschäfte, Stände, Kioske und Dhabas. Ein Pick-up wirft Bündel mit Morgenzeitungen auf den Betonmittelstreifen. Die Zeitungsjungen stürzen sich wie schwarze Milane darauf. Thal schlägt den Kragen hoch, um sys verräterische Gesichtszüge zu verbergen. Sys rasierter Schädel fühlt sich schrecklich verletzlich an, wie ein zerbrechliches braunes Ei. Zwei Wege in die Sicherheit. Ys kann die mit Satellitenschüsseln gespickten Mauern des White Fort hinter den Wassertanks und Sonnenkollektoren auf den Dächern erkennen. Thal schiebt sich an der Fahrzeugschlange vorbei, den Kopf gesenkt, einem Blickkontakt mit den Ladenbesitzern ausweichend, die die Rollläden hochziehen, den Nachtarbeitern, die von ihrer Schicht in der US-Westküstenzeitzone zurückkehren. Eher früher als später wird jemand sehen, wer ys ist. Ys blickt auf die Zeitungsbündel. Erste Seite, Hauptschlagzeile, Farbbild.

Hinter ys bewegt sich der Lärm des Mobs, von links nach rechts und dann ganz nahe. Thal verfällt in einen Dauerlauf, den Mantel trotz der zunehmenden Hitze bis zum Kinn hochgezogen. Jetzt schauen die Leute ys nach. Noch eine Kreuzung. Noch eine Kreuzung. Das stimmlose Getöse bewegt sich erneut, ist nun anscheinend vor ys, dann steigert sich schlagartig die Lautstärke und Heftigkeit. Thal blickt sich um. Sie sind hinter ys. Eine Phalanx aus rennenden Männern in weißen Hemden kommt aus einer Nebenstraße auf die Chaussee. Für einen Moment wird es still. Selbst der Verkehr verstummt. Dann wird Thal von einem gerichteten Gebrüll getroffen, das ihn fast wie ein körperlicher Schlag trifft. Ys stößt ein leises furchtsames Winseln aus, wirft sys blöden, hinderlichen Mantel ab und rennt los. Gejaule und Geheul erhebt sich hinter ys. Die Karsevaks kommen herangesprungen. Nicht mehr weit. Nicht weit. Nicht. Mehr. Weit. Nicht. Weit. Nahe. Nahe. Nahe. Thal katapultiert sich in den Wald aus Säulen, die Krypta des White Fort. Die johlenden Rufe hallen von den Betonpfeilern zurück. Wir kommen näher. Wir sind schnell. Wir sind schneller als du, unnatürliches und perverses Ding. Du bist von Unnatürlichkeit und Laster aufgedunsen. Wir werden dich zertreten, Schnecke. Wir werden hören, wie du unter unseren Füßen zerplatzt. Wurfgeschosse fallen klappernd um Thal herum zu Boden: Dosen, Flaschen, elektronische Bauteile. Und Thal versagt allmählich. Ys verblasst. Ys hat keine Kraft mehr. Die Batterien sind leer. Ladeanzeige auf null. Thal tippt Befehle in sys subdermale Zapfen. Sekunden darauf setzt der Adrenalinstoß ein. Das wird ys später teuer bezahlen müssen. Ys würde jetzt alles bezahlen. Thal entfernt sich von den Jägern. Ys sieht jetzt die Aufzüge. Einer soll da sein, bitte! Ardhanarishvara, Herr der geteilten Wesen, lass einen Lift da sein, einen, der funktioniert. Die Jäger klatschen mit den Händen gegen die öligen Betonsäulen. Wir. Kommen. Um. Dich. Zu. Töten. Wir. Kommen. Um. Dich. Zu. Töten.