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Thal tänzelt die mit Müll übersäte Treppe hinunter zum VART. Selbst wenn die Killer ys durch den morgendlichen Verkehr folgen konnten, haben sie keine Chance, ys im Metrolabyrinth von Varanasi wiederzufinden. Thal geht an der Schlange vor dem Irisscanner vorbei und reiht sich bei den Frauen ein, die dem Varanasi Area Rapid Transit nicht erlauben, ihnen so tief in die Augen zu blicken. Ys wirft fünf Rupien in den Trichter und zwängt sich durch die Barriere, bevor die Ladys von New Varanasi protestieren können.

Thal läuft über den Bahnsteig zum Frauenbereich. Ys überblickt die Menge und sucht nach Anzeichen für die Killer, nach einer Bugwelle, die sie im Gedränge der Menschen auslösen. Es ist so leicht, hier zu sterben. Eine Hand im Rücken, während der Zug aus dem Tunnel geschossen kommt. Und nun, als die Asche des künstlichen Adrenalins aus sys Blutkreislauf gespült wird, folgt der biochemische Abschwung. Thal zittert, fühlt sich allein und klein und sehr, sehr paranoid. Ein Schwall übler, heißer, elektrischer Luft, und der Zug rauscht in den Bahnhof. Thal fährt zwei Stationen im Nur-für-Frauen-Abteil mit und steigt dann aus. Ys zählt einen Zug, zwei Züge ab und steigt wieder in den weiblichen Waggon. Ys hat keine Ahnung, ob ys das Richtige tut, ob es überhaupt etwas Richtiges gibt, ob es irgendwelche Selbsthilfebücher gibt, wie man im städtischen Metronetz Verfolger abschüttelt.

Der Roboterzug jagt durch die Unterwelt von Varanasi, holpert über die Gleisverbindungen und Weichen. Thal fühlt sich nackt zwischen all den Frauenkörpern. Ys kann ihre Gedanken hören: Du gehörst nicht hierher; wir wissen nicht, was du warst, aber jetzt bist du keine oder keiner von uns mehr, Hijra. Dann erstarrt sys Herz. Eingeklemmt zwischen einer Haltestange und dem Feuerlöscher hat ein Büromädchen Platz gefunden, um die Bharat Times zu lesen. Ihre Aufmerksamkeit gilt der Rückseite, den Cricket-Nachrichten. Auf der Titelseite kreischt eine Schlagzeile in achtzig Punkt und ein halbseitiges Foto. Ys sieht sich selbst, sys blasses Gesicht im Blitzlicht, die Augen groß wie Monde.

Der Zug ruckelt auf den Gleisen. Die Passagiere schwanken wie Getreide im Wind. Thal lässt den Haltegurt los und arbeitet sich quer durch den Waggon. Dann baut ys sich vor der schreienden Titelseite auf. Das Zeitungsmädchen faltet die obere Hälfte ihrer Morgenlektüre herunter, um Thal anzustarren und sich dann wieder den Klatschnachrichten über V. J. Mazumdar, den Held des Testspiels, und seiner bevorstehenden VIP-Hochzeit zu widmen. Die Unterzeile ganz unten auf der Seite lautet: TOTE BEI FEUERÜBERFALL AUF PERVERSENCLUB.

Varanasi City Station kündigt die Kaih über dem Lärm der Radios und Gespräche an. Thal stolpert auf den Bahnsteig hinaus und läuft dem sich langsam ausbreitenden Fleck der Pendler voraus. Ys hat genug Zeit, über diese Schlagzeile zu meditieren, wenn der Shatabdi beschleunigt hat und Varanasi hundert Kilometer hinter ys liegt.

Der Aufzug wirft Thal in die Bahnhofshalle. Ys hat bereits mit sys Palmer abgefragt, welche Züge demnächst abfahren. Der Kolkata Hi-Speed. Über die schnurgerade Stahllinie direkt in die States of Bengal. Patna und Nanak können warten. Was Thal viel mehr als ein neues Gesicht braucht, ist eine neue Nation. Die Banglas sind ein zivilisiertes, kultiviertes, tolerantes Volk. Kolkata soll sys neues Zuhause werden. Aber die Online-Buchung ist sehr, sehr langsam, und das Gedränge vor dem Ticketschalter ist tödlich. Weggeworfene Zeitungen liegen verstreut zwischen den Mangoblättern mit den Resten von Aloo und Dal auf dem Betonboden. Müllsammler stochern und stöbern. Jeder von ihnen wäre bereit, ys für eine Handvoll Rupien auszuliefern.

Dreizig Minuten bis zur Abfahrt des Zuges.

Wieder ist die Online-Buchung abgestürzt. Und über den Schlitzen des Ticketautomaten klebt ein Plakat, auf dem mit Filzstift AUSSER BETRIEB geschrieben steht.

Beschissenes Bharat.

»He he, mein Freund. Willst du ganz schnell Ticket kaufen?« Der Schwarzhändler, ein junger Mann mit Schnurrbartflaum und in Sportmode, rückt ganz nah heran, um sein vertrauliches Geschäft abzuwickeln. Er breitet einen Fächer aus Tickets aus. »Sicher, gefahrlos. Reservierung garantiert. Schau nach, finde deinen Namen im Waggon, keine Fragen. Wir haben gehackt das System von Bharat Rail.« Er wedelt mit einem ramponierten Palmer.

Na los na los. Ys wird es nicht schaffen. Ys wird es nicht schaffen.

»Wie viel?«

Der Sportjunge nennt einen Preis, über den Thal zu einer anderen Zeit unter anderen Voraussetzungen laut gelacht hätte.

»Hier, hier.« Ys drängt dem Tickethändler ein Bündel Rupien auf.

»He he, eins nach anderm«, erwidert der Junge und führt Thal zu den Bahnsteigen. »Welche Zug welche Zug?«

Thal sagt es ihm.

»Du kommst mit mir.« Er hetzt mit Thal durch die Menge um den Chai-Stand herum, wo die Morgenpendler ihren süßen milchigen Tee aus winzigen Plastikbechern trinken. Er schiebt ein Blankoticket in den Druckerschlitz des Palmers, gibt sys ID-Nummer ein, drückt ein paar Symbole. »Fertig. Bon Voyage.« Grinsend reicht er Thal das Ticket. Dann erstarrt das Grinsen. Der Mund öffnet sich. Ein kleiner roter Punkt bildet sich am Halsausschnitt seines Adidas-Shirts. Das Rot expandiert zu einem Erguss. Der Gesichtsausdruck wandelt sich von Selbstgefälligkeit zu Überraschung und schließlich zu Totenstarre. Der Junge sackt an Thal zusammen, eine Frau in purpurrotem Sari stößt einen Schrei aus, und der Schrei wird von der ganzen Menge aufgenommen, als Thal über die Schulter des erschossenen Schwarzhändlers den Mann im gepflegten Nehru-Anzug mit der schallgedämpften schwarzen Waffe in der Hand sieht, hin- und hergerissen zwischen den Möglichkeiten, nach einem verpatzten Job abzuhauen oder noch einmal genau zu zielen und die Sache hier und jetzt vor den Augen aller Anwesenden zu Ende zu bringen.

Dann kommt aus der Menge ein Moped angerast, hierhin und dorthin kurvend, laut hupend, mit einem Mädchen darauf. Es fährt genau auf den Schützen zu, der es hört und sieht und nur eine Millisekunde zu spät reagiert. Er reißt die Pistole im gleichen Moment herum, als das Moped ihn trifft. Schreie. Die Waffe fliegt ihm aus der Hand. Der Mann in Schwarz wird über den Bahnsteig geschleudert, knallt gegen die Seite des Zuges, rutscht in die Lücke zwischen dem Bahnsteig und dem Waggon, unter den Kolkata Unlimited, auf die Gleise.

Das Mädchen wendet das Moped und hält vor Thal an, während die Menge zum Zug eilt, um nachzusehen, was aus dem Schützen geworden ist. »Aufsteigen!«, ruft sie auf Englisch. Unter dem Waggon taucht eine Hand auf. Arme greifen nach unten, um den Mann hochzuziehen. »Wenn Sie überleben wollen, steigen Sie auf das Moped!«

Jede andere Möglichkeit wäre ein noch größerer Irrsinn. Das Mädchen zieht Thal hinter sich, ys hockt sich auf den Rücksitz, dicht an sie gepresst. Sie dreht den Gashebel und rast los, mitten durch die Menge, wütend hupend. Sie fährt vom Ende des Bahnsteigs herunter und lenkt das hüpfende Moped über die Gleise und Schwellen, biegt knapp vor einem langsamen Vorortzug ab, gibt auf dem mit Müll übersäten Gleisbettrand Gas und hupt die Fußgänger an, die den Streifen als Gehweg benutzen.