»Ich kann nichts tun, wenn das gastgebende Land es verbietet«, zischte Sangh. »Aber Ihre unerprobte Armee wird sich der meinen noch stellen müssen, Fremdling. Denken Sie daran, ich bin der Feind, dem Sie eines Tages, und zwar bald, gegenüberstehen werden.«
»Jederzeit«, erwiderte Marquoz mit gespielter Lässigkeit. »Und für den Fall, daß Sie mich unterschätzen, nun, Colonel Asam läßt die besten Grüße übermitteln.«
»Asam!« fauchte der Dhabi. »Euch zwei zu verschlingen wird das größte Vergnügen in meinem langen Leben sein!« Und damit schien Gunit Sangh sich zum Erstaunen beider Seiten in der Farbe zu milchigerem Weiß zu verändern; er wurde ein bißchen weniger leuchtend, weniger körperhaft. Er klappte sich in seine geisterhafte Form zusammen und versank ohne ein weiteres Wort im Boden, als sei er Wasser.
Marquoz war hochzufrieden, obwohl die Truppen empört sein würden, weil der Kampf erneut vermieden worden war. Er hatte sich gegen die Ambreza durchgesetzt und eine weitere, möglicherweise gefährliche, Drohung ausgeschaltet, diese große, multirassische Streitkraft lahmgelegt und den feindlichen Befehlshaber verächtlich behandelt, alles auf einmal. Er war besonders froh darüber, Colonel Asam zufällig in Zone kennengelernt zu haben; von dieser Geschichte hätte er sonst nichts erfahren…
Er wandte sich ab, nickte einem Untergebenen zu, und man feuerte grüne Leuchtkugeln in die Luft. Die Armee setzte sich in Bewegung. Er und seine Adjutanten ließen sie an sich vorbeimarschieren. Sie sah enorm bedrohlich und eindrucksvoll aus. Die Ambreza und ihre Verbündeten verdrückten sich rasch; die meisten waren wohl bestrebt, aus nahen Funkzelten die Nachricht weiterzugeben.
Einer seiner Hakazit-Adjutanten schob sich heran, als die Soldaten vorbeistampften.
»Sir?«
»Ja?«
»Diese Bomben — Superbomben oder wie immer. War das wirklich wahr?«
Er richtete sich zu seiner ganzen Größe auf.
»General, ich würde sowenig bluffen wie eine Lüge äußern«, sagte er empört, und damit war der Fall erledigt.
Es dauerte natürlich eine Zeit, bis der General begriff, daß er im Grunde überhaupt keine Antwort bekommen hatte.
Der Marsch durch Ambreza war rasch und mühelos vonstatten gegangen. Die Straßen wurden für sie geräumt, ja, man stellte sogar Fahrzeuge zur Verfügung. Sie mieden die großen Städte, und die Ambreza und ihre Verbündeten, denen sie unterwegs begegneten, rissen nur die Augen auf, gafften und knipsten sie ab und zu sogar. Das kalte, frische Wetter ließ die Hakazit dampfen, und das verlieh allem ein noch unheimlicheres Aussehen. Marquoz freute sich darüber. Ein gutes Schauspiel.
Es war leicht zu sehen, wo Ambreza aufhörte und Glathriel anfing. In Ambreza war Winter, die Bäume waren unbelaubt, der Boden gefroren. Aber dort, ein wenig schimmernd, lag vor ihnen eine üppige, grüne Welt. Es war, als trete man durch einen unsichtbaren Vorhang aus dem Spätherbst in den wärmsten Sommer. Glathriel war ein Tropen-Hex und, wie sie sahen, kein Land, wo man alles liegen- und stehenließ, nur weil eine Armee durchmarschierte.
Sie waren überall, diese Wesen, die der herrschenden Rasse des Kom-Gebietes so ähnlich sahen. Und warum auch nicht? Das waren die Prototypen, kleiner als der durchschnittliche Kom-Mensch, aber das mochte am Klima, an der Ernährung oder an anderen Dingen liegen. Sie waren auch dunkelhäutiger, trotzdem jedoch sehr ›menschlich‹. Die meisten waren nackt oder trugen nur Lappen oder Lendenschurze — das, und Halsbänder.
Hier waren die großen Pflanzungen, von denen der Tabak Ambrezas kam, dazu gab es tropische Früchte, und Männer, Frauen und Kinder arbeiteten auf den Feldern, mühten sich ab und rackerten; menschliche Sklaven, überwacht von ihren Ambreza-Herren. Ab und zu hörten sie zu arbeiten auf und glotzten die Horden an, die auf den Straßen vorbeimarschierten, aber nicht sehr lange, und gewiß nicht, ohne sich vor Angst und Entsetzen zu ducken.
Über tausend Jahre lang war ihnen die Aggressivität ausgetrieben worden, sagte sich Marquoz, während man ihnen die für diese Arbeit erforderlichen Eigenschaften eingeprägt hatte.
Voraus gab es ein Getümmel, und Marquoz eilte hin, um den Grund zu erkunden. Zu seiner Überraschung entdeckte er drei sehr junge Menschenfrauen, die scheinbar bettelten oder flehten und sich nervös umschauten. Sie waren nackt, trugen kupferne Halsbänder und schienen sich von den anderen nicht zu unterscheiden — nur besaßen sie den Mut, sich der Marschkolonne zu nähern, von der niemand sie verstehen und auch nur zur Kenntnis nehmen wollte.
»Was hat das zu bedeuten?« brüllte er.
Die Frauen reagierten, als wären sie plötzlich wahnsinnig geworden.
»Du kannst uns hören!« riefen sie. »Du kannst uns verstehen! Gott sei Dank!«
Sie nickten. Er wandte sich den Offizieren zu.
»Gebt das weiter: Alle Glathrieliten, die sich an uns wenden, werden unter unseren Schutz gestellt und von mir persönlich in Augenschein genommen. Klar?«
Man gab den Befehl weiter. Sich nichts entgehen lassen, keine Soldaten abweisen, dachte er, gleichgültig, wie schwach oder klein sie aussahen. Außerdem mochte einer davon Zigeuner sein — äh, Nathan Brazil. Man durfte ihn keinesfalls zurücklassen, nachdem man sich solche Mühe gemacht hatte, ihn abzuholen, dachte er spöttisch.
Als man das Lager für die Nacht aufgeschlagen hatte, ließ er sie zu sich bringen. Man hatte unterwegs noch einige mehr aufgenommen — vielleicht insgesamt zwanzig —, zwei Männer, die übrigen Frauen. Sie waren natürlich wie alle anderen durch den Schacht gegangen und in Ambreza aufgewacht. Der Schacht berücksichtigte einen Hex-Tausch nicht, so daß Ambreza-Neuzugänge im alten Ambreza oder Glathriel auftauchten, während für Menschen das Umgekehrte galt. Sie fielen dadurch natürlich auf und waren rasch ergriffen und nach Glathriel gebracht worden, wo man sie auf die Felder geschickt und ihnen die Halsbänder angelegt hatte. Niemand konnte das schreckliche System fassen, und noch weniger begreiflich war die absolute Unterwürfigkeit der Einheimischen.
Sein Befehl hatte gelautet, die Nordwestkante von Glathriel zu erreichen und dort entlang zur Küste zu marschieren, dann weiter nördlich in Ginzin einzudringen und weiterzuziehen, bis er mit Mavras Armee zusammentraf, die genau nach Westen unterwegs war. Seine Nachrichtenverbindungen waren gut; Jorgasnovarier, riesengroße, häßliche platte Wesen, die aus irgendeinem Grund wie die Vögel fliegen konnten, rasten oft Hunderte von Kilometern weit zu einem zugänglichen Zone-Tor, um Nachrichten zu beschaffen, dann kamen sie zurück. Er erfuhr von der Schlacht in Olborn und dem Weitermarsch fast innerhalb von Stunden — und dort hörte man jetzt von ihm.
Vor ihnen erhob sich am Meer von Turagin jetzt Ginzin. Und noch immer keine Spur von Brazil. Das abstoßende, heiße, vulkanische Land war für die meisten ihrer Art ungastlich, aber hier, wo Land und See zusammenstießen, passierbar.
Er begann sich zu fragen, ob irgendein Fehler passiert war.
An der Küste hinauf ging es langsam voran, und sie hatten besondere Schwierigkeiten mit ihrem schweren Gerät. Trotzdem hatte er damit gerechnet, daß Brazil inzwischen auftauchen würde — oder vielmehr ein Brazil-Ebenbild, das er gut kannte, das aber für alle anderen Brazil sein würde. Wo blieb er?
Am letzten Abend in Ginzin kampierten sie schließlich, so gut sie konnten, am Strand hinauf und hinunter aufgereiht, und sahen die Sonne langsam untergehen. Er saß da und beobachtete müßig das Spiel des Sonnenscheins auf den anlaufenden Wellen, als er draußen etwas zu sehen glaubte. Er versuchte es zu erkennen. Ein Schiff — dort draußen war ein Schiff! Waynir war hochtechnologisch, und er konnte den aus den Schornsteinen quellenden Rauch sehen, als das große Schiff nach Nordwesten dampfte. Es schien jedoch der Küste seltsam nahe zu sein und ein gewisses Risiko einzugehen; im Seichtwasser hier waren Riffs und Untiefen verborgen. Er griff nach seinem Feldstecher, einem schutzbrillenartigen Gerät, eigens für seine eigenartigen Augen gebaut. Es war leistungsstark.