Er schaute hinaus und verfolgte, wie das geheimnisvolle Schiff, ohne die Fahrt zu verringern, ein kleines Boot zu Wasser ließ, das Kurs auf das Ufer nahm.
Argwöhnisch befahl Marquoz dem Posten, die anderen insgeheim zu alarmieren. Hier in einem nicht-technologischen Hex, auf der einen Seite mit dem Rücken zur See, auf der anderen zu den Vulkanklippen, schien der ideale Ort für einen Angriff zu sein.
Sie beobachteten wachsam und warteten, als das kleine Boot sich näherte. Schließlich erreichte es das Land, und zwei schattenhafte Gestalten sprangen heraus und zogen das Boot auf den Strand. Der dritte Insasse wartete noch, stand dann auch auf und sprang ins seichte Wasser. Er drückte den beiden anderen die Hand — Marquoz sah, daß sie wie Menschen von Typ 41 aussahen —, und als die beiden anderen das Boot wieder ins Wasser schoben und hineinsprangen, stieg der Passagier zu den wartenden Soldaten hinauf, die sichtlich aufatmeten.
Marquoz hörte die Menschen um sich herum den Atem anhalten, als sie die Gestalt erkannten, und zum erstenmal wurde er zuversichtlicher. Er ging der Gestalt entgegen.
»Willkommen beim Krieg, äh, Brazil!« rief er.
Die Gestalt blieb stehen und starrte das riesige, undeutlich aufragende Wesen mit den rotglühenden Augen, in der Dunkelheit nur verschwommen sichtbar, kurz an.
»Sind Sie das, Marquoz?«
»Ja, ich bin’s«, antwortete Marquoz. »Kommen Sie nur. Wir hatten Sie beinahe schon aufgegeben.«
Auf den Alarm hin waren alle Feuer gelöscht worden, aber nun loderten sie wieder auf. Der Neuankömmling trat an das erstbeste heran und nickte zufrieden.
Er trug Hose und Rock in Erbsengrün und Sandalen. Seine Haare waren ungewöhnlich lang, bis über die Schultern herabreichend, und er wirkte ein wenig wettergegerbt und etwas älter, als Marquoz ihn in Erinnerung hatte.
Marquoz vermutete, daß der echte Brazil wohl ganz genau so aussah, bis hin zur Kleidung.
»Irgendwelche Probleme?« fragte Brazil beiläufig.
»Nichts, was nicht zu bewältigen gewesen wäre«, erklärte Marquoz. »Glathriel würde Ihnen nicht gefallen. Sehr ungemütlich. Plantagensklaverei. Aber wir sind trotzdem hindurchgekommen, ohne einen Schuß abzugeben, sehr zur Enttäuschung mancher Soldaten. Ich erzähle Ihnen später alles genauer.«
Brazil nickte.
»Jetzt wird es zum Kampf kommen. Wenn ich die Gegenseite wäre, würde ich versuchen, ein Heer zwischen unseres und das von Mavra zu werfen, bevor wir uns vereinigen können. Es könnte haarig werden, wenn wir uns nicht beeilen.«
Marquoz starrte ihn argwöhnisch an. Einen Augenblick lang fragte er sich, ob das wirklich Zigeuner war. Die Art, der Tonfall und die Aussprache, alles entsprach Brazil. Konnte es sein…?
Dann griff Brazil in seinen Rock, zog eine Zigarette heraus, griff nach einem brennenden Ast und zündete sie an.
Marquoz fühlte sich besser.
Brazil verzog das Gesicht, als er den Rauch einsog.
»Von hier«, murrte er. »Fast nur Zigarren- und Pfeifentabak. Das ist nicht das richtige für Zigaretten.«
»Im Krieg müssen wir alle Opfer bringen«, erwiderte Marquoz mit geheuchelter Anteilnahme.
Die Menschen, die dabei waren, ließen sich nicht mehr zurückhalten und liefen auf die kleine Gestalt am Feuer zu. Er hob bei dem Aufruhr den Kopf, seine Miene war ein Gemisch von Erschrecken und Abscheu.
Sie warfen sich vor ihm auf den Boden und riefen:»Nathan Brazil! Meister! Wir sind deine Diener! Sprich, und wir werden gehorchen!«
Er betrachtete sie, während der Ausdruck widerstreitender Gefühle über sein Gesicht huschte. Schließlich ging er auf sie zu.
»Seht mich an«, sagte er leise, und sie taten es.
Er betrachtete ihre jungen Gesichter und Gestalten nachdenklich. Schließlich sagte er wie zu sich selbst:»Vielleicht hat dieses Gott-Sein auch seine Vorteile…« Er blickte zu Marquoz hinüber. »Wie viele?« fragte er.
»Achtzehn weiblich, zwei männlich«, erwiderte der Hakazit.
Brazil nickte.
»Vielleicht wird der Marsch doch nicht so arg«, murmelte er. »Achtzehn…«
Zigeuner scheint doch ein bißchen durch, dachte Marquoz.
Zone
»Brazil ist gesehen worden.«
Die Mitteilung schreckte Ortega auf. Aus irgendeinem Grund hatte er nicht erwartet, daß es so leicht sein würde.
»Wo?« fragte er scharf.
»Bei der Süd-Armee. Offenbar ist er die ganze Zeit auf einem Schiff im Meer von Turagin gewesen. Er ruderte an Land und schloß sich den anderen knapp vor der Grenze von Ginzin an.«
Ortega runzelte argwöhnisch die Stirn.
»Sind Sie sicher, daß er es ist? Das sind raffinierte Halunken, mit denen wir es zu tun haben, und er ist der raffinierteste.«
»Er ist es«, versicherte ihm der Kurier. »Einige von unseren Leuten, die sich bei der Armee befinden, haben ihn gesehen und mit ihm gesprochen, und die Neuzugänge in der Gruppe führen sich auf, als hätte Gott persönlich ihnen einen Besuch abgestattet.«
Der Ulik nickte zerstreut und schaltete ab. Brazil. Sichtbar, leicht zu orten, reif fürs Pflücken, noch über dreitausend Kilometer bis zur nächsten Avenue vor sich. Irgendwie war da etwas faul. Es war zu auffällig, zu naheliegend, zu sehr ein dummer Fehler in einem Unternehmen, das bisher glänzend geplant und ausgeführt worden war. Es war, als sei, während für ihn alles nach Wunsch lief, Brazil plötzlich herausgeschossen und hätte gerufen:»Hier bin ich! Kommt und holt mich!«
Und verwundbar war er. Mit Ausnahme des Todes war er gegen nichts von dem immun, was auch allen anderen zustoßen konnte. Er durchlitt Schmerz und Qual und war von Hypnogeräten bis zu Zauberei allem ausgesetzt.
Ortega tastete einen Kommunikations-Code ein.
»Oberkommando«, meldete sich eine übersetzte Stimme.
»Hier Ortega. Was hat Kommandeur Sangh vor, nachdem die Mitteilung über Brazil eingegangen ist?«
Der Nachrichtenoffizier zögerte.
»Sir, ich glaube, das können wir im Augenblick nicht bekanntgeben. Nicht einmal Ihnen, Sir.«
»Ich komme hin«, knurrte Ortega. »Hier ist etwas ganz und gar nicht in Ordnung, und ich möchte mich vergewissern, daß keine Fehler gemacht werden.« Er schaltete zornig ab und glitt hinter seinem großen, U-förmigen Schreibtisch hervor zur Tür.
In den Korridoren ging es immer noch wild zu; die Neuzugänge schienen kein Ende zu nehmen, und er wußte, daß er sie nicht mehr lange schützen konnte. Wenn Brazil gefangen wurde, oder selbst wenn sie glaubten, ihn zu haben, würden rund um die Welt plötzlich viele Hemmungen abgebaut werden.
Das Oberkommando befand sich in der czillanischen Botschaft, einfach deshalb, weil Czill die besten und modernsten Computer und Archive besaß und leichten Zugang bot. Die Maschinen in der Botschaft waren verträglich mit denen in Czill, und Informationen konnten rasch ausgetauscht werden, indem die Czillaner die Speichermodule zwischen Heimathex und Botschaft hin- und herbeförderten.
Es herrschte Andrang von vielen Rassen, die im fraglichen Gebiet Streitkräfte stehen hatten. Jemand von Ortegas Umfang mußte aufpassen, sonst konnte er durch irgendein dorniges, giftiges oder anderweitig tödliches Wesen durch Zufall verletzt werden, das nur versuchte, sich den Weg freizumachen.
Er entdeckte Sadir Bakh, den stellvertretenden Dahbi-Kommandeur, Gunit Sanghs Mann in Zone. Ortega mochte die Dahbi nicht besonders, obwohl er im Rahmen der Befehlsstruktur auf rassischer Grundlage hier nur mit einer Handvoll von ihnen zu tun hatte. Hätte Mrabzil die andere Richtung eingeschlagen, dann wäre nicht Sangh der Oberbefehlshaber gewesen, aber Dahbi hätte sich auf dem Marschweg befunden.