Sie rasten mit fast hundert Kilometern in der Stunde durch Clopta und waren in knapp drei Stunden an der Grenze zu Quilst. Soviel er erkennen konnte, waren sie von niemandem entdeckt oder auch nur bemerkt worden. So weit, so gut — aber nun kam der schwierige Teil.
Die awbrischen Truppen, die bis zu diesem Augenblick stillgehalten hatten, würden jetzt schon unterwegs sein, um direkt zur Ellerbanta-Verion-Avenue vorzustoßen — aber sie waren noch weit davon entfernt. Das sollte Khutir nach Süden locken, um sie aufzuhalten, an ihnen vorbei nach Osten, während Sanghs Verbände abgeschnitten werden würden, zum Kampf gezwungen sein würden. Es ging jetzt um die Entscheidung… Alles war so gut verlaufen. Noch einen Tag, höchstens zwei, und man hatte die Dinge in der Hand. Noch zwei Tage…
Quilst war kühler als Clopta, aber viel weniger feucht, und schien ein erträgliches Mittel darzustellen. Sie gingen jetzt zu Fuß weiter, immer noch nahe der Grenze zum eisigen Betared, und sie kamen nur noch langsam voran.
Trotz der Kühle schien Quilst sumpfig zu sein, dicht bewachsen mit Bäumen und Unkraut, übersät mit riesigen Schlammlöchern. Sehr bewohnbar wirkte das Ganze in der Tat nicht, aber die riesigen Wesen, die zu seinem Trupp gehörten, stammten von dort.
Er war dankbar für die Anwesenheit der Einheimischen; sie kannten sich aus und würden verhindern, daß er mit eher unerfreulicher Flora und Fauna in Schwierigkeiten geriet. Sie konnten ihm auch die Bevölkerung vom Hals halten. Die beiden Punretts waren weniger nützlich, aber er wußte, daß sie zum Vierfachen ihrer Größe anschwellen konnten und im Kampf nicht nur grimmig waren, sondern dazu neigten, fast alles zu verschlingen, was nicht sie auffraß. Man konnte sich in solchen Lagen die Verbündeten nicht immer aussuchen, man nahm einfach das, was man zu finden vermochte.
Nach mehreren Stunden Marsch hatten sie immer noch niemanden gesehen. Das beunruhigte ihn ein wenig; es war zu einfach. Sie gingen um eines der großen Schlammlöcher herum, als das Ding plötzlich herausbrach. Zwanzig oder mehr Quilst-Köpfe schnellten herauf und schnaubten, dann kamen die anderen wie mit Aufzugplattformen herauf.
Manganong und Sungongong schnaubten zornig, die Nüstern gebläht, und rissen ihre Pistolen heraus, bevor ihnen plötzlich klar wurde, daß diese hier in diesem nicht-technologischen Hex nicht mehr waren als kleine und zerbrechliche Knüppel.
Die beiden Punretts quakten laut und schwollen an wie Ballone, die man mit Helium füllt. In den Händen der im Hinterhalt liegenden Gegner waren Armbrüste gespannt, und als die beiden fremdartigen Vögel sich aufbliesen, flogen zwei Bolzen in ihre Richtung.
Die beiden kreisrunden Vögel fegten plötzlich in die Luft, so daß die Bolzen unter ihnen dahinzischten, und beide stürzten auf die Köpfe der zwei vordersten Angreifer nieder; ihre spitzen Krallen bohrten sich in die Riesenschädel und riefen Blutgerinnsel und Schmerzensschreie hervor.
Eine Stimme erscholl aus den Bäumen, als die anderen in Deckung huschten:»Nathan Brazil! Sie und Ihre Begleiter bleiben, wo Sie sind! Im Namen des Rates sind Sie verhaftet.«
Die beiden Quilst in der Eskorte brüllten auf; wenn die Punretts blieben, wo sie waren, würden die Riesenwesen sie bald getötet haben.
Brazil, der zusammen mit Foma zu den nahen Bäumen gestürzt war, um Deckung zu suchen, wandte sich ihr besorgt zu. Er konnte sehen, daß die beiden Quilst sich vor den drohenden Armbrüsten bereits ergeben hatten und mit erhobenen Armen dastanden, während die Punretts ihren Griff gelockert hatten und auf den festen Boden hüpften. Es hatte keinen Sinn, Selbstmord zu begehen.
»Foma!« zischte er. »Weg von hier! Sagen sie Yua, was geschehen ist. Sie soll die verdammte Armee weglocken, und wenn sie den Kerlen die Schädel einschlagen muß!«
Sie sah ihn unsicher an.
»Aber man wird Sie festnehmen.«
»Nein«, sagte er. »Nicht mich. Sagen Sie ihr, sie soll sich beeilen. Ich komme zu ihr, so rasch ich kann.«
Sie starrte ihn an.
»Ich… ich verstehe nicht.«
»Los doch!« befahl er.
Sie verschwand im Wald.
»Nathan Brazil! Kommen Sie heraus, oder wir schießen Ihre Freunde nieder. Sie können nicht entkommen!« fuhr die laute Stimme fort. »Betared-Streifen haben Sie seit Stunden überwacht. Kommen Sie heraus und schonen Sie das Leben anderer!«
Er seufzte, stand auf und trat hinaus in die Lichtung, womit er seine beiden untauglichen Ex-Leibwächter sichtlich überraschte. Sie sahen ihn, von den Quilst bewacht, erleichtert an.
»Gut, gut!« rief er. »Bringen wir das hinter uns, es hat keinen Sinn, die Qual noch auszudehnen, verdammt!«
Aus den Bäumen schwang sich ein riesiger Falter herab, die orangeroten Flügel kaum bewegend, als er auf acht fühlerartigen Beinen landete. Sein schwarzer Totenschädel mit zwei Augen wie große, rote Flecken betrachteten ihn mit der prüfenden Neugier eines Zoowärters, der eine neue Tiergattung vor sich hat. In diesem Augenblick stellte sich aus irgendeinem Grund nur der Gedanke bei ihm ein, daß er das Ziel einer Art Rassenrache gegen alle Schmetterlingssammler war, die es jemals gegeben hatte.
»Ich bin Tammer«, sagte die Yaxa. »Ich nehme Sie im Namen des Rates fest. Sie werden mich als mein Gefangener zum nächsten Zone-Tor begleiten. Jeder Widerstand ist zwecklos.«
Der Segmentkörper hob sich vorne in die Höhe, und die beiden Vorderbeine wurden zu handschuhartigen Händen. Sie griffen nach hinten in einen Tragsack, zogen zuerst eine kleine Medizinflasche und dann eine Injektionsspritze hervor, die in die krallenartigen Hände paßte. Brazil seufzte. Er hatte gehofft, sie noch länger hinhalten zu können, indem er sie einfach zum Tor begleitete — aber sie wollten kein Risiko eingehen. Das konnte er nicht zulassen.
Alle Armbrüste waren auf ihn gerichtet, als die Yaxa mit der Spritze in der Hand herankam, bis sie nur einen Meter von ihm entfernt stehenblieb und auf ihn herabschaute.
»Sie sind also Nathan Brazil«, sagte sie verächtlich.
Er begann leise zu lachen. Aus dem Kichern wurde lautes Lachen, dann brüllendes Gelächter, bis ihm fast die Tränen über das Gesicht liefen. Vor den Augen der fassungslosen Yaxa und ihrer Quilst-Gehilfen schimmerte der Körper plötzlich und begann sich zu verwandeln. Er wurde größer und nahm andere Züge an, die Haut färbte sich dunkler, der ganze Körperbau verwandelte sich. Selbst die Kleidung war eine andere.
Beinahe wie wahnsinnig lachend, zeigte die neue Gestalt mit dem Finger auf die Yaxa.
»Erwischt!« sagte er. Dann tat er das noch Unfaßbarere. Zigeuner verschwand blitzschnell und ließ nur den Nachhall seines Gelächters zurück.
Lamotien
Die Schwärze des Zone-Tores geriet in Unruhe, als eine schimmernde Gestalt darin Umrisse annahm und heraustrat. Sie sah aus wie ein kleiner weißer Affe, kaum einen Meter groß, war das aber nicht.
Es waren siebenundzwanzig Lamotien in einer kleinen Kolonie.
Die Wesen waren einzeln keine zwanzig Zentimeter lang, formlose, klebrige Massen, die ihre Körper so in der Gewalt hatten, daß sie sich fast jeder Umwelt anpassen, augenblicklich sich Haare in gewünschter Länge und Farbe wachsen lassen, alle notwendigen Züge und Formen annehmen konnten. Sie vermochten sich auch, wie hier, zu einem einzelnen, größeren Organismus zusammenzufügen, der als Einzelwesen handelte und über ein Kollektivgehirn verfügte. Auf diese Weise gelang es ihnen, fast jeden sichtbaren Organismus nachzuahmen.