Bevor ich mir aber weiter Sorgen um ihn machen kann, kommt Beck schon l?ssig in den Garten geschlendert. Ein wenig zerzaust sieht er aus, aber alles in allem wie ein strahlender Sieger. Er legt sich neben mich und reckt und streckt sich gen?sslich.
»Gut, dass du wieder da bist! Ich hatte schon ein bisschen Angst, dass du mit dem Typen noch m?chtig ?rger bekommen hast.«
»Ach was! Mit einem unbewaffneten Menschen werde ich doch leicht fertig. Du solltest den mal sehen – ein paar Schrammen hat er schon abbekommen. Aber nun zum Wichtigsten: Hast du die Tasche?«
»Ja, sie liegt hinter dem Beet.«
»Sehr gut. Dann gibt es jetzt nur noch eine Schwierigkeit.«
»Echt? Welche denn?«
»Wie kriegen wir die Tasche zu Cheries Frauchen?«
Stimmt. Das ist noch ein klitzekleines Hindernis. Ansonsten hat der Plan bisher perfekt funktioniert. Wir haben dem Verbrecher tats?chlich die Tasche geklaut, und nach Becks Kenntnissen von menschlichen Taschen und Koffern d?rfte sich darin eine Information ?ber ihren Eigent?mer befinden. Wenn Cheries Frauchen also in die Tasche hineinschaut, wird sie herausfinden, wem diese geh?rt, und sie ihrem Besitzer zur?ckgeben wollen. Dabei wird sie erkennen, dass sie den Schurken vor sich hat, der den Unfall mit Cherie verursacht hat, und wird ihm das Geld f?r die Operation abkn?pfen. Und Cherie wird mich lieben, weil ich ein Held bin. Es ist einfach eine strategische Meisterleistung von Beck! Auch wenn wir noch nicht ganz am Ziel sind: Ich bin trotzdem stolz auf den Kater.
»Weisst du, Beck, das wird uns auch noch einfallen.«
»Ah, ich mag es, wenn du optimistisch bist.«
»Danke. Und weisst du noch was? Du bist ein echter Freund. Ich bin froh, dass es dich gibt.«
»Wie geht es eigentlich deinem neuen Mitarbeiter?«, will Carolin von Nina wissen, als diese sp?ter am Tag auf einen Kaffee in der Werkstatt aufkreuzt.
»Och, ich glaube, ganz gut.«
»So, glaubst du.«
»Ja«, erwidert Nina knapp. Das ist ungew?hnlich. Normalerweise redet sie doch gerne ?ber M?nner.
»Du musst ihn jetzt eigentlich gut behandeln, sonst nennt man das Bossing und ist bestimmt ein Fall f?r die Gleichstellungsbeauftragte. Nicht, dass die Arbeitsgruppe noch darunter leidet.«
»Ha, ha. Sehr witzig. Woher denn das pl?tzliche Interesse f?r meine Arbeitsgruppe?«
»Na, du bist schliesslich meine Freundin. Mich interessiert brennend, wie es beruflich so bei dir l?uft.«
»Aha. Wie esberuflich l?uft. Na klar. Gegenfrage: Wie l?uft es denn bei dir soberuflich– mit dem Kollegen Carini?«
»Och. Gut.« Nun ist es an Carolin, einsilbig zu sein.
»Soso. Gut ist gut.«
»Ja. Gut ist gut. Aber was h?ltst du denn davon, wenn wir uns heute Abend auf ein Glas Wein treffen? Ich habe Marc versprochen, Luisa sp?ter vom Flughafen abzuholen, aber danach h?tte ich Zeit. Dann k?nnten wir uns doch mal ausf?hrlich ?ber unser berufliches Fortkommen austauschen.« Carolingrinst.
»Eigentlich eine sehr gute Idee. Aber heute habe ich leider keine Zeit. Bin schon verabredet.«
»Aha? Habe ich da etwas verpasst?«
»Nein. Ein rein gesch?ftlicher Termin.«
»Abends?«
»Ja. Ein 24-Stunden-Versuchsaufbau. Ganz neues Studiendesign.«
»Schade. Dann w?nsche ich fr?hliches Forschen.«
»Danke.«
Nina trinkt ihren Kaffee aus und geht. Dabei gibt sie sich fast mit Daniel die Klinke in die Hand, der in diesem Moment in die Werkstatt kommt.
»Hallo, Nina! Musst du schon los?«
»Ja, leider, die Pflicht ruft.«
»Nina absolviert heute einen vierundzwanzigst?ndigen Versuch«, erkl?rt Carolin.
»Echt? Wow. Dann viel Erfolg!«
»Ja, den kann ich brauchen. Tsch?ss!«
Nina schliesst die T?r hinter sich, und Daniel stellt den grossen Cellokasten, den er gerade noch in der Hand gehalten hat, im Flur ab.
»Gibt es eigentlich Neuigkeiten von ihrem Nachbarn? Hat sie sich von dem Schock, dass er bei ihr arbeitet, erholt?«
Carolin zuckt mit den Schultern.»Schwer zu sagen. Da l?sst sich Nina nicht in die Karten gucken. Ich wollte mich heute Abend mit ihr verabreden, aber leider muss sie arbeiten. Na, ich werde es schon noch herausfinden. Aber mal was ganz anderes: Wie war es denn bei Lemke? Hat ihm die erste Restauration gefallen?«
»Ja, er war begeistert. Ehrlich. Ausserdem hatte er noch ein paar wertvolle Anregungen f?r die Sammlung. Ich bin jetzt noch motivierter als ohnehin schon – es macht Spass, f?r jemanden mit so viel Sachverstand zu arbeiten.«
»Finde ich auch. Ich w?rde ?brigens gleich gerne vondeinem Sachverstand profitieren. Bei der Geige, die ich momentan bearbeite, bin ich an einer heiklen Stelle angelangt. Kannst du dir das mal anschauen?«
»Klar, mache ich.«
Die beiden verschwinden in Richtung Werkbank, und ich beschliesse, mich ein bisschen in meinem K?rbchen im Flur auszuruhen. Der Tag war doch sehr anstrengend, und die Taschenentf?hrung hat mich ziemlich mitgenommen. Ausserdem muss ich die ganze Zeit dar?ber nachdenken, wie wir die Tasche nun m?glichst schnell zu Claudia Serwe schaffen.
Vielleicht f?llt mir im Schlaf etwas dazu ein. Ein kleines Nickerchen k?me mir ganz recht. Bevor mir die Augen zufallen, ?berlege ich noch kurz, ob Ninas 24-Stunden-Experiment etwas mit Alexander Klein zu tun haben k?nnte. War da nicht auch von 24 Stunden die Rede?
Luisa kommt an der Hand einer jungen Frau, die eine Art Uniform tr?gt, durch die grossen Glasschiebet?ren am Flughafen. Sie sieht uns, l?sst die Frau los und st?rzt auf uns zu.
»Carolin, Herkules! Das ist aber sch?n, dass ihr mich abholt! «
Sie f?llt Caro um den Hals, die dr?ckt das M?dchen herzlich.
»Das mach ich doch gerne. Ich war sogar ganz froh, dass Marc heute eine Fortbildung hat und ich einspringen konnte. Wie war es denn in M?nchen?«
»Och, das Fest bei Oma Burgel war ein bisschen langweilig. Das Beste war eigentlich, dass ich deswegen nicht zur Schule musste.«
Die Frau in der Uniform mischt sich ein.»Sind Sie Frau Neumann?«
»Ja, genau. Ich hole Luisa ab.«
»K?nnen Sie sich ausweisen?«
»Sicher.« Carolin h?lt der Dame ein K?rtchen unter die Nase.
»Alles klar. Dann noch einen sch?nen Abend!«
»Danke.«
Gemeinsam laufen wir zum Ausgang.
»Na, Luisa, haben die sich denn gut um dich gek?mmert an Bord?«, will Carolin wissen.
»Klar. Und einige von denen kennen mich ja. Mama ist doch auch Stewardess. Also bin ich fast Profi.«
Carolin lacht.»Dann ist ja gut. Gib mir doch deinen Koffer. Was hast du denn da alles drin? Der ist ja viel schwerer als auf dem Hinweg.«
»Oma hat mir noch ein paar Sachen gekauft. Und Mama hat mir auch noch etwas f?r Papa mitgegeben.«
»Aha. Was denn?«
»Ein Buch. Sie sagt, da hat sie sich neulich mit Papa dr?ber unterhalten, als sie ihn in Hamburg besucht hat.«
»Sie hat ihn in Hamburg besucht? Wann war denn das?«
Caros Stimme bekommt auf einmal einen ganz seltsamen Unterton, der mir?berhaupt nicht gef?llt. Aber Luisa bemerkt ihn nicht und plappert munter weiter. »Weiss nicht genau. Neulich irgendwann. Sie waren zusammen essen, weisst du, in dem Caf?, in das du auch immer so gerne gehst. Da hast du mir mal ein Eis gekauft.«
»Im Violetta?« Carolin klingt tonlos.
»Genau.«
Auf der Fahrt nach Hause sagt Carolin fast gar nichts mehr. Daf?r unterh?lt sich Luisa mit mir, krault mich hinter den Ohren und wird nicht m?de, mir zu versichern, wie toll der Tussi-Club ist und wie froh sie ist, wieder in Hamburg zu sein.
Carolin tr?gt Luisas Koffer nach oben und legt ihn auf ihr Bett. Sie setzt sich neben Luisa auf den Fussboden und guckt das Kind nachdenklich an.