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»Ja, was denn zum Beispiel?«

Tr?bsinnig starrt Beck vor sich hin. Ich ?berlege kurz. Aber wirklich nur kurz, denn sofort f?llt mir etwas ein, um das ich ihn wirklich beneide.

»Na, du hast es doch eben selbst schon gesagt. Du kennst die Menschen gut. Du verstehst sie, auch wenn sie gerade v?llig seltsame Dinge tun. Ich glaube, ich werde sie nie begreifen.«

Offensichtlich war das genau das richtige Beispiel, denn jetzt l?chelt Herr Beck wieder und gibt mir einen Stups in die Seite.

»Kleiner, da hast du Recht. Ich kenne die Menschen wirklich gut. Aber ich mache dir einen Vorschlag: Jetzt, wo wir Freunde sind, werde ich dir auch helfen. Ich werde dir helfen, die Menschen zu verstehen.«

SECHS

Irgendetwas hinter meinem rechten Ohr juckt ganz furchtbar. Vor ungef?hr drei Tagen fing es an, seitdem ist es jeden Tag ein bisschen schlimmer geworden. Leider erreiche ich diese Stelle nicht mit meiner Zunge, und jedes Mal, wenn ich mit meiner Pfote kratze, kommt zu dem Jucken noch ein ziehender Schmerz hinzu. Mist. Ich will nicht wehleidig erscheinen, aber das ist langsam mehr als unangenehm. Mir kommt die Idee, mich am T?rrahmen zu scheuern. Der ist leicht abgerundet, vielleicht funktioniert das besser als mit meinen Krallen.

»Herkules, was machst du denn da?« Carolin biegt um die Ecke und geht vor mir in die Hocke. Ich scheure weiter und gebe ein kurzes Jaulen von mir. Sie zieht mich vom Rahmen weg und nimmt mich auf den Schoss.

»Irgendetwas stimmt doch da nicht, mein Kleiner. Tut dir dein ?hrchen weh?« Sie streichelt mir ?ber den Kopf. Dann f?hrt sie ?ber mein rechtes Ohr, und ich zucke zusammen. »Tats?chlich, da hast du einen kleinen Knubbel.« Sie fasst nun genau an die schmerzende Stelle, ich jaule laut auf.

»Daniel, kannst du mal kommen? Ich brauche deinen fachm?nnischen Rat. Herkules hat hier so einen Knoten am Ohr, und der scheint ihm auch wehzutun.«

Daniel steckt den Kopf aus seinem Zimmer.»Ich komme gleich, muss hier nur noch kurz was zu Ende machen.«

Hoffentlich kann Daniel mir helfen, denn je l?nger ich dar?ber nachdenke, umso mehr schmerzt das Ohr. Mittlerweile ist das Jucken auch fast v?llig einem durchgehenden Pochen gewichen. Ich lege die Schnauze auf meine Vorderl?ufe und fiepe ein bisschen vor mich hin. Kann ja nicht schaden, wenn die Menschen wissen, wie schlecht es mir geht.

»So, Herkules, dann lass mich mal sehen.«

Daniel beugt sich?ber mich und schiebt ganz sachte mein rechtes Ohr nach vorne. Ich fiepe noch etwas lauter. Als Daniel den Knoten ertastet hat, streicht er behutsam mein Fell auseinander.

»Aha. Habe ich mir schon gedacht.«

Carolin schaut ihn ganz beunruhigt an.»Was Schlimmes?«

Brrr, jetzt bin ich auch beunruhigt. F?llt mir vielleicht gleich mein ?hrchen ab? Abgesehen davon, dass ein gutes Geh?r f?r jeden Jagdhund wichtig ist, w?re ich dann auch mit Sicherheit der h?sslichste Dackel der Welt.

Daniel sch?ttelt den Kopf. »Nein, nein, keine Sorge. Das ist bloss eine Zecke.«

Puh, ich bin erleichtert. Von Zecken habe ich schon mal geh?rt, die sind zu ?berleben. Ich selbst hatte zwar nie eine, aber Emilia hat uns nach unseren Tobestunden im Schlosspark immer gewissenhaft danach abgesucht.

»Allerdings«, f?hrt Daniel dann fort und gibt seiner Stimme einen Klang, die die Sache mit dem abfallenden ?hrchen doch nicht so weit hergeholt erscheinen l?sst, »allerdings scheint sich das Ganze entz?ndet zu haben. Die Bissstelle ist ziemlich warm und eitert schon ein bisschen. Nat?rlich k?nnen wir die Zecke jetzt mit einer Pinzette rausziehen, aber ich w?rde mit Herkules sicherheitshalber mal zum Tierarzt fahren.«

O nein, bitte nicht zum Tierarzt! Es schaudert mich, und ich merke, wie sich mir buchst?blich die Nackenhaare aufstellen.

»Mensch, Herkules, du kannst ja richtig b?se gucken«, stellt Daniel belustigt fest.

W?sste nicht, was daran so komisch ist.

»Offensichtlich versteht uns dein neuer Mitbewohner ganz genau, und zum Tierarzt will er wohl auf keinen Fall. Schau mal, er macht sich ganz steif.«

Er reicht mich zu Carolin, die mich auf den Arm nimmt und mir beruhigend?ber den Kopf streichelt. »Och, Herkules, musst doch keine Angst haben. So ein Besuch beim Tierarzt ist gar nicht schlimm.«

Also, mit Verlaub, das weiss ich ja wohl besser. Von den Anwesenden bin ich doch der Einzige, der diese Erfahrung schon mal als Patient gemacht hat. Sogar schon zweimal. Beim ersten Mal habe ich mich von dem freundlichen Ges?usel noch t?uschen lassen, bis diese Gestalt namens Tierarzt pl?tzlich eine Hautfalte vonmir hochzog und mit einer Nadel zustach. Das muss man sich mal vorstellen - mit einer Nadel! In meine empfindliche Haut! Tierarzt nicht schlimm? Es ist immer wieder erstaunlich, was f?r einen Bl?dsinn Menschen mit dem Brustton der ?berzeugung von sich geben. Wie gerne w?rde ich in solchenMomenten mit ihnen sprechen k?nnen!

W?hrend ich noch damit hadere, dass aus all meinen zweifelsohne wichtigen und zutreffenden Gedanken nichts weiter als ein lautes Bellen werden kann, klingelt es an der T?r. Carolin setzt mich wieder ab und ?ffnet.

»Hallo, ihr alle!«

»Hallo, Nina! Mensch, dich h?tte ich jetzt fast vergessen. Ich f?rchte, unser Plan f?r heute Mittag ?ndert sich etwas.«

Nina guckt entt?uscht. »Och, wieso? Was ist denn passiert?«

»Herkules hat sich eine Zecke eingefangen, und das Ganze hat sich entz?ndet. Ich muss mit ihm mal eben zum Tierarzt. Sp?ter schaffe ich es nicht mehr, da habe ich zu viele Kundentermine.«

»Schade! Aber vielleicht dauert die Aktion nicht so lange, und wir gehen hinterher etwas essen? Dann komme ich jetzt einfach mit. Wo soll’s denn hingehen?«

»Tja, dar?ber habe ich mir noch gar keine Gedanken gemacht. Ich habe nicht damit gerechnet, dass ich so schnell schon einen Tierarzt brauchen w?rde. Hast du vielleicht einen Tipp, Daniel?«

Daniel denkt nach, jedenfalls legt er seine Stirn in Falten, und das ist meist ein untr?gliches Zeichen daf?r. ?berhaupt muss ich mir mal angew?hnen, Menschen mehr ins Gesicht zu schauen. Da erf?hrt man doch sehr viel ?ber die momentane Stimmung. Mittlerweile habe ich zwar schon einiges in Sachen »Versteh einer die Menschen« gelernt, aber vielleicht k?nnte mir Beck noch ein paar Nachhilfestunden geben.

»Also, unser alter Tierarzt war spitze, aber ich bin mir nicht sicher, ob er ?berhaupt noch praktiziert. Der war eigentlich der Beste und daf?r stadtbekannt. Wagner hiess er, die Praxis war hier gleich um die Ecke, in der Hellmannstrasse. Ruf doch mal die Auskunft an.«

Keine halbe Stunde sp?ter sitzen wir schon zu dritt in Dr. Wagners Praxis. Der von Eschersbach’sehe Tierarzt kam immer auf das Schloss, insofern ist mein Tierarztbesuch heute doch eine Premiere. Und ich muss zugeben: H?tte ich nicht solche Ohrenschmerzen, w?re es hier eigentlich recht interessant. Von meinemPlatz auf Carolins Schoss kann ich genau sehen, dass in der Transportbox unter dem Stuhl neben uns zwei Kaninchen hocken. Wahnsinn - so nah war ich denen noch nie. Ich sp?re, wie sich ein warmes Kribbeln in meiner Nase breitmacht. Zu gerne w?rde ich auf den Boden h?pfen und mir die beiden einmal genauer ansehen. Vielleicht k?nnte ich sie ein bisschen durch das Wartezimmer jagen? Nur zum Spass nat?rlich. Stichwort Solidarit?t unter Haustieren. So ein bisschen in die Hinterl?ufe zwacken w?rde die aber bestimmt nicht umbringen. Ich stelle fest, dass mein Ohr bei diesem Gedanken gleich viel weniger schmerzt.

Langsam rutsche ich mit meinen Vorderl?ufen von Carolins Schoss und schaue kurz hoch, ob sie mich gerade beobachtet. Nein, denn sie unterh?lt sich angeregt mit Nina ?ber ihr Lieblingsthema - Thomas. Sachte lasse ich mich von ihrem Schoss gleiten und lande direkt vor der Kaninchenbox. Carolin streichelt mir nur kurz ?ber denKopf, dann dreht sie sich wieder zu Nina. Ich gucke mich um - die Luft ist rein, denn der zust?ndige Kaninchenmensch steht am Anmeldetresen und spricht mit einer jungen Frau. So, Freunde, dann wollen wir doch mal ein bisschen spielen, oder?

Ich presse meine Schnauze an die Box. Ein herrlicher Geruch, ich k?nnte laut bellen vor Freude! Aber das lasse ich lieber, denn dann fliege ich bestimmt auf, und der Spass ist vorbei, bevor er richtig angefangen hat. Stattdessen versuche ich, den Riegel hochzuschieben, mit dem die kleine Gittert?r an der einen Seite der Box verschlossen ist. Die Kaninchen starren mich an, begeistert sehen sie nicht aus. Aber das k?mmert mich nicht, und so packe ich jetzt den Riegel mit meinen Z?hnen und drehe ihn hoch. Mit einem leisen »Klack« schwingt das Gittert?rchen nach vorne auf. Fantastisch! Es funktioniert! Sofort stecke ich meinen Kopf in dieBox und versuche, das gr?ssere der beiden Kaninchen zu packen. ?ngstlich quiekt es auf, offensichtlich versteht es ?berhaupt keinen Spass. Bevor ich es allerdings richtig erwische, passiert etwas Unglaubliches: Sein Kollege schiesst pfeilschnell nach vorne und beisst mich mitten in die Nase. Ich heule laut auf und ziehe meinen Kopf aus der Box. So eine Gemeinheit!