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Die Kaninchen nutzen ihre Chance zur Flucht und springen sofort aus der Box. Ich belle w?tend und will hinterher, denke allerdings nicht daran, dass ich angeleint bin. In besagter Leine verf?ngt sich Nina, die erschreckt aufspringt, als eines der beiden Kaninchen durch ihre Beine huscht. Sie stolpert, kommt ins Taumeln - und f?llt direkt in die Arme eines Mannes im weissen Kittel, der in diesem Moment die T?r neben unserer Stuhlreihe ?ffnet und harmlos »Frau Neumann mit Herkules?« in die Runde ruft. Als ich ihn sehe, durchzuckt mich ein seltsames Gef?hl. Aber ich komme nicht dazu, weiter dar?ber nachzudenken, denn mittlerweile ist der Kaninchenbesitzer vomTresen zu uns gerannt, ruft »Bobo, Schneeweisschen! Meine armen Lieblinge!«, und versucht, mir einen gezielten Tritt zu verpassen. Ich weiche aus und ducke mich unter den n?chsten Stuhl. Carolin zerrt jetzt hektisch an meiner Leine, und die Oma von schr?g gegen?ber, die mit einem ?lteren Cocker dasitzt, bekommt vor Aufregung einen Hustenanfall. Der Mann im Kittel - offensichtlich Dr. Wagner - h?lt immer noch Nina im Arm, und ich warte darauf, dass er sie jetzt fallen l?sst und sich auch auf die Jagd nach mir macht.

Aber nichts dergleichen passiert, stattdessen f?ngt Dr. Wagner an, laut zu lachen. Ein sehr dunkles, fr?hliches Lachen. Ein Lachen, das mir bekannt vorkommt. Auf einmal ist es, als w?re ich wieder auf Schloss Eschersbach und s?sse mit Charlotte auf den kalten Fliesen im Vorraum des Pferdestalls. Fast kann ich die Stimme des alten von Eschersbach h?ren, der sich mit dem Tierarzt unterh?lt. Dr. Wagner ist nicht irgendein Tierarzt, er ist mein Tierarzt! Aufgeregt fange ich an zu bellen - ob aus Angst oder vor Freude, weiss ich selbst nicht.

»Na, mein Kleiner! Da hast du ja ein sch?nes Chaos hier angerichtet.«

Dr. Wagner kniet sich vor den Stuhl, unter dem ich immer noch hocke und streichelt mir?ber den Kopf. Jetzt beugt sich Carolin daneben, l?st meine v?llig verknotete Leine und zieht mich unter dem Sitz hervor.

»O Gott, Herr Dr. Wagner, das ist mir so unglaublich peinlich. Entschuldigen Sie vielmals, ich hoffe, den Kaninchen ist nichts passiert.«

Pah! Verr?terin! Was k?mmern sie die Kaninchen? Sie sollte sich lieber mal um mich Sorgen machen - erst bef?llt mich die heimt?ckische Ohrenf?ule und dann werde ich hier noch derart brutal mit meiner Vergangenheit konfrontiert. Aber wenigstens Dr. Wagner weiss Priorit?ten zu setzen. Er sch?ttelt den Kopf, dann nimmt er mich auf den Arm.

»Keine Sorge, das muss Ihnen nicht peinlich sein. Dieses kleine Kerlchen kann eigentlich nichts daf?r. Ein Dackelmix, oder? Sie m?ssen wissen, Dackel sind jahrhundertelang nur daf?r gez?chtet worden, ebendiesen Kaninchen an den Kragen zu gehen. Und gegen dreihundert Jahre Zucht kann auchder wohlerzogenste Hund nicht an.« Er streichelt mich, ich schlecke seine H?nde ab. »Dabei f?llt mir auf: Irgendwie kommt mir Herkules bekannt vor. Waren Sie schon einmal mit ihm hier? Wir haben noch gar keine Patientenakte von ihm.«

Carolin sch?ttelt den Kopf. »Nein, ich bin Neu-Hundebesitzerin. Ein Freund hat mir Ihre Praxis empfohlen.«

»Tja, dann t?usch ich mich wohl. Ich habe die Praxis allerdings auch erst vor einem guten Jahr von meinem Vater ?bernommen, und ich gebe zu, dass ich den ein oder andern Patienten noch verwechsle.« Er dreht sich zu Nina. »Ich hoffe, ich bin Ihnen mit meinem kleinen Rettungsman?ver nichtzu nahe getreten?«

Nina gibt ein sehr seltsames Kichern von sich und sagt mit einer Stimme, die v?llig anders klingt als sonst: »Aber nein, ganz im Gegenteil. Sie kamen gerade rechtzeitig, vielen Dank.«

»Na gut, dann wollen wir uns Herkules doch mal in Ruhe anschauen. Kommen Sie bitte mit?«

Er?ffnet wieder die T?r, aus der er eben gekommen ist, und macht eine einladende Handbewegung. Carolin geht vor, und auch Nina will sich meine Untersuchung offenbar nicht nehmen lassen. Jedenfalls setzt sie sich nicht einfach wieder hin, sondern geht sofort hinter Carolin her.

Dr. Wagner nickt noch kurz der jungen Frau am Tresen zu.»Sinje, helfen Sie bitte kurz Herrn Riedler, Bobo und Schneeweisschen einzufangen? Nicht, dass sie hier dem n?chsten Jagdhund zum Opfer fallen.«

Hinter der T?r befindet sich ein heller Raum mit einem Tisch in der Mitte. Dr. Wagner setzt mich darauf und mustert mich.

»So, Herkules, wo dr?ckt denn der Schuh?«

»Er hat eine Zecke hinter dem rechten Ohr, und ich f?rchte, der Biss hat sich entz?ndet«, erkl?rt Carolin.

Dr. Wagner f?hrt mit seiner Hand an meinem Ohr entlang, bis er zu dem Knoten kommt. Als er ihn ber?hrt, zucke ich zusammen. In dem ganzen Tohuwabohu tat es eigentlich gar nicht mehr weh, aber jetzt ist das Pochen wieder fast unertr?glich.

»Sie haben Recht, das hat sich entz?ndet. Ich werde die Zecke jetzt herausziehen und die Stelle desinfizieren. Dann werde ich Herkules ein Antibiotikum verschreiben. Es w?re ja m?glich, dass das Biest ihn mit ein paar Keimen infiziert hat. Ausserdem gebe ich Ihnen einen Plastikkragen mit,damit er sich an der Stelle erst mal nicht mehr kratzen kann.«

Na grossartig! Das sind ja tolle Aussichten f?r die n?chsten Tage. Wette, Beck bricht lachend zusammen, wenn er mich mit so einem Teil sieht.

»So, ich schlage vor, Sie halten Herkules jetzt die Vorderl?ufe fest, und ich lege ihm einen Maulkorb um. Nicht, dass er einen von uns beisst, wenn ich die Zecke entferne.«

»Kann ich mich auch irgendwie n?tzlich machen?«, will Nina wissen.

T?usche ich mich, oder m?chte sie einen guten Eindruck bei Dr. Wagner hinterlassen? Sie ist doch sonst nicht so zuckers?ss.

»Danke, Frau … ?h …«

»Bogner. Nina Bogner.«

Mit dem Maulkorb um die Schnauze habe ich zwar nicht mehr die perfekte Sicht, aber immer noch gut genug, um zu erkennen, dass Nina Dr. Wagner regelrecht anstrahlt. Man kann alle ihre Z?hne sehen. F?r einen Menschen ein recht ordentliches Gebiss, muss ich schon sagen. Ihre Stimme klingt allerdings mittlerweile eher wie ein Fl?ten. Unangenehm.

»Danke, Frau Bogner, nett von Ihnen. Aber das schaffen wir hier schon.«

»Tja, ich bin so besorgt um unseren kleinen Freund hier. Ich liebe Hunde, m?ssen Sie wissen.«

Mann, das Ges?usel nervt. Hoffentlich ist Dr. Wagner bald fertig, und wir k?nnen wieder nach Hause. Aus den Augenwinkeln sehe ich, dass er nun eine Art Zange in der Hand h?lt. Er b?ckt sich ?ber mich und - AUTSCH! Ich wusste doch, dass ein Besuch beim Tierarzt immer schmerzhaft endet. Und heute ist es keine Ausnahme. Zu gerne w?rde ich nach Wagner schnappen, aber der bl?de Maulkorb hindert mich daran.

»Ganz ruhig, Herkules! Wir haben es gleich geschafft«, behauptet Wagner. »Nur noch einen kleinen Augenblick, dann kannst du wieder vom Tisch.«

Er nimmt eine kleine Flasche mit Fl?ssigkeit und ?ffnet sie. Ein durchdringender, stechender Geruch str?mt aus. Urks, das riecht ja widerlich! Wagner tr?ufelt etwas von dem Zeug auf einen Tupfer. Dann bestreicht er die Stelle damit. Nochmal AUTSCH! Es brennt h?llisch, und diesmal kann ich mich von Carolin losreissen undaufspringen. Emp?rt knurre ich die beiden an.

»Herkules!«, schimpft Carolin, »Dr. Wagner will dir doch nur helfen. Jetzt sei brav und leg dich wieder hin!«

»Nicht n?tig, Frau Neumann. Ich bin schon fertig. Die Zecke ist draussen, die Stelle habe ich desinfiziert. Meine Helferin gibt Ihnen noch den Kragen und das Antibiotikum mit. Das Medikament bekommt Herkules die n?chsten sieben Tage ins Futter. Damit m?sste eigentlich alles in Ordnung sein, und Ihr Herkules ist bald wieder auf dem Posten.«