Ich sch?ttle den Kopf. »Ich verstehe nicht, was daran so aufregend sein soll. Diese Menschen fallen sich doch andauernd um den Hals. Wahrscheinlich steht man auf zwei Beinen doch nicht so doll, und sie m?ssen sich eben ab und zu mal bei anderen Menschen abst?tzen. Nina ist heute zum Beispiel auch diesem Tierarzt…«
»Ach Quatsch, du d?mlicher Dackel!«, unterbricht mich Beck unwirsch. »Doch nicht so! Sie haben sich gek?sst! Verstehst du? Thomas hat eine andere Frau gek?sst!«
»Warum auch nicht? Habe ich jetzt schon h?ufiger gesehen. Carolin und Nina k?ssen sich auch ab und zu ins Gesicht, das ist doch einfach ein Ritual bei Menschen.«
»Mit Zunge?«
»Bitte?«
»Na, k?ssen sie sich mit Zunge?«
Ich bin verwirrt. K?ssen mit Zunge?
»Also abschlecken? Das habe ich bei Menschen noch nie gesehen. Das machen die doch gar nicht. Was schade ist.«
»Siehst du!« Beck bricht in Triumphgeheul aus. »Sie machen es eben doch! Aber nicht immer. Sondern nur, wenn sie sich paaren wollen. Und genau das habe ich gesehen, ich bin n?mlich extra mit in den Flur geschlichen, weil ich schon so etwas geahnt habe: Thomas hat diese Frau mit seiner Zunge abgeschleckt, und sie ihn auch. Also, erst k?ssten sie sich ganz normal, und dann steckten sie sich die Zunge in den Mund. Ein untr?gliches Zeichen! Hier ist ein grosser Betrug im Gange, und ich habe ihn aufgedeckt!«
Das ist nun eindeutig zu kompliziert f?r einen kleinen Dackel. Mir schwirren die Ohren, und zwar beide, und das liegt nicht an der Halskrause. Offenbar sieht man mir meine Verwirrtheit deutlich an, denn jetzt r?ckt Herr Beck noch ein St?ck n?her an mich heran und fl?stert verschw?rerisch.
»Carl-Leopold von Eschersbach, ich liefere dir Thomas direkt ans Messer. Er betr?gt Carolin mit einer anderen Frau. Wie du bestimmt weisst, bilden M?nner und Frauen gerne Paare miteinander. Und wenn sie das getan haben, dann bleiben sie zu zweit. Alles andere ist Betrug. Also sich mit einer Frau oder einem Mann paaren, die oder der einem nicht geh?rt, ist Betrug. Und sich so k?ssen, wie sich Thomas und diese andere Frau gek?sst haben, ist meist der Anfang vom Betrug. Mein altes Herrchen, der Anwalt, der kannte sich da m?chtig gut aus. Zu ihm kamen viele M?nner und Frauen, die sich von ihrem Partner trennen wollten, weil der sie betrogen hat. Wir hatten dann einen Spezialisten, der hat Fotos von solchen Betr?gern gemacht, damit man es auch beweisen konnte. Da sah man ganz h?ufig Menschen drauf, die sich so abgeschleckt haben. Wenn unsere Mandanten die Fotos gesehen haben, haben sie meistens erst geweint - und dann hat mein Herrchen ihnen geholfen, den Betr?ger loszuwerden. Daher mein Plan: Wir zeigen Carolin, dass Thomas ein Betr?ger ist - und dann schmeissen wir ihn raus. Genial, oder?«
Jetzt bin ich auch ganz aufgeregt und wedele wild mit meiner Rute hin und her.
»Und du meinst, das funktioniert?«
»Hundert Prozent. Eine todsichere Sache. Wir brauchen nur noch einen Beweis.«
Ich h?re auf zu wedeln.
»Mist.«
»Was denn?«
»Der Beweis. Wie sollen wir das beweisen? Wir k?nnen schliesslich kein Foto davon machen und es Carolin vorlegen. Und so dumm, sich vor ihren Augen zu k?ssen, wird Thomas wohl kaum sein.«
Beck nickt.»Stimmt, das ist noch ein Problem. Darauf muss ich noch ein bisschen herumdenken. Aber da f?llt mir bestimmt noch etwas ein. Bis es so weit ist, schlage ich vor, die Observation zu intensivieren. Zur gegebenen Zeit werden wir dann ins Beweissicherungsverfahren eintreten.«
Sagte ich doch: Juristengeschwafel.
»Aber du weisst doch gar nicht, in welcher Wohnung Thomas mit dieser Frau ist. Und selbst wenn du es w?sstest - wie sollen wir da reinkommen?«
»Du bist vielleicht ein Bedenkentr?ger. Und in beiden Punkten liegst du falsch. Erstens: Die Wohnung ist im Erdgeschoss. Ich habe gesehen, wie die Frau ein Fenster geschlossen hat. Und das erleichtert uns auch schon zweitens: In eine Erdgeschosswohnung sollte doch selbst ein Hund m?helos reinkommen.«
T?usche ich mich, oder h?re ich da einen sp?ttischen Unterton? Egal, ich beschliesse, ihn zu ignorieren, denn auf keinen Fall werde ich mich dazu provozieren lassen, hier in ein fremdes Haus einzudringen, angef?hrt von einem Kater, der offensichtlich nicht mehr alle Tassen im Schrank hat.
»Los, beeil dich, ich kann dich nicht l?nger tragen!«
Beck?chzt und wankt. Ich z?gere noch. Bis zum Fenstersims ist es bestimmt ein guter Meter, wenn ich herunterfalle, werde ich sehr hart landen. Aber wir sind schon so weit gekommen, jetzt aufzugeben und umzudrehen w?re eine Schande. Tats?chlich haben wir uns mit dem Postboten unauff?llig ins Haus gemogelt und sind durch die Hintert?r in den Hof gelangt. Nun muss ich »nur« noch vom Treppenabgang der Hintert?r zum Fenster der besagten Wohnung. Also schliesse ich die Augen, hole tief Luft - und springe.
Gut, vielleicht war es auch eher ein halber Meter. Jedenfalls lande ich fast m?helos direkt vor dem grossen Fenster. Uff. Zwei Sekunden sp?ter landet Beck neben mir. Irgendwie beneide ich Katzen um ihre Mobilit?t. Selbst ohne den Kragen w?rde ich nicht halb so weit wie Beck kommen. Neugierig schauen wir beide durch das Fenster. Tats?chlich. Da ist Thomas. Und diese Frau. Und sie machen genau das, was Thomas neulich als »voll in Fahrt sein« betitelt hatte. Im dunklen Schlafzimmer war das etwas schwierig zu erkennen, aber hier ist die Sachlage v?llig klar: Wir werden gerade Zeugen eines Deckaktes.
Beck jubelt.»Ja, ich wusste es! Sex! Nennt mich die Supersp?rnase! Nennt mich Sherlock Beck! Von wegenzu alt -ich hab’s einfach drauf.«
Er springt so wild rauf und runter, dass ich schon Angst habe, wir k?nnten a) zusammen runterfallen oder b) entdeckt werden. Wobei Letzteres eher unwahrscheinlich ist, denn Thomas und Begleitung sind doch sehr mit sich selbst besch?ftigt.
»So, und das ist also Sex«, stelle ich trocken fest, nachdem Beck sich wieder beruhigt hat.
»Genau. Und die Menschen machen einen Riesenwirbel darum. Also, um wer mit wem und wann und wieso. Kannste glauben.«
Gut, das ist unter Dackelz?chtern ja nicht anders. Das Decken des Weibchens ist immer eine Riesengeschichte: Der richtige R?de muss her, vielleicht noch die Genehmigung des Bundeszuchtwartes eingeholt werden, dann heisst es Warten auf die Hitze des Weibchens, schliesslich auf seine Paarungsbereitschaft, und, und, und … eine komplizierte Angelegenheit also. Und dann muss der Z?chter nat?rlich die ganze Zeit hinterher sein, dass kein fremder R?de den Deckakt vollzieht - siehe meine Mutter. Sonst war die ganze M?he umsonst und aus der Traum vom Pr?miumnachwuchs. Aber ich schweife ab.
Festzuhalten bleibt: W?hrend der Wirbel unter Dackelz?chtern eher den handfesten Grund hat, den Zucht-und Eintragungsbestimmungen des Deutschen Teckelklubs Gen?ge zu tun, geht es den Menschen doch anscheinend noch um etwas ganz anderes. Um etwas, was gravierender ist als ?rger mit dem Stammbuchamt. Denn sonst w?re die Angelegenheit doch wohl nicht dazu geeignet, Paare, respektive Carolin und Thomas, auseinanderzubringen.
»Tr?umst du?«, will Beck wissen.
»Nein, ich frage mich nur, warum das den Menschen so wichtig ist. Also, die Frage, wer warum mit wem.«
»Wegen der Liebe nat?rlich!«
»Wegen der Liebe? Was hat die denn damit zu tun?«
»Mann, Herkules, bei dir muss man ja wirklich ganz von vorne anfangen. Also, wie Sex und Liebe zusammengeh?ren, das ist nun eine ganz elementare Frage bei Menschenpaaren. Aber das kann ich dir nicht eben nebenbei erkl?ren. Daf?r brache ich viel Zeit. Und die haben wir gerade nicht. Denn wichtiger ist im Moment, wie wir Carolin beweisen k?nnen, dass Thomas sie betr?gt. Alles andere kommt sp?ter.«
Na gut, wo der Kater Recht hat, hat er Recht. Da kommt mir eine Spitzenidee.»Okay, wenn wir kein Foto haben, dann m?ssen wir eben etwas anderes mitnehmen.«
Beck schaut mich?berrascht an. »Etwas mitnehmen? Was denn?«
»Irgendetwas, was eindeutig ist. Woran Carolin gleich erkennt, was passiert ist. Etwas wie …«, ich schaue mir die Szenerie noch mal gr?ndlich an, »… genau - ich hab’s!«
»Du mieses, mieses Schwein!«
Carolin ist v?llig ausser sich. Ich bin begeistert. Unser Plan funktioniert tats?chlich!