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In Daniels und Carolins Geigenbauklasse gab es ganz viele M?dchen, aber keines war so wie Carolin. Daniel hat das gleich erkannt, und bald waren sie die besten Freunde. Sie haben sogar zusammen gewohnt. Viele Sachen, die jeder von ihnen zum ersten Mal im Leben gemacht hat, haben sie zusammen erlebt: der erste grosse Hausputz, der erste selbst gekochte Sonntagsbraten, das erste Weihnachten ohne Eltern. Nur die erste grosse Liebe, die hatte jeder f?r sich. Was auch den Vorteil hatte, sich dann gegenseitig tr?sten zu k?nnen.

Wenn Daniel erz?hlt, habe ich fast das Gef?hl, als sei ich selbst ein Mensch. Zumindest bilde ich mir ein, dass ich langsam begreife, wie die Zweibeiner ticken. Sicher, Herr Beck hat mir auch schon so manches erkl?rt. Aber aus dem Munde des Studienobjektes selbst klingt das doch irgendwie … glaubw?rdiger. Bei Beck bin ich mir jedenfalls nicht immer ganz sicher, ob er sich nicht einen Teil einfach ausdenkt, um die Geschichte interessanter zu machen.

Daniel t?tschelt mich noch einmal, dann setzt er mich wieder auf den Boden. »So, jetzt muss ich mal einen Schlag reinhauen, sonst versinken wir hier langsam, aber sicher im Chaos. Gleich kommt eine besondere Kundin. F?r dich als Dackel wahrscheinlich nicht so leicht zu erkennen - aber als Mann kann ich dir versichern: eine Augenweide! Eine exzellente Musikerin noch dazu. Und ein Temperament - o l? l?! Nicht von schlechten Eltern, die Dame. Manchmal muss man sie ein bisschen bremsen, aber es ist immer sch?n, sie zu sehen.«

Er f?ngt an, eine Melodie zu summen und seine Werkbank aufzur?umen.

Das ist nun wirklich langweilig. Und wohlm?glich spielt diese exzellente Musikerin auch gleich Geige, das ist dann erst recht nichts f?r mich. Ich trotte Richtung Terrassent?r. Vielleicht treffe ich im Garten Herrn Beck. So ein nettes Gespr?ch unter Haustieren, das h?tte jetzt was.

Aber leider von Beck keine Spur, weder hinter dem Haus noch im Vorgarten. Daf?r mache ich eine andere interessante Entdeckung: Direkt auf dem M?uerchen, das unseren Vorgarten umgibt, hat eine junge Frau Platz genommen. Sie sitzt da und macht irgendetwas mit ihrem Gesicht. Ich trabe n?her heran, um besser sehen zu k?nnen. Sie beachtet mich gar nicht, so besch?ftigt ist sie mit … ja, mit was eigentlich? Oberfl?chlich betrachtet, w?rde ich sagen, sie malt sich an. Jedenfalls h?lt sie erst ein Schw?mmchen in der Hand, auf dem helle Farbe aufgetragen ist, und dann schmiert sie sich diese Farbe auf die Nase. Einen Moment sp?ter nimmt sie einen Stift und streicht eine rote Paste auf ihren Mund. Hm, seltsam.

Die Frau packt ihre Malinstrumente wieder in ihre Tasche und steht auf. Dann beugt sie sich rasch nach vorne und sch?ttelt ihre Haare ?ber den Kopf. Sieht ziemlich genau so aus, wie ein Hund, der aus dem Wasser kommt und sich trockensch?ttelt. Dass Menschen das auch ohne Wasser machen: ein weiterer Beweis, dass Zweibeiner v?llig irrational handelnde Wesen sind. Ohne Sinn und Verstand. Sie wirft die -v?llig trockenen Haare - zur?ck ?ber die Schultern. Sie sind sehr lang, sehr schwarz und sehr lockig. Erinnert entfernt an den ungarischen Hirtenhund, der mal bei uns auf Schloss Eschersbach zu Besuch war. Da habe ich mich spontan gefragt, wie der ?berhaupt die Schafe sieht, auf die er aufpassen soll.

Jetzt sehe ich, dass die Frau neben der Tasche noch einen Koffer dabei hat. Eindeutig ein Geigenkasten, wie ich mittlerweile weiss. Dann ist das wohl die Musikerin, von der eben die Rede war. Ob sie nun f?r das menschliche Auge besonders h?bsch ist, kann ich nicht einsch?tzen. Ist ja auch schwer zu sagen, schliesslich hat sie sich ihr Gesicht so bemalt, dass es in seiner urspr?nglichen Form nicht mehr zu erkennen ist. Die sch?nste Frau auf der Welt ist ausserdem Carolin, und der Rest interessiert mich nicht.

Die Angemalte geht auf den Eingang zu, ich laufe durch den Garten wieder zur?ck zur Terrassent?r und stehe schon neben Daniel, als der die Werkstattt?re ?ffnet.

»Daniel, mein Bester!«

Sie f?llt ihm um den Hals und k?sst ihn. Ich gebe mir gr?sste M?he, zu erkennen, ob mit oder ohne Zunge. Habe schliesslich dazugelernt. Leider kann ich es so recht nicht sehen, ihre bauschigen Locken verdecken beide Gesichter. Im eigenen Interesse hoffe ich aber, dass dies hier nur eine normale Begr?ssung war, denn etwas anderes kann ich momentan nicht gebrauchen. Auch wenn ich an den j?ngsten Entwicklungen nicht unschuldig bin. Bisher war die Werkstatt ein guter R?ckzugsort vor menschlichen Gef?hlswirrungen, und das soll doch bitte so bleiben.

»Wow, Aurora, du siehst wie immer fantastisch aus! Komm rein, ich habe schon auf dich gewartet. Carolin ist leider krank und diese Woche nicht in der Werkstatt.«

»Die Arme! Was hat sie denn?«

T?usche ich mich, oder klingt diese Anteilnahme irgendwie unecht? Ich w?rde einen gr?sseren Fleischwurstzipfel darauf verwetten, dass diese Aurora froh ist, Carolin nicht zu sehen.

»Ach, sie ist ziemlich erk?ltet. Hat einen ganz dicken Kopf, und ich habe ihr geraten, sich mal richtig auszukurieren.«

»Ja, gute Idee.« Aurora hebt die Hand und macht eine drohende Geste mit dem Zeigefinger. »Nicht, dass sie dich noch ansteckt. Jetzt, wo ich dich so dringend brauche, mein Lieber.« Endlich bemerkt sich auch mich. »Seit wann hast du denn einen Hund?«

»Carolin hat ihn im letzten Monat aus dem Tierheim mitgebracht. S?sses Kerlchen, nicht? Ich bet?tige mich ein bisschen als Hundesitter, solange sie krank ist.«

»Nett von dir. Ich bin eigentlich kein Hundefreund, Katzen sind mir lieber. Aber der ist wirklich ganz niedlich.«

Grrr, Katzen sind ihr lieber? Vielleicht zwicke ich die Dame gleich mal in die Hacken, dann hat sie wenigstens einen guten Grund f?r ihre Katzenliebe.

»So, dann lass mich das Schmuckst?ck mal sehen, ich bin schon ganz gespannt.« Daniel hilft Aurora aus dem Mantel und f?hrt sie in seinen Werkstattraum.

»Das kannst du auch sein, Daniel. Sie ist wirklich wundersch?n.«

Sie reicht ihm den Geigenkasten, er legt ihn auf seine Werkbank und?ffnet ihn vorsichtig, nimmt die Geige heraus und dreht sie hin und her. Dann pfeift er anerkennend.

»Alle Achtung! Cremoneser Schule, unverkennbar!«

»Ich war ganz aufgeregt, als der Vermittler bei mir anrief. Ich habe so lange nach einem solchen Instrument gesucht. Letzte Woche war das Gutachten fertig, und gestern ist sie per Express aus London gekommen. Meinst du, du bekommst sie wieder hin?«

»Na ja, in der Decke ist ein Riss, die W?lbungen sind verzogen - aber alles in allem scheint es nicht so dramatisch zu sein. Ich w?rde sagen: Es gibt Hoffnung.«

Aurora gibt einen Jauchzer von sich und f?llt Daniel schon wieder um den Hals.

»Ich wusste es, du bist einfach der Beste! Danke, danke, danke!«

Mit einer gewissen Genugtuung bemerke ich, dass Daniel sie sanft von sich schiebt.

»Keine Ursache, ist schliesslich mein Job.«

»Wann kannst du damit anfangen?«

Daniel schaut Richtung Kalender, der an der gegen?berliegenden Wand h?ngt.

»Hm, warte mal. Also diese Woche wird es nichts mehr, weil ich momentan ganz allein bin. Aber f?r n?chste Woche hatte ich dich schon prophylaktisch eingeplant, da werde ich auf alle F?lle anfangen. Wie lange es dann dauert, kann ich noch nicht genau sagen. Kommt auch drauf an, was ich noch entdecke, wenn ich sie aufmache.«

Aurora nickt und legt eine Hand auf Daniels Arm.»Ruf mich einfach an, wenn du klarer siehst. Kommst du eigentlich zu meinem Konzert in der Musikhalle n?chste Woche?«

»Ich weiss noch nicht, ob ich es hinbekomme. Hier ist so viel los …«, er hebt entschuldigend die H?nde.

»Dann hoffe ich einfach mal, dass die arme Carolin bald wieder auf dem Damm ist. Du w?rdest echt etwas verpassen. Wir k?nnten danach essen gehen, ein bisschen feiern. Die neue Violine muss doch begossen werden. Wie klingt das?«

»Mensch, Aurora, das klingt unglaublich gut. Ich werde sehen, was ich machen kann. So, jetzt muss ich aber wieder.« Mit freundlicher, aber unmissverst?ndlicher Geste f?hrt er Aurora zum Ausgang und hilft ihr wieder in den Mantel.

»Also sehen wir uns n?chste Woche, mein Lieber! Ich z?hle auf dich, gib dir bitte M?he!«

Daniel l?chelt. »Mache ich. Und deswegen werde ich gleich mal wieder fleissig sein.«