»Komisch, davon hat Nina eben auch gesprochen.«
»Siehste! Und die kennt sich aus damit. Seitdem ich in diesem Haus wohne, habe ich Nina bestimmt schon mit f?nf bis sechs verschiedenen Herren hier aufkreuzen sehen. Wir machen es einfach genauso - schleppen so viele M?nner wie m?glich an. Wie Nina. Glaub mir, die ist Expertin.«
Ich gucke ihn zweifelnd an.»Ach ja? Und warum hat sie dann noch keinen Mann? So toll scheint ihr Auswahlverfahren nicht zu funktionieren. Jetzt kommt sie sogar mit diesem furchtbaren Tierarzt an.«
»Wer weiss? Vielleicht will sie die M?nner gar nicht dauerhaft behalten? Vielleicht sind die einfach nach einiger Zeit irgendwie … aufgebraucht. Und dann muss ein neuer her.«
»Das w?re das erste Mal, dass ich so etwas ?ber menschliche Partnerschaften h?re. Ich dachte, das Konzept ist eher ewige Treue. Hast du selbst gesagt. Sonst h?tte sich Carolin auch ?ber die Sache mit dem H?schen nicht so aufgeregt, oder?«
Herr Beck legt den Kopf schief.»Hm, hast du auch wieder Recht. Ja, was weiss denn ich? Ich bin auch nur ein alter Kater, der sich redlich M?he gibt, die Menschen zu verstehen. Muss aber nicht immer klappen. Also, was ist jetzt? Gehen wir in den Park?«
»Na gut.«
Aktion Schrotflinte kann beginnen.
Das Wetter ist heute sch?n, deswegen tummeln sich im Park mehr Menschen, als man sich in Ruhe ansehen kann. Wir beschliessen, es vor allem bei den Parkb?nken in der N?he unseres Hauses zu versuchen. Dann m?ssen wir die M?nner nicht ?ber die halbe Wiese locken, wenn sie uns tats?chlich folgen. Leider sitzen auf den beiden n?chsten B?nken entweder nur Frauen, oder aber Willi mit seinen Plastikt?ten. Der uns ?brigens freundlich zuwinkt. So hat’s keinen Sinn.
Bei der dritten Parkbank werden wir schliesslich f?ndig: Ein junger Mann hat sich dort niedergelassen und bindet sich die Schn?rsenkel zu. Seine Augenfarbe kann ich zwar nicht erkennen, aber die wollten wir im ersten Anlauf sowieso unber?cksichtigt lassen. Herr Beck und ich schleichen n?her heran, dann beginnen wir mit der Show.
Das heisst - wollen mit ihr beginnen. Denn bevor ich noch so richtig loslegen kann, steuert auf einmal eine junge Frau auf die Bank zu, beugt sich zu dem Mann herunter und k?sst ihn. Dann setzt sie sich neben ihn. Ich rapple mich wieder vom Boden auf, sch?ttle mich kurz und setze mich neben Beck.
»Mist, der hat schon eine Frau.«
Beck kichert.»Aber die k?nnten wir fragen, ob der Typ gut k?ssen kann. Das war doch eines deiner neu entdeckten Kriterien.«
»Ha, ha! Sehr lustig.«
Ich bin ein bisschen entt?uscht, weil der Mann f?r meinen Dackelgeschmack sehr nett aussah. Das Letzte, was ich da brauche, sind h?mische Kommentare eines ?bergewichtigen Katers.
»Wie w?re es, wenn du den n?chsten Mann aussuchst?«, schlage ich vor und klinge dabei eingeschnappter, als ich eigentlich zugeben wollte.
»Gerne, mein Lieber, gerne. Ich habe auch schon einen gesichtet - guck mal, da vorne!«
Er l?uft ein St?ckchen die Wiese entlang, dann h?lt er vor einer Bank neben einem sch?nen Blumenbeet. Okay, ich muss zugeben, der Mensch sieht auch nicht schlecht aus. Er liest Zeitung, was schon mal ein Zeichen von gewisser Bildung zu sein scheint und es uns ausserdem erm?glicht, uns unbemerkt direkt vor seine F?sse zu legen. Ich rolle mich also wieder auf den R?cken und beginne zu kl?ffen. Und zwar so richtig j?mmerlich.
Nach einer Weile schaut der Mann von seiner Zeitung auf und beobachtet mich aufmerksam. Meine ich jedenfalls, denn nat?rlich kann ich das von meiner Warte aus nicht so genau sehen. Mir scheint allerdings, dass der Mann leider nicht die geringste anteilnehmende Regung auf meine Darstellung eines todkranken Hundes zeigt. Mist! Bei Willi hat das doch gleich geklappt. Ich winde mich mittlerweile direkt vor seinen F?ssen und jaule so mitleiderregend, wie ich nur kann. Vor lauter Jaulen und Japsen bildet sich sogar ein wenig Schaum vor meinem Fang. Trotzdem guckt der Mann mich nur gelangweilt an und zieht seine F?sse ein St?ck zur Seite, um kurz darauf aufzustehen. Dann dreht er sich um und geht einfach weg. Ich bin sprachlos. Das gibt’s doch nicht! Beck kommt auf mich zugetrabt.
»He, was war denn das? Ist der einfach abgehauen? Und hat dich deinem traurigen Schicksal ?berlassen? Unglaublich, wie herzlos diese Menschen manchmal sind!«
Wir schauen dem Mann hinterher. Jetzt bleibt er allerdings stehen und guckt noch einmal in unsere Richtung. Ob ihn doch die Reue packt? Er nestelt an seiner Tasche. Vielleicht Fleischwurst? Nein - er holt sein Handy heraus und f?ngt an zu telefonieren. Ich pirsche mich etwas n?her an ihn heran, denn mein Gef?hl sagt mir, dass es gleich um mich gehen wird.
»Hallo, Polizei? Ja, Diekamp hier. Also, Sie werden sich vielleicht wundern, aber ich m?chte einen akuten Tollwutverdacht melden.« Er macht eine Pause. »Ja, ja. Richtig, hier in Hamburg. Gut, verbinden Sie mich.«
Eine weitere Pause, der Mann steht da und horcht angestrengt in sein Telefon.»Guten Tag, Diekamp mein Name. Ich habe es eben schon Ihrem Kollegen erz?hlt - ich m?chte Sie ?ber einen Verdachtsfall von Tollwut informieren. Bei einem Dackel. In Hamburg. Genau. Mhm, mhm …«
Der Mann geht auf und ab und starrt in unsere Richtung. Als er sieht, dass ich n?her gekommen bin, weicht er ein paar Schritte zur?ck.
»Tja, wie es sich ?ussert? Ich w?rde sagen, pl?tzliche distanzlose Anh?nglichkeit, Kr?mpfe, fast ein bisschen Schaum vorm Mund. Aha, Hamburg ist kein Tollwutgebiet? Bei Haustieren ist ganz Deutschland kein Tollwutgebiet? Verstehe - aber vielleicht schicken Sie vorsichtshalber doch jemanden vorbei?«
Mittlerweile steht auch Herr Beck neben mir.»Sag mal, mit wem redet der Typ denn da so aufgeregt?«, will er wissen.
»Ich glaube, mit der Polizei. Er hat ihnen erz?hlt, dass ich Tollwut habe. Bin eben ein verdammt guter Schauspieler - wenn mich die Leute sogar f?r tollw?tig halten! Weisst du, normalerweise bekommen das n?mlich nur F?chse. Hat mir Opili erz?hlt. Das ist sehr gef?hrlich, und ein guterJ?ger muss dann immer sehr vorsichtig sein, um nicht gebissen zu werden. Ein guter Jagdhund sieht sich nat?rlich auch vor.«
Meine Stimme hat einen leicht angeberischen Ton bekommen, aber das ist in Ordnung, schliesslich kenne ich mich mit der Jagd wirklich gut aus. Theoretisch wenigstens.
»Wie bitte?« Herr Beck sch?ttelt den Kopf und lacht auf.
»Ja, komisch, nicht? Und nun will er noch, dass die extra vorbeikommen.«
Beck h?rt auf zu lachen. »Ehrlich? Auweia. Dann sollten wir aber ganz schnell von hier abhauen.«
»Warum? Jetzt wird’s doch endlich mal spannend. Offensichtlich bin ich dem Kerl doch nicht egal, und vielleicht m?chte er, dass die Polizei herausfindet, wo ich wohne.«
Ich w?rde sagen, Herr Beck ist schlicht eifers?chtig auf mein schauspielerisches Talent und die grosse Wirkung, die ich mit ihm erziele.
»So ein Quatsch, du doofer Hund. Was denkst du denn, was die Bullen mit einem Tier machen, das m?glicherweise an einer sehr gef?hrlichen Krankheit wie Tollwut leidet? Das bringen sie nicht nach Hause, das kassieren sie ein! Vielleicht schl?fern sie es auch gleich ein!«
»Sie schl?fern es ein?«, echoe ich ein wenig unsicher.
»Genau. Sie t?ten es. Rucki zucki. Da kennen die gar nichts!«
Ich h?re ein erschrecktes Quieken und will mich gerade wundern, was f?r seltsame T?ne Beck machen kann, als ich feststelle, dass ich es bin, der hier quiekt. Herr Beck guckt mich eindringlich an.
»Genau, mein Freund. Du h?rst ganz recht. Und wenn du mich fragst, gibt es jetzt genau eine Option, die wir noch haben.«
Wie aus einem Mund rufen wir gleichzeitig»Abhauen!« und rennen los, ohne uns noch einmal nach dem Mann umzusehen. So schnell wir k?nnen, flitzen wir Richtung Parkausgang, vorbei an Willi, der auf seiner Stammparkbank sitzt und uns erstaunt hinterherschaut.
Als wir vor unserem Haus ankommen, bin ich schweissgebadet. Nicht vor Anstrengung, sondern vor Angst.Einschl?fern.Was f?r ein furchtbares, furchtbares Wort! Wir schl?pfen durch die Gartent?r und legen uns beide in den Schatten des grossen Baumes. Ersch?pft schweigen wir eine Weile. Dann richte ich mich wieder auf.