»Und hast du ihn schon angerufen?«
»Quatsch - wann denn? Das ist doch gerade mal drei Stunden her.«
»Ach stimmt - aber du wirst ihn doch anrufen?« »Na ja, ich weiss nicht so recht.«
»Du weisst nicht so recht? Ich fasse es nicht - du bist jung, du bist Single: Was gibt es da noch zu ?berlegen?«
»Na ja, nur weil er ein respektabler C-Promi ist, muss er noch nicht gleich mein Typ sein. Sicher, ich fand ihn ganz s?ss, aber mehr auch nicht.«
»Was nicht ist, kann ja noch werden. Und>ganz s?ss< ist wirklich die Untertreibung des Jahrhunderts. Jens Uhland ist ein richtiger Hammertyp. Sieht blendend aus, ist witzig. Und Charme scheint er auch zu haben.«
Carolin verdreht die Augen.»Ist dir schon mal der Gedanke gekommen, dass ich momentan gar nicht nach einem neuen Freund suche?«
»Ne, das finde ich v?llig abwegig. Aber selbst wenn - du musst ja nicht suchen, trotzdem kannst du doch zugreifen, wenn der Richtige vorbeikommt.«
Das ist ja alles h?chstinteressant. Nina findet also tats?chlich, dass dieser Jens in die Kategorie »richtig« f?llt. Warum, verstehe ich nicht. Ganz im Gegenteil - ich w?rde ihn eher in die Kategorie »bewaffneter Gewaltt?ter« stecken. Ausser mir scheint das aber niemand bemerkt zu haben. Stattdessen gelte ich jetzt als gewaltbereiter Dackel. Und noch etwas anderes st?rt mich ganz gewaltig: Carolin soll sich keinen Freund suchen. Denn wir haben doch schon den idealen Kandidaten gefunden. Eben Daniel. Diese Nina geht mir langsam gewaltig auf den Zeiger: Erst st?rt sie das traute T?te-?-t?te mit Daniel, und jetzt will sie Carolin noch den doofen Jens aufschwatzen. Unm?glich! Die soll sich lieber mal um ihr eigenes Liebesleben k?mmern, da hat sie genug zu tun.
Ich beschliesse, mich beim Projekt »Jens« querzustellen. Nun habe ich ihn schon gebissen, da werden wir sowieso keine engen Freunde mehr werden. Sollte er noch einmal aufkreuzen, werde ich ihn einfach anpinkeln. Und das ist w?rtlich zu nehmen.
SECHZEHN
Wenn Frauen sehr lange vor ihrem Kleiderschrank stehen, immer wieder ein Teil herausnehmen, es sich an den K?rper halten und dann vor den Spiegel gehen, um sich so zu betrachten, dann hat das aus Dackelsicht etwas enorm Komisches. Gut, ich weiss mittlerweile, dass sich Menschen je nach Anlass gewissermassen ein anderes Fell zulegen - aber nach welchen Kriterien die Fellwahl erfolgt, ist mir immer noch r?tselhaft. Warum gestern ein gebl?mtes Kleid und morgen eine schwarze Hose? Und apropos Kleid: Auch die L?nge scheint hier eine entscheidende Rolle zu spielen. Denn gerade jetzt legt Carolin drei schwarze Kleider nebeneinander auf ihr Bett, die eigentlich v?llig gleich aussehen. Nur, dass sie eben unterschiedlich lang sind. Schweigend betrachtet sie die Kleider, dann dreht sie sich zu mir um.
»Hm, was meinst du, Herkules? Mini, Midi oder Maxi?« Ich bin ratlos. Nat?rlich will ich Carolin gerne beraten, denn wenn sie sich heute Abend wieder mit Daniel trifft, soll es endlich klappen mit den beiden. Und ich bin mir sicher, dass ein entscheidender Schritt zum Erfolg gemacht ist, wenn sich Carolin wohl in ihrer Haut beziehungsweise Kleidung f?hlt. Die Rockl?nge ist allerdings etwas, ?ber das ich mir noch nie im Leben Gedanken gemacht habe. Das w?re bei der L?nge meiner eigenen Beine auch ziemlich unsinnig - selbst wenn es R?cke f?r Dackel gebe, m?ssten die zwangsl?ufig immer sehr kurz sein. Was aber will die Frau als solche mit der L?nge des Rocks sagen? Ich laufe unsicher vor dem Bett hin und her. Was ist wohl besser, viel Bein zeigen oder wenig? Worauf achten Menschenm?nner?
Bei Hunden respektive Dackeln ist das nat?rlich viel einfacher. Da gibt es den Welthundeverband FCI, und der definiert in seinem Rassestandard Nr. 148/ 13.3.2001 D einen sch?nen Dackel wie folgt:Niedrige, kurzl?ufige, langgestreckte, aber kompakte Gestalt, sehr muskul?s mit keck herausfordernder Haltung des Kopfes und aufmerksamem Gesichtsausdruck. Bei einem Bodenabstand von etwa einem Drittel der Widerristh?he soll die K?rperl?nge in einem harmonischen Verh?ltnis zur Widerristh?hestehen, etwa 1 zu 1,8.
Was das Fellkleid des Rauhaardackels anbelangt, so hat der Deutsche Teckelclub von 1888 ganz klare Vorstellungen:Der Rauhhaarteckel zeigt ein kurzes, dichtes, enganliegendes, drahtiges Deckhaar mit gen?gend Unterwolle. Am Fang zeigt sich deutlich ein Bart, die Augenbrauen sind buschig. An den Beh?ngen ist die Behaarung k?rzer als am K?rper, fast glatt. An der Rute entspricht die Behaarung der K?rperbehaarung, sie ist eng anliegend behaart und l?uft verj?ngt aus.
So einfach ist das also bei Dackeln. Woher ich das so genau weiss? Nun, als Mischling musste ich mir auf Schloss Eschersbach oft genug anh?ren, was bei mir nicht stimmt. Meine Beine sind n?mlich eindeutig zu lang, und mein Fell ist zu weich und zu wuschelig f?r einen echten Rauhaar. Und Opili liebte mich zwar innig, aber seiner Tochter hat er den Seitensprung nie verziehen. Waren doch alle seine bisherigen Enkel immer Champions gewesen.
Aber zur?ck zur eigentlichen Frage: Wie sieht denn nun der g?ltige Standard f?r Menschen aus? Denn dass es einen gibt, da bin ich mir ganz sicher. Es w?re anders kaum zu erkl?ren, warum zum Beispiel Carolin vor jeder Verabredung mit anderen Menschen so einen Zinnober mit ihrer Verkleidung treibt. Das w?re dann ja v?llig egal, und sie k?nnte einfach so los, wie sie nun mal aussieht. Leider kenne ich aber diesen Standard nicht. Denn sonst wusste ich, ob man zum Beispiel so lange Beine, wie Carolin sie hat, eher versteckt oder doch lieber betont. Ich setze mich auf meinen Hintern und mustere Carolin genau. F?r meinen Geschmack ist sie ein extrem h?bscher Mensch. Aber ist sie das f?r die anderen Menschen auch?
»He, Herkules, du guckst ja so nachdenklich? Willst dir M?he geben, mich gut zu beraten? Also, es ist so: Ich schwanke zwischen diesem kurzen schwarzen Kleid hier oder dem langen anthrazitfarbenen, das ich eben anhatte. Die schwarze Hose gef?llt mir doch nicht so gut. Schwierig, oder? Meine Oma sagt ja immer, die Sch?nheit liegt im Auge des Betrachters - will heissen, jeder findet etwas anderes sch?n.«
Also bitte, was ist das denn f?r ein Spruch? Das weiss nun wieder mein Opili besser, und Carolins Oma hat offenbar keine Ahnung, sonst w?rde sie nicht so einen Unsinn erz?hlen. Vielleicht gibt es bei Menschen tats?chlich keinen klar definierten Standard, aber so etwas ?hnliches wird schon existieren. Ich kann mir nicht vorstellen, dass jeder Mensch wirklich selbst entscheidet, was er sch?n findet. Im ?brigen habe ich neulich Abend mit Carolin eine Sendung im Fernsehen gesehen, die im Wesentlichen wie eine Hundeschau aufgebaut war. Nur ohne Hunde, stattdessen mit Frauen. Wie bei der Hundeschau liefen die Frauen einzeln vor den Richtern im Kreis und dann haben ihnen die Richter gesagt, ob sie sch?n sind oder nicht. Okay, die Wertungsskala reichte nicht von »Vorz?glich« bis »Nicht gen?gend«, aber ansonsten war es exakt dasselbe. Die Frauen, die gut bewertet worden sind, haben anscheinend irgendwas gewonnen - da sagte die Oberrichterin dann solche Sachen wie »Du darfst zum Casting«, und die jeweilige Frau hat sich ganz doll gefreut. Und zu den schlechteren Frauen sagte sie, dass es leider nicht reicht. Die haben dann geweint. Wof?r es nicht reicht? Keine Ahnung. Vielleicht f?r die Zucht? Ist aber nur eine Vermutung. So, wo war ich? Richtig: Die Sch?nheit liegt eben nicht im Auge des Betrachters. Auch bei Menschen nicht. Man kann sie nachmessen.
Also, Jeans oder Rock? Was ist besser? Ich lege den Kopf schief und versuche, mir Carolin in beidem nebeneinander vorzustellen. Carolin nickt mir aufmunternd zu und h?lt sich noch einmal das kurze Kleid vor.