Выбрать главу

Bevor ich allerdings draussen bin, l?utet es an der Werkstattt?r. Eigentlich renne ich dann immer gerne nach vorne und begr?sse die Besucher, aber meine Laune ist so im Keller, dass ich mich selbst dazu nicht recht aufraffen kann. Ist wahrscheinlich wieder die bl?de Aurora, die mit Daniel flirten will. Es klingelt noch einmal, und nat?rlich bin ich doch ziemlich neugierig. Andererseits scheint draussen so sch?n die Sonne und die Vorstellung, unter meinem Baum zu liegen und Herrn Beck mein Leid zu klagen, w?hrend das Gras an meinem Bauch kitzelt, ist auch verlockend. Schliesslich aber siegt die Neugier, und ich renne Richtung T?r.

Carolin hat sie schon ge?ffnet. In unserem Flur steht ein Mann mit brauner Uniform und dr?ckt Carolin ein P?ckchen in die Hand.

»Sind Sie Frau Neumann? Dann brauche ich hier Ihre Unterschrift.«

Carolin stellt das P?ckchen auf den Boden, um zu unterschreiben. Neugierig schn?ffele ich daran. Hmh, riecht irgendwie lecker. Was mag da drin sein? Als Carolin das P?ckchen zu ihrem Tisch im Werkraum tr?gt, laufe ich hinterher.

»War das f?r dich?«, will Daniel wissen.

»Ja.«

»Was ist es denn?«

»Keine Ahnung. Ich habe nichts bestellt.« »Von wem ist es denn?«

»Mal sehen - es ist von …«, sie stockt, »es ist von Jens Uhland.«

Daniel zuckt mit den Schultern.»Kenne ich nicht. Ein Kunde?«

»Gewissermassen. Der geh?rt zu dem Filmteam, das sich neulich den Cellokasten ausgeliehen hat.«

»Aha. Na, vielleicht hast du da was liegen lassen.« »Ja, kann sein.«

Das glaube ich pers?nlich kaum. Schliesslich war ich dabei und bin mir sicher, dass wir mit allen Sachen gegangen sind, mit denen wir auch gekommen sind. Also, ausser dem Kasten nat?rlich, aber der ist in dem P?ckchen garantiert nicht drin. Viel zu gross und riecht auch ganz anders. L?ngst nicht so lecker. Was ist da drin? Ich mache M?nnchen und komme somit immerhin auf Knieh?he von Carolin. Die wundert sich.

»Hey, S?sser, was ist denn mit dir los? Du bist ja ganz wild.«

»Tja, vielleicht schickt dir dieser Jens ein Kilo Koks, und Herkules hat alle Anlagen zu einem Top-Drogensp?rhund.«

Daniel grinst.»Man weiss ja, wie diese Filmtypen sind. Alles schlimme Finger.«

Carolin sch?ttelt den Kopf. »Ein Kilo Koks? Bisschen teuer, um es einer fl?chtigen Bekannten zu schicken. Aber was kann es bloss sein?« Mit einem Messer l?st sie den Klebestreifen von dem Deckel des kleinen Kartons. »Da liegt eine Karte bei. Mal sehen.«

Sie liest und f?ngt an zu grinsen. Daniel kommt zu ihrem Tisch und versucht, ?ber Carolins Schulter mitzulesen. Die will einen Schritt von ihm weg machen, als er blitzschnell zugreift und ihr die Karte wegzieht.

»He, was soll das? Schon mal was vom Briefgeheimnis geh?rt? Das ist nicht f?r dich bestimmt.« Carolin klingt genervt, aber Daniel lacht nur.

»Tja, meine Liebe, f?r dich aber auch nicht. Hier steht eindeutig:Lieber Herkules!«

Was? Die Karte ist f?r mich? Sofort laufe ich zu Daniel hin?ber. Ich habe noch nie im Leben eine Karte bekommen. Aufregend! Aber auch ein bisschen komisch, denn wer schreibt schon an jemanden, der gar nicht lesen kann? Ich setze mich vor Daniel und schaue ihn erwartungsvoll an. Der versteht den Wink und f?ngt an, vorzulesen.

»Lieber Herkules, ich hoffe sehr, dass es dir heute wieder besser geht. Um dir schnell auf die Beine zu helfen, habe ich f?r dich eine Spitzen-Hundewurst besorgt, die bestimmt sehr lecker ist. Meldet euch mal, wenn du wieder auf dem Damm bist. Viele Gr?sse, dein Jens.«

Wow, das muss ja doch ein wahnsinnig netter Mensch sein, trotz des Gewehrs. Ich bin begeistert! Kein Wunder, dass der Karton so gut riecht. Die Wurst muss ich sofort probieren.

»Wieso kommt dieser Jens auf die Idee, dass Herkules krank sein k?nnte?«

»Ah, er hatte wieder so einen Anfall.« Carolins Stimme klingt komisch.

»W?hrend ihr in der Bank wart?«

»Ja, genau. Deswegen mussten die sogar den Dreh unterbrechen.«

He! Das stimmt doch gar nicht! Was erz?hlt Carolin denn da?

Daniel guckt besorgt.»Hm, das klingt nicht gut. Hast du noch mal mit Wagner gesprochen? Der wollte doch beim Z?chter nachfragen.«

»Stimmt, das hatte ich gar nicht mehr auf dem Zettel. Ich rufe nachher in der Praxis an.«

Aha, von Dr. Wagners Rettungseinsatz will sie Daniel anscheinend auch nichts erz?hlen - das wird ja immer mysteri?ser. Das waren zwei faustdicke L?gen in nur zwei S?tzen. So kenne ich Carolin gar nicht. Und dann auch noch Daniel gegen?ber. Gut, sie will ihn offensichtlich nicht als Mann, aber er ist doch trotzdem ihr Freund! Warum macht sie das nur?

Bei dieser Gelegenheit fallen mir zahlreiche Vortr?ge des alten von Eschersbach zum Thema »Verlogenheit« ein. Verlogenheit war f?r ihn einer der gr?ssten Charakterm?ngel des Menschen, wenn nicht gar der gr?sste. L?gen kam deutlich vor Verfressenheit und Kurzatmigkeit.T?uschung und L?ge sind ein Zeichen der Schw?che!,predigte er h?ufig.Der Mutige ist ehrlich, Verlogenheit die Schwester der Feigheit.Kurz und in schlichten Dackelworten zusammengefasst: Schlechte Menschen l?gen, gute sagen die Wahrheit.

Wobei man den schlechten Menschen nat?rlich zugute halten muss, dass sie ?berhaupt auf die Idee kommen, bewusst die Unwahrheit zu erz?hlen. Das ist schon ziemlich schlau, und ich bin mir nicht sicher, ob mir so etwas von allein einfallen w?rde. Aber es hilft nichts: Verlogene Menschen m?gen schlau sein, schlecht sind sie allemal. Gleichzeitig bedeutet das f?r mich, dass Carolin nicht richtig gelogen hat, denn es steht wohl ausser Frage, dass sie ein toller Mensch ist. Aber wenn sie nicht gelogen hat, was war das dann? Vielleicht leidet sie an einer Krankheit und kann sich nicht mehr so recht erinnern, wie das wirklich mit Jens und Dr. Wagner war?

Bevor ich?ber dieses schwierige Thema allerdings noch weiter nachdenken kann, stellt mir Carolin eine Sch?ssel mit einem Haufen kleingeschnittener Hundewurst hin. Sofort schlinge ich los - g?ttlich! Diesen Jens sollten wir uns doch mal n?her angucken. Vielleicht war es ein Fehler, die Verabredung zwischen ihm und Carolin so zu sabotieren. Er scheint immerhin ein grosser Hundekenner zu sein, oder zumindest ein Hundefreund. Ich nehme noch zwei St?cke ins Maul. Lecker! Andererseits - h?tten die beiden sich gestern Abend getroffen, h?tte ich diese k?stliche Wurst nicht bekommen. Es war also kein Fehler. H?chstens ein kleiner Umweg.

»Also, verstehe ich dich richtig: Die Sache mit Daniel ist endg?ltig gegessen, und der neue, hoffnungsvolle Kandidat heisst Jens und ist ein Hundekenner?« »Richtig.«

»Das beweist f?r mich h?chstens eines.« »Was denn?

»Dass du k?uflich bist. Eben jammerst du noch rum, von wegen Daniel ist dein Freund, und wir m?ssen ihm unbedingt helfen und so weiter und so fort. Und jetzt? Kaum schickt dir irgendein dahergelaufener Schauspieler einen Zipfel Wurst, schon ist Daniel Schnee von gestern. Wer hat eigentlichdas Ger?cht in die Welt gesetzt, dass Hunde treu wie Gold sind?« Herr Beck sch?ttelt ver?chtlich den Kopf. »Ich dachte, du wolltest mir von einem tollen Plan berichten, stattdessen muss ich mir diesen Hundewurst-Mist anh?ren. Daf?r ist mir meine Zeit zu schade.«

»Aber, aber«, stottere ich kleinlaut, »du hast doch selbst gesagt, du glaubst nicht, dass es mit Daniel und Carolin etwas wird, und da wollte ich dir eben erz?hlen, dass du v?llig Recht hattest. Warum bist du denn jetzt so sauer auf mich?«

»Vielleicht bin ich ja entt?uscht, dass ich Recht habe? Vielleicht hatte ich irgendwo gehofft, dass du Recht beh?ltst und ein Kater und ein Dackel doch mehr ausrichten k?nnen, als ich je gedacht h?tte. Irgendwie hast du mich mit deinem Optimismus mitgerissen. Ich h?tte mich auch gefreut, wenn es mit den beiden geklappt h?tte. Und jetzt das!«