Ich lasse den Kopf sinken.»Tut mir leid«, fl?stere ich.
»Versteh mich nicht falsch - du kannst nichts daf?r, dass aus Daniel und Carolin nichts wird. Aber dass du gleich zu diesem Jens ?berl?ufst!«
»Ist ja gut! Ich habe mich eben gefreut, dass er sich Sorgen um mich gemacht hat. Und es ist das erste Mal in meinem Leben, dass mir ein Mensch einen Brief schreibt!«
»Gute G?te, bist du naiv! Der hat sich doch keine Sorgen um dich gemacht! Der wollte Carolin beeindrucken! Mehr nicht. Und damit gleich die n?chste Verabredung rausschlagen.«
»Meinst du?«
»Das ist doch wohl offensichtlich. Was hat denn Daniel dazu gesagt? Ist bestimmt auch nicht gerade toll, wenn man selbst einen Korb bekommt und schon steht der N?chste auf der Matte. Muss ihn doch getroffen haben zu erfahren, dass Carolin gestern eigentlich schon mit Jens ausgehen wollte.«
»Tja, das war in der Tat komisch: Carolin hat Daniel gar nicht erz?hlt, dass sie eigentlich mit Jens verabredet war und die Sache wegen meinerKrankheitgeplatzt ist. Sie hat behauptet, ich sei schon in der Bank umgekippt, und das habe Jens mitbekommen.«
»Aha, eine kleine Notl?ge.«
»Notl?ge?«
»Sch?tze mal, Carolin wollte Daniel mit dieser Hundewurst-Geschichte nicht auch noch kr?nken. Er ist schliesslich ihr bester Freund.«
»Und dann darf man l?gen? Obwohl Verlogenheit so etwas Schlechtes ist? Sagte jedenfalls mein altes Herrchen immer.«
»Generell hat er damit Recht. Eine Notl?ge ist immer noch eine L?ge. Aber manchmal l?gen Menschen eben auch, weil sie jemanden nicht verletzen wollen. Und das ist dann nicht ganz so b?se. Es f?llt eher in die KategorieBesch?nigung.«
Langsam schwirrt mir der Kopf. L?gen, Notl?gen, Besch?nigungen - wer soll da noch durchblicken.
»Aber wieso sollte Daniel gekr?nkt sein? Er hat doch selbst gesagt, dass sein Kuss wohl keine gute Idee gewesen ist. Er hat sogar gesagt, es sei nun v?llig in Ordnung.«
Herr Beck sch?ttelt den Kopf. »Herkules, ich dachte, du h?ttest die Menschen mittlerweile schon besser kennengelernt. Hier geht es um eine Herzensangelegenheit. Kein Mensch gibt gerne zu, wenn es ihn hier ganz b?se erwischt hat. Lieber tun sie so, als sei das alles kein Problem. Habe ich dir doch schon mal erkl?rt - der andere darf niemals wissen, wie sehr du ihn liebst. Das ist eine eiserne Regel. Sonst bist du geliefert.«
Ich f?rchte, Herr Beck hat in diesem Punkt schon wieder Recht. Dass in der Liebe so ein Chaos bei den Menschen herrscht, wundert mich ?berhaupt nicht. Ihre Regeln sind einfach v?llig absurd. Auf so einen Unsinn k?me ein Hund niemals.
ACHTZEHN
Heute ist ein v?llig langweiliger, unspektakul?rer Tag. Herrlich! Ich liege in meiner Werkstattkiste herum, schaue ab und zu in den Garten und kehre dann zu einem Nickerchen wieder in besagte Kiste zur?ck. Das Einzige, was gerade zum vollkommenen Gl?ck fehlt, ist ein sch?ner Napf randvoll mit Pansen oder Herz. Eine Weile ?berlege ich, ob ich das aufkommende Hungergef?hl ignorieren soll - eigentlich bin ich zu faul, jetzt zu Carolin zu laufen und meine n?chste Mahlzeit einzufordern. Aber schliesslich grummelt mein Bauch so laut, dass ich auch nicht mehr vern?nftig d?sen kann. Ich rapple mich also auf, laufe zu Carolin, die an ihrem Schreibtisch sitzt, und stupse sie mit der Nase an.
»Zeit f?r dein Fresschen?« Carolin schaut auf ihre Uhr. »Aber ein bisschen musst du dich noch gedulden. Wir haben noch etwas vor.«
Och n?! Ich habe Hunger! Und zwar jetzt! Ich stupse Carolin noch mal an. Die lacht und krault mich am Hals.
»Wart’s ab, Herkules. Wir werden gleich etwas unternehmen, was dir auch gefallen wird. Und dann gibt’s auch etwas zu futtern.«
He! Ich will nichts unternehmen! Ich will jetzt meinen Pansen, und dann will ich weiter rumliegen. Gestern - da h?tten wir doch gut etwas unternehmen k?nnen. Die ganze Zeit hatte ich so ein Bed?rfnis nach frischer Luft, nach Kaninchenschnuppern und Fliegenfangen. Aber stattdessen konnte ich Carolin noch nicht einmal zu einem kleinen Spaziergang im Park loseisen, so besch?ftigt war sie.Morgen ist Samstag, da habe ich mehr Zeit, versprochen.Als ob einen Hund das tr?sten k?nnte. Der Moment ist da, wenn der Moment da ist. Aber das verstehen Menschen einfach nicht.
Ich trotte wieder zur?ck zu meiner Kiste. Eben hatte ich noch so gute Laune, die ist schlagartig verflogen. Mit dem Kopf auf meinem Kuschelkissen brummle ich beleidigt vor mich hin. Immer machen wir, was Carolin will. Das ist so ungerecht. Mittlerweile hat sich das Gef?hl in meinem Bauch von einem gesunden Appetit zu einem ausgewachsenen L?wenhunger gesteigert. Ich beginne ein bisschen zu fiepen. Carolin soll ruhig wissen, dass sie sich haarscharf an der Grenze zur Tierqu?lerei bewegt.
»Mach doch nicht so ein Theater!«, kommt es herzlos aus ihrem Zimmer. »Es geht ja gleich los. Wir m?ssen nur noch etwas aus der Wohnung holen und dann starten wir auch schon. Unser Chauffeur m?sste in ungef?hr dreissig Sekunden vor der Haust?r stehen.«
Unser Chauffeur? Das klingt nun wieder spannend. Das Wort habe ich seit mehreren Monaten nicht mehr geh?rt, und es weckt gleich Erinnerungen an alte Zeiten. Denn selbstverst?ndlich gab es auf Schloss Eschersbach auch einen Chauffeur. Der alte von Eschersbach setzte sich n?mlich nur noch h?chst ungern selbst ans Steuer.»Meine Augen sind einfach zu schlecht geworden, da w?re ich eine Gefahr f?r die Allgemeinheit«,pflegte er gerne zu erkl?ren, wenn er darauf wartete, dass sein Wagen vorfuhr, um ihn zu einer Jagdgesellschaft zu bringen. Die meisten Mitmenschen d?rften sich an dieser Stelle die Frage gestellt haben, ob es eigentlich eine gute Idee war, mit von Eschersbach auf die Jagd zu gehen. Meines Wissens ist allerdingsnie etwas passiert, wahrscheinlich war die Nummer mit dem Chauffeur also nur eine aristokratische Form von Angeberei.
Es klingelt, und Carolin geht an meiner Kiste vorbei, um die T?r zu ?ffnen. Dort steht: Jens!
»Guten Morgen, Carolin. Guten Morgen, Herkules!«, werden wir von ihm begr?sst.
Ich muss zugeben, dass Jens ohne schwarze M?tzenmaske und ohne Gewehr eigentlich sehr nett aussieht.
Er gibt Carolin links und rechts einen Kuss auf die Wangen.»Na, ihr zwei? Alles bereit f?r unser Picknick?«
»Klar, ich muss nur schnell den Korb von oben holen. Ich habe ein paar Sachen kalt gestellt, die packe ich noch ein.«
Sie h?pft die Treppe hoch, ich bleibe neben Jens sitzen.
»Na, biste wieder fit?«, will er von mir wissen. Ich schaue ihn neugierig an. »Und hat dir meine Wurst geschmeckt?«
Okay, laut Herrn Beck war die Nummer mit der Wurst reine Bestechung, aber da ich ein h?flicher Dackel bin und die Wurst tats?chlich lecker war, wedele ich ein bisschen mit dem Schwanz. Dann kommt mir der Gedanke, dass, wo eine Wurst ist, wohlm?glich auch zwei W?rste sein k?nnten, und ich wedele noch euphorischer.
»Wusste ich es doch, braver Hund!« Er beugt sich zu mir herunter und krault mich ein bisschen hinter den Ohren. In diesem Moment kommt Carolin mit einem gigantischen Korb die Treppe herunter.
»Das ist ja sch?n, dass ihr euch schon ein bisschen anfreundet. Euer letztes Treffen war schliesslich nicht so harmonisch.«
Jens lacht.»Ich habe immer noch einen blauen Fleck an der Stelle, wo Herkules zugeschnappt hat. Aber Schwamm dr?ber, er wollte euch schliesslich retten. Ausserdem habe ich jetzt endlich wieder einen wirksamen Tetanusschutz. Es stellte sich heraus, dass meine letzte Impfung schon viel zu lange her ist. Hatte die Sache also etwas Gutes. Und mein kleines Pr?sent ist offensichtlich auch bestens angekommen.«
Carolin nickt.»Ja, Herkules hat ungef?hr zwanzig Sekunden gebraucht, um die Wurst aufzufuttern. Hat ihm sehr gut geschmeckt.«
Auweia, wenn die hier noch weiter?ber Hundewurst reden, breche ich zusammen. Vor lauter Hunger ist mir mittlerweile schon ganz schwindelig. Hoffentlich dauert es nicht mehr so lange, bis ich etwas zu fressen bekomme. Wobei der Korb, den Carolin aus der Wohnung geholt hat, auch so riecht, als sei etwas sehr Leckeres darin.Unwillk?rlich fange ich an zu sabbern.
»Dann k?nnen wir los, oder?«
»Jupp, abmarschbereit!«, ruft Carolin fr?hlich und ?ffnet die Haust?r. Jens marschiert an ihr vorbei und auf das Auto zu, das direkt vor dem Haus parkt.