»Hallo, Nina. Ich weiss, es ist schon sp?t - aber kann ich vielleicht noch vorbeikommen? Echt? Danke, das ist nett. Ich brauche dringend jemanden zum Quatschen.«
Na super. Auf die Idee, dass sie es auch mir erz?hlen k?nnte, kommt sie nat?rlich nicht. Jetzt noch einmal loszufahren, passt mir eigentlich gar nicht. Ich liege gerade so bequem. Aber als Carolin aufsteht, rapple auch ich mich hoch, will schliesslich kein Spielverderber sein.
»Herkules, leg dich ruhig wieder hin. Ich fahre eben noch zu Nina, aber du bleibst hier.«
Wieso das denn? Haben die etwa Geheimnisse vor mir? Ich springe vom Sofa. So m?de bin ich auch wieder nicht!
»Nein, ehrlich, Herkules. Du kannst auch mal ein St?ndchen allein sein. Guck mal, du bist voller Sand, und ich habe keine Lust, dich jetzt noch zu baden. Und Nina ist bestimmt nicht begeistert, wenn ich mit einem dreckigen Hund ankomme. Also leg dich brav ins K?rbchen. Du hast doch heute schon genug erlebt.«
Hmpf. Sie will mich wirklich nicht mitnehmen. So schmutzig bin ich doch gar nicht. Doofe Nina.
Als Carolin die Wohnungst?r hinter sich zuzieht, lasse ich mich missmutig in mein K?rbchen fallen. Irgendwie ist es gemein, wenn man erst den ganzen Tag zusammen verbringt und dann sp?ter nicht mehr mitkommen darf. Ich f?hle mich so … zur?ckgestuft. Eben geh?rte ich noch dazu und auf einmal bin ich nur nochdas Haustier. Atzend. Zu allem ?berfluss bin ich auch ?berhaupt nicht mehr m?de.
Eine Weile liege ich noch in meinem K?rbchen, dann stehe ich auf und trabe in die K?che. Vielleicht ist noch ein Fresschen in meinem Napf, das k?nnte ich mir dann mal einverleiben. Von Eschersbach sagt immer, dass Langweile dicke Dackel macht. Ich glaube, er hat Recht. Leider ist mein Napf aber so blank gewienert, dass man sich darin spiegeln kann. Fressen ist also auch keine Alternative. Ich trabe wieder zur?ck. Als ich an der Wohnungst?r vorbeikomme, rieche ich einen vertrauten Duft. Herr Beck! Er muss direkt vor der T?r stehen, wahrscheinlich ist er gerade auf dem Weg zu einem n?chtlichen Spaziergang. Einkleiner Plausch mit ihm w?re doch genau die richtige Ablenkung! Ich belle laut los.
»Na, Kumpel?«, h?re ich seine Stimme durch die T?r, »wie geht’s?«
»Geht so. Mir ist total langweilig, und Carolin hat mich einfach allein zu Hause gelassen.«
»Das ist nat?rlich Pech. Ich bin auf dem Weg in den Park. W?rde dich ja mitnehmen, aber ohne Carolin kriegen wir dich nicht aus der Wohnung.«
»Ja, bl?d. Ich w?rde auch sehr gerne mitkommen. Aber durch den Briefschlitz kann ich mich kaum quetschen.«
Ich h?re Herrn Beck kichern. »Ne, das lass man. Da bleibste eher stecken, und das d?rfte dann ziemlich unbequem sein.«
»Tja, was anderes f?llt mir auch nicht ein. Dann muss ich wohl hierbleiben und mich weiter langweilen. Gr?ss mir den Park und die Kaninchen.«
»Hm. Mach ich.«
Es wird wieder still. Aber gerade, als ich mich umdrehen und zu meinem K?rbchen zur?ck will, rieche ich Herrn Beck noch mal ganz deutlich.
»He, Herkules! Eine Idee ist mir noch gekommen. Ist allerdings eher etwas f?r den wagemutigen Dackel.«
Na, also wer, wenn nicht ich!
»Was denn?«, will ich wissen.
»Erinnerst du dich noch an unsere Aktion mit dem H?schen?«
»Wie k?nnte ich die jemals vergessen?«
»Weisst du noch, wie ich da reingekommen bin? Durch das gekippte Fenster. Du l?ufst jetzt mal schnell in Carolins Schlafzimmer. Vielleicht haben wir Gl?ck, und die Balkont?r ist dort ebenfalls gekippt. Da kommst du raus.«
Auf so eine Idee kann auch nur eine Katze kommen.
»Beck, dein Vertrauen in meine artistischen F?higkeiten in allen Ehren, aber das kann ich nicht. Selbst wenn das Fenster auf Kipp steht: Da komme ich nie im Leben durch. Auch wenn du - verzeih - fett bist, du kannst dich auf eine Art und Weise durch L?cken durchzw?ngen, die ich einfach nicht draufhabe. Da bleibe ich garantiert stecken.«
»Du hast ja so gar keinen Ehrgeiz. Lass uns doch wenigstens mal gucken. Ich komme durch den Garten auf euren Balkon, und dann checken wir die Lage. W?re doch toll, so ein abendlicher Spaziergang ganz ohne Menschen.«
Herr Beck beziehungsweise sein Geruch verschwindet.
Dieser Kater. Das wird doch nie im Leben was. Und so langweilig, dass ich hier Kopf und Kragen riskiere, ist mir dann auch wieder nicht. Andererseits - mal allein nachts im Park rumzustromern, ist nat?rlich auch ein reizvoller Gedanke. Ich seufze innerlich, dann trotte ich ins Schlafzimmer.
Tats?chlich, die Balkont?r ist gekippt. Allerdings beginnt der Spalt erst weit oberhalb meines Kopfes, richtig breit zu werden. In diesem Moment springt Herr Beck von der mit Efeu bewachsenen Hauswand auf unseren Balkon.
»Na, das sieht doch gut aus!«, ruft er mir fr?hlich zu.
»Was, bitte, sieht daran gut aus?«
»Die T?r steht auf kipp. Ist doch prima.«
»Ja, aber hier unten passe ich noch nicht durch und weiter oben komme ich nicht ran. Das k?nnen wir vergessen.«
»Kannst du da nicht hochspringen?«
»Ne, wie denn?«
»Und wenn du dich am Vorhang hochhangelst?«
»Herr Beck, du machst dir eindeutig die falschen Vorstellungen ?ber meine Krallen. Mit denen kann ich mich nirgendwo dranhaken, wie du das machst. Daf?r sind die viel zu gerade und zu glatt.«
»Tja, dann wird’s schwierig.«
»Sag ich ja.«
Eine Weile sitzen wir da und gucken uns durch die Balkont?r an. Dann kommt zur Abwechslung mal mir eine gute Idee. Ich sehe mich kurz im Zimmer um und wirklich: In der Ecke steht der Stuhl, auf den Carolin abends immer ihre Klamotten legt, wenn sie ins Bett geht. Er ist ziemlich massiv und hat auch eine hohe Lehne - wenn ich den als Leiter nehme, dann k?nnte es vielleicht klappen. Ich trabe zu dem Stuhl und versuche, ihn zur Balkont?r zu schieben. Puh, ist der schwer!
»Schaffst du es oder soll ich reinkommen?«
»Bleib lieber, wo du bist. Entweder ich kriege es allein hin, oder wir vergessen die Sache mit dem gemeinsamen Ausflug.«
Ich lehne mich mit meinem ganzen Gewicht gegen den Stuhl. Endlich bewegt er sich ein St?ck. Ich lehne mich noch einmal gegen das linke Bein, er r?ckt weiter. Dann rechts, dann wieder links - St?ckchen f?r St?ckchen schiebe ich den Stuhl mit meiner Brust durch das Zimmer. Eine sehr m?hsame Angelegenheit, aber schliesslich ist es geschafft. Der Stuhl steht genau vor dem Spalt der Balkont?r.
Ich h?pfe auf die Sitzfl?che. Tats?chlich. Von hier oben sieht die Sache doch schon sehr vielversprechend aus. Eigentlich m?sste ich schon fast durchpassen.
»Los! Worauf wartest du?«, dr?ngelt Beck.
»Keinen Stress! Ich muss mich konzentrieren.«
Ohne einen kleinen Sprung wird es nicht gehen - schliesslich will ich nicht stecken bleiben. Aber um zu springen, brauche ich ein bisschen Anlauf, und das ist auf dem Stuhl unm?glich. Mist, ich m?sste einfach noch ein St?ck h?her sein, dann w?re es deutlich einfacher.
»Herkules, schau mal, ob du mit der Schnauze an den Griff kommst. Vielleicht kannst du die T?r ganz ?ffnen, wenn du den Griff mit den Z?hnen zu packen kriegst. Dann musst du ihn nur noch nach unten ziehen.«
Was heisst denn hiernur noch?Sind wir hier im Zirkus? Das?ffnen von versperrten T?ren durch kleine Dackel f?llt doch wohl eindeutig untertechnische Kunstst?cke.
»Probier’s einfach mal, das kann doch nicht so schwer sein!«
Der hat gut reden, wie er da auf seinem dicken Hintern sitzt. Andererseits - vielleicht ist die Idee nicht so schlecht. Auf alle F?lle besser, als bei einem Sprung in dem Spalt stecken zu bleiben. Ich mache also M?nnchen, bekomme tats?chlich den Griff der T?r zu fassen, schnappe zu und lasse mich dann wieder auf die Sitzfl?che fallen. Mit einem Ruck bewegt sich der Griff nach unten - und die T?r schwingt auf! Sensationell! Ich, Carl-Leopold von Eschersbach, habe soeben eine Balkont?r ge?ffnet!
Meine Euphorie w?hrt allerdings nur einen kurzen Augenblick. Denn zwei Sekunden sp?ter stehe ich zwar neben Herrn Beck auf dem Balkon, aber schnell wird mir klar, dass unser Spitzenplan nicht bis zu Ende gedacht war. Wie, zum Geier, komme ich von diesem Balkon herunter?