NEUNZEHN
»Ich bin ein Held, ein Supermann, ein Superdackel!« »Hast du diesen Satz gesehen? War das nicht ph?nomenal? Geradezu eine Sensation?« »Ja, war ganz gut.«
»Ganz gut? Es war PERFEKT! Ich habe es einfach drauf, mein Lieber.« Herr Beck scheint nicht ganz zu begreifen, dass dies gerade eine athletische Jahrhundertleistung war. »Ich meine, hast du schon mal einen anderen Dackel gesehen, der aus dem ersten Stock gesprungen ist? Ich w?rde sagen, ich gehe mittlerweile als Katze durch.«
Beck sch?ttelt den Kopf. »Also, wie ich schon sagte: Es war okay. Aber erstens ist das eher Hochparterre und zweitens bist du in den W?schekorb der alten Meyer gesprungen. Wenn ich den nicht gefunden h?tte, w?rdest du immer noch vor dem Balkongel?nder hocken und weinen.«
Ist es denn die M?glichkeit? Dieser fette Kater! Mir ist kein anderer Dackel bekannt, der jemals so ein waghalsiges Man?ver ausgef?hrt h?tte. Allein die Meisterleistung, sich durch die St?be des Balkongel?nders zu zw?ngen, dem sicheren Abgrund entgegen. Und dann der Sprung selbst: zielsicher in den W?schekorb mit Handt?chern von Frau Meyer. Und das im Dunkeln! Gut, wenn die Meyer den Korb nicht draussen h?tte stehen lassen, w?re es in der Tat ein wenig komplizierter geworden. Aber mutig war die Aktion allemal. Ich h?tte schliesslich auch ungl?cklich neben dem Korb landen und mir allePfoten brechen k?nnen.
»So, wenn du dich von deiner Heldentat ausreichend erholt hast, k?nnen wir doch mal los, oder?«
B?se funkele ich Beck an, was der leider nicht sehen kann, weil es schon dunkel ist. Andererseits ist es auch langweilig, hier weiter zwischen den Handt?chern zu hocken. Und so beschliesse ich in einem Akt wahrer Gr?sse, Herrn Beck zu verzeihen, obwohl er sich nicht entschuldigt hat.
Ich h?pfe aus dem Korb und trabe hinter Beck her, der schon Richtung Gartenpforte strebt. Ein leichter Wind weht mir um die Nase, es riecht schon ein bisschen nach Abenteuer. Auch wenn Herr Beck eine bl?de Katze ist, in einem hat er nat?rlich v?llig Recht: So ein Spaziergang ohne Carolin ist die beste Gelegenheit, endlich einmal auf die Jagd zu gehen. Sofort sp?re ich dieses angenehme Kribbeln in der Nase, und meine Rute wippt automatisch nach oben. Nehmt euch in Acht, ihr Kaninchen! Carl-Leopold von Eschersbach will euch an den Kragen - und er wird euch kriegen.
Im Park angekommen, ist von Kaninchen erst einmal nichts zu sehen und zu riechen. Ob die schon alle im Bau liegen und schlafen? Egal, ich werde sie schon aufst?bern. Herr Beck ist eher auf V?gel spezialisiert, da kommen wir uns schon mal nicht ins Gehege. Mit der Nase dicht ?ber dem Boden laufe ich den Kiesweg entlang. Nach ein paar Metern ein sehr vielversprechender Geruch: Hier muss vor kurzem noch ein Kaninchen entlanggehoppelt sein, wahrscheinlich auf dem Weg in seinen Bau. Ich bin ganz aufgeregt! In einem Kaninchenbau sind bestimmt gleich ein paar Kollegen, da werde ich den ein oder anderen schon erwischen. Tats?chlich wird der Geruch immer st?rker. Ich verlasse den Weg und trabe auf die Wiese, in Richtung einiger grosser B?sche.
Genau hier muss es sein! Ich w?hle mit meiner Nase durch das Gras, immer auf der Suche nach der Bau?ffnung. Endlich gibt ein Grasb?schel direkt vor mir nach, dahinter liegt ein tiefes Loch. Der Geruch ist jetzt ganz intensiv, ich kann mir einen lauten Freudenjauchzer nicht verkneifen. Hurra!
»He, alles in Ordnung bei dir, Herkules?«
Herr Beck steht auf einmal neben mir.
»Alles bestens! Ich habe soeben den ersten Kaninchenbau meiner Jagdhundkarriere aufgest?bert!«
»Du weisst aber schon, dass so ein Kaninchenbau ganz sch?n eng ist, oder?«
Was f?r eine saubl?de Frage.
»Nat?rlich weiss ich das. Und jetzt entschuldige mich, ich muss arbeiten.«
Anstatt mich in Ruhe in den Bau zu lassen, setzt sich Herr Beck nun direkt vor mich. Nervig!
»Dir ist hoffentlich bei allem Jagdtrieb klar, dass du kein Dackel bist.«
Ich schnaufe tief durch.»Na und? Da siehst du mal, wie falsch von Eschersbach lag: Ich bin zwar nicht reinrassig, aber habe sofort den Bau gefunden. Alle Vorbehalte mir gegen?ber sind also v?llig aus der Luft gegriffen. Ich bin eben ein Jagdhund durch und durch. W?rdest du jetzt bitte zur Seite gehen?«
»Entschuldige, du verstehst mich falsch. Ich wollte mit dir nicht in deine Stammbaumdiskussion einsteigen. Was ich sagen wollte ist lediglich, dass du doch ein St?ck gr?sser als ein Dackel bist. Nicht, dass du gleich in dem Bau stecken bleibst. Ich w?sste n?mlich nicht, wie ich dich da wieder rauskriegen soll. Und um diese Zeit sind auch nicht gerade viele andere Helfer hier unterwegs.«
»So ein Quatsch. Stecken bleiben - was meinst du, wozu ich meine Krallen habe? Ich kann mich damit vielleicht nicht durch das Efeu hangeln, aber graben geht damit ganz hervorragend. Mach dir also um mich keine Sorgen. Und jetzt muss ich mal loslegen, sonst sind die Kaninchen wieder weg, und wir diskutieren hier immer noch.«
Ich stecke meine Nase tief in das Loch und beginne, den Eingang in den Bau etwas breiter zu buddeln. Es ist ein tolles Gef?hl! Endlich habe ich meine wahre Bestimmung gefunden. Schade nur, dass ich nicht mit einem leidenschaftlichen J?ger unterwegs bin, sondern nur mit dem bedenkentr?gerischen Herrn Beck.
Nach ein paar Minuten bin ich schon fast komplett unter der Erde. Der Kaninchengeruch ist mittlerweile so stark, dass sich meine Nase ganz gespannt und doppelt so gross wie sonst anf?hlt. Das Kribbeln hat sich in meinem ganzen K?rper ausgebreitet, und ich bin so aufgeregt, dass mein Herz richtig rast. Noch ein kleines St?ck, dann habe ich sie! Ich bilde mir ein, dass ich die Kaninchen sogar schon h?ren kann. Wahrscheinlich sitzen sie starr vor Schreckin ihrer H?hle und denken gar nicht an die Flucht. Fast ein bisschen einfach, das Ganze. Ich dr?cke ganz kr?ftig mit meinen Pfoten und der Nase in Richtung der vermuteten H?hle - da gibt die Erde vor mir nach, und ich h?nge pl?tzlich mit meiner gesamten vorderen H?lfte in einem Loch.Horrido! Ich bin in der H?hle!
Dann die grosse Entt?uschung: Es ist zwar stockfinster, aber meine Nase verr?t mir sofort, dass die Kaninchen doch schon auf und davon sind. Der Geruch ist nicht mehr ganz so deutlich, wie noch vor ein paar Minuten. So ein Mist, ich muss sie ganz knapp verpasst haben! Das ist alles Becks Schuld! H?tteich gleich angefangen zu graben, dann h?tte ich die Kameraden hier unten bestimmt noch gekriegt. So hatten sie nat?rlich genug Zeit, sich ein neues Loch zu buddeln und zu fl?chten. ?rgerlich. Es bleibt mir also nichts anderes ?brig, als nach einem anderen Bau zu suchen.
Ich lege den R?ckw?rtsgang ein. Besser gesagt: Ich versuche, den R?ckw?rtsgang einzulegen. Denn tats?chlich ist das gar nicht so einfach, wenn man mit den Vorderl?ufen in der Luft baumelt, wie ich es gerade tue. Ich versuche, mich mit den Hinterl?ufen zur?ckzuziehen, um so auch vorne wieder Halt zu finden. Aber so sehr ich mich auch hinten in die Erde stemme - es tut sich gar nichts. Ich stecke wie in einem Flaschenhals und komme weder vor noch zur?ck. Ein paar Mal versuche ich es noch, dann muss ich eine Pause machen, weil mir schon so warm ist. Verdammt stickig ist es hier unten ausserdem. Meine Nase beginnt wieder zu kribbeln. Allerdings nicht, weil nun das ein oder andere Kaninchen zur?ckgekommen w?re. Nein, was ich jetzt f?hle, ist: Angst. Wie zum Teufel komme ich hier wieder raus?
Hoffentlich steht Herr Beck noch oben. Ich belle, so gut und so laut ich unter den gegebenen Umst?nden kann. Ob er mich ?berhaupt h?ren kann? Er sagt selbst, dass er nicht mehr so gut sieht. Vielleicht h?rt er auch nicht mehr so gut. Das w?re allerdings eine Katastrophe. Mir wird immer heisser, es ist schon fast unertr?glich. Bleib ruhig, Carl-Leopold! Keine Panik! Immerhin weiss jemand, wo du bist. Herr Beck wird sich schliesslich wundern, wenn du nicht wieder hochkommst. Der wird schon nicht ohne dich nach Hause gehen. Und wenn ich ihn eben so vergr?tzt habe, dass er doch schon weg ist? Mit meinem albernen Jagdhundgefasel habe ich ihn bestimmt ganz sch?n genervt. Ich belle weiter. Lieber, lieber Herr Beck, alles Bl?de, was ich jemals zu dir gesagt habe, war garantiert nicht so gemeint. Du bist ein sehr lieber Freund von mir. Im Grunde mein einziger. Hilfe!