»Hast du das auch schon Daniel erz?hlt?«
»Nein, und ich glaube, das mache ich auch nicht. Wir haben uns zwar wieder vertragen, und er sagt, es sei okay. Aber trotzdem ist die Stimmung irgendwie angespannt. Da muss ich ihn nicht noch mit einer Schilderung meines grandios verungl?ckten Rendezvous behelligen.«
»Hm, stimmt. Aber das wird sich schon wieder einrenken, ganz sicher.«
In diesem Moment klingelt es an der Wohnungst?r.
»Erwartest du noch Besuch?«
»Ne, ich hatte nur dich eingeladen. Komisch.«
»Vielleicht Fleurop mit einem Entschuldigungsstrauss von Herrn Uhland?«
»Um neun Uhr abends? Eher unwahrscheinlich. Ausserdem hat der Typ mit Sicherheit kein Unrechtsbewusstsein.«
Es klingelt noch einmal. Carolin steht auf und geht zu dem Telefon, mit dem man h?ren kann, wer unten vor dem Haus steht.
»Hallo?«
Jetzt klopft es auch noch.
»Ich bin’s, Daniel. Ich stehe schon vor deiner T?r.«
Carolin wirft Nina, die mittlerweile auch in den Flur gekommen ist, einen fragenden Blick zu, dann?ffnet sie. Tats?chlich. Daniel. Allerdings sieht er irgendwie anders aus als sonst. Irgendwie - traurig. Und entschlossen.
»Hallo, Carolin. Entschuldige die sp?te St?rung, aber ich muss unbedingt mit dir sprechen.«
Jetzt erst sieht er Nina.»Oh, hallo!«
»Hallo, Daniel! Alles in Ordnung bei dir?«
»Ja, klar. Ich muss allerdings etwas Wichtiges mit Carolin besprechen. W?rde es dir etwas ausmachen, uns allein zu lassen? Ich weiss, das ist nicht gerade h?flich, aber es ist wirklich wichtig.«
Ich merke, wie meine Nackenhaare anfangen, sich zu str?uben. Der Ton in Daniels Stimme verheisst nichts Gutes. ?hnliches scheint auch Nina zu denken. Sie schaut fragend zu Carolin.
»Ist schon okay, Nina.«
»Na gut, dann r?ume ich das Feld. Tsch?ss ihr beiden, bis bald.«
Als sie gegangen ist, h?ngt Daniel seine Jacke an die Garderobe und setzt sich auf das Sofa. Carolin folgt ihm, setzt sich aber in den Sessel gegen?ber.
»Was gibt es denn so Wichtiges?«, will sie wissen.
»Ich will nicht lange darum herum reden: Ich werde im n?chsten Monat f?r ein Vierteljahr verschwinden.«
»Was?«
»Ja. Aurora hatte mich schon vor einiger Zeit gefragt, ob ich sie auf einer Konzertreise begleiten w?rde. Ich soll dabei gleichzeitig Geigen pr?fen, die ihr angeboten werden.«
»Du willst drei Monate mit Aurora verreisen? Das ist nicht dein Ernst!«
»Doch. Ich muss mal raus. Weisst du, ich habe gedacht, ich w?rde das schon hinkriegen. Das mit dir und mir. Aber ich habe mich geirrt. Ich schaffe es nicht, es tut mir zu weh, dich jeden Tag zu sehen. Und deshalb brauche ich Abstand.«
Carolin schluckt.»Das tut mir leid. Ich wusste nicht, dass es so schlimm ist.«
»Es muss dir nicht leidtun, ich wusste es ja auch nicht. Ausserdem kannst du nichts daf?r, dass du nicht so verliebt in mich bist wie ich in dich. So ist es nun einmal.«
»Wirst du wiederkommen? Ich meine, nach den drei Monaten?«
»Ehrlich gesagt: Ich weiss es noch nicht. Aber dar?ber will ich mir jetzt noch keine Gedanken machen. Ich zahle nat?rlich meinen Werkstattanteil weiter, mach dir dar?ber keine Sorgen.«
Carolin steht auf und setzt sich neben Daniel. Dann nimmt sie seine Hand und dr?ckt sie fest. »Daniel, das ist nun wirklich das Letzte, wor?ber ich mir gerade Gedanken mache. Ich bin traurig, dass es so kommt, denn du bist mein engster Freund.«
»Ich weiss. Aber gerade jetzt kann ich nur schwer ertragen, dein Kumpel zu sein.«
Ich schlafe schon tief und fest, als jemand an meinem K?rbchen r?ttelt. Ich blicke nach oben. Es ist der alte von Eschersbach! B?se funkelt er mich an.
»Los, aufstehen, Nichtsnutz! Du hast es dir hier lang genug bequem gemacht. Ich habe beschlossen, dass Carolin Abstand braucht von dir. Mindestens drei Monate. Also nimm deinen Kauknochen und raus mit dir!«
Mein Herz f?ngt an zu rasen. Ich will mich verstecken. Aber wo? Von Eschersbach greift nach mir, es gibt kein Entkommen. ?ngstlich jaule ich auf und versuche, mich unter meine Kuscheldecke zu ducken, aber da hat er mich schon am Schlafittchen. O nein! Ich werde wieder im Tierheim landen!
»Herkules, wach auf! Du tr?umst!«
Vorsichtig schaue ich hoch - und blicke in die Augen von Carolin, die mich verwundert anschaut.»Meine G?te, du machst so einen L?rm. Tr?umst du wieder von der Kaninchenjagd?«
Kaninchenjagd? Wenn die w?sste. Ich h?pfe aus meinem K?rbchen und kauere mich ganz eng an Carolin.
»Du zitterst ja, du Armer. Ist wohl eher ein Alptraum gewesen, was? Aber tr?ste dich. Ich kann auch nicht richtig gut schlafen. Das mit Daniel nimmt mich doch ziemlich mit. Warum muss bloss alles immer so kompliziert sein?« Sie seufzt. Ich auch. Dass bei Menschen immer alles kompliziert ist, habe ich schliesslich auch schon festgestellt. Zum Trost schlecke ich ihr die nackten Zehen ab. Sie kichert. »Das kitzelt, Herkules!«
Mit einem Griff unter mein B?uchlein nimmt sie mich auf den Arm. »Ich habe eine sehr gute Idee, wie wir beide den Rest der Nacht etwas ruhiger verbringen k?nnen. Du darfst heute noch einmal bei mir schlafen. Mir ist jetzt auch nicht so nach allein sein. Wahrscheinlich verziehe ich dich total, aber das ist mir jetztwurscht.«
Genau. Wurscht ist immer gut!
In Carolins Bett angekommen, kuschle ich mich gleich in eines der Kissen. Carolin legt sich auch wieder hin und streichelt mich.
»Weisst du, vielleicht war das auch alles Unsinn mit meiner Selbstfindung. Ich meine, es f?hlte sich ungef?hr einen Tag gut an, aber jetzt bin ich nicht mehr so sicher, ob das richtig war. Gut, Jens war ein Totalausfall. Aber Daniel ist erst mal weg. War das falsch? Ich meine, ihn gehen zulassen? Ich w?nschte, du k?nntest sprechen, Herkules. Deine Meinung w?sste ich nur zu gerne. Andererseits: Was h?tte ich anders machen k?nnen? Das, was sich Daniel w?nscht, ist einfach nicht drin. Ich bin nicht verliebt in ihn. Ich hatte selbst gehofft, ich k?nnte es sein. Aber es funktioniert nicht.«
Eine Weile ist sie ganz still, so dass ich schon denke, dass sie eingeschlafen ist. Aber dann redet sie weiter.
»Und bei Marc brauche ich mich wahrscheinlich auch nicht mehr zu melden. O Mann, ich glaube, ich hab’s total versaut. Dabei fand ich ihn schon sehr spannend. Warum habe ich ihm bloss gesagt, dass ich ihn nicht mehr sehen will?«
Ja. In der Tat. Warum eigentlich? Kein geschickter Schachzug. Ich hab’s ja gleich gesagt bzw. h?tte, wenn ich denn sprechen k?nnte. Aber auf mich h?rt doch sowieso kein Mensch.
»Der Marc ist schon nett, oder?« Ich schlecke wie zur Best?tigung einmal an ihrer Wange. »lieh, Herkules! Ich glaube dir auch so, dass du ihn magst. Ich mag ihn ja auch. Ehrlich gesagt hatte mich vor allem diese Sache mit Nina gest?rt. Sie ist eben meine beste Freundin. Und das Gef?hl zu haben, dass sie noch so in ihn verknallt ist, war nicht gerade sch?n. Verstehst du das?«
Pl?tzlich sch?pfe ich wieder Hoffnung f?r meinen Plan vom gl?cklichen Familienleben. M?glicherweise kommen wir doch noch ans Ziel. Wie genau, weiss ich zwar nicht, aber das ist erst mal zweitrangig. Auf alle F?lle kann es nicht schaden, mich als Frauenversteher zu positionieren. So erz?hlt Carolin vielleicht noch ein bisschen ?ber Marc. Ich gebe mir also M?he, Carolin m?glichst treu ins Auge zu blicken.
»Herrje, das ist ja ein richtiger Dackelblick. Du findest, das mit Marc war ein Fehler, nicht? Na ja, aber bei Nina hat er echt ein bisschen ?berreagiert. Die Arme. Gut, sie ist nicht die kinderfreundlichste, aber sie vor allen abzukanzeln? Auch nicht okay, oder?« Ich blinzele wieder und schn?ffele an ihr. »Das macht ihn doch irgendwie etwas unsympathisch.«
Brrr, auf keinen Fall! Ich sch?ttle den Kopf und knurre ein bisschen.
»Gut, dann sind wir da eben nicht einer Meinung. Ich finde schon, dass es ihn ein wenig unsympathisch macht. Insofern war es vielleicht doch die richtige Entscheidung. Ich meine, nach Thomas ist mein Bedarf an Cholerikern echt gedeckt.«