»So. Was spricht f?r dieses Teil?«
Marc schnappt emp?rt nach Luft.
»Hallo? Das ist ein echtes Designerst?ck. Habe ich mal von einem Kurztrip nach London mitgebracht.«
»Und? Schon mal getragen?«
»?h, na ja …«
Der Bl?mchenkittel wandert in den Sack. Der n?chste Kandidat ist eine Hose. Marc sieht sie und richtet sich spontan zu voller Gr?sse auf.
»Also echt jetzt! Das ist meine absolute Lieblingshose! Und die sieht doch noch super aus!«
»Marc, wenn es deineabsolute Lieblingshose ist, wieso habe ich sie dann noch nie an dir gesehen? Wir kennen uns jetzt ein Jahr, ich w?rde sagen, du hattest sie noch nie an. Und offen gestanden glaube ich, sie passt dir auch gar nicht mehr.«
»Entschuldige mal! Nat?rlich passt die mir noch!«
»Ja? Das will ich sehen.«
Carolin h?lt ihm die Hose unter die Nase. Marc seufzt und zieht seine aktuelle Hose aus. Er schl?pft in die andere, zieht sie hoch und l?chelt triumphierend.
»Da siehst du’s. Passt!«
Carolin verzieht keine Miene.
»Zumachen.«
»Bitte?«
»Du musst sie zumachen. Sonst z?hlt es nicht.«
Marc sch?ttelt unwillig den Kopf und macht sich daran, die vielen Kn?pfe zu schliessen. Gar nicht so einfach. Jedenfalls schnappt er auf einmal nach Luft und zieht den Bauch ein, dann erst ist die Hose endg?ltig zu. Ich bin wahrlich kein Experte f?r Hosen, aber es sieht relativ unbequem aus, so, als sei Marc in seiner eigenen Hose eingeklemmt. Jetzt l?chelt Carolin.
»Also, wenn du damit leben kannst, den ganzen Tag keine Luft zu holen, dann sitzt die Hose in der Tat noch wie angegossen. «
Marc rollt mit den Augen, zieht die Hose wieder aus und schleudert sie zur Seite. Dabei wirft er sie mir direkt auf die Nase, ich jaule?berrascht auf und springe zur?ck.
»Ups, tschuldige, Herkules. Ich habe dich gar nicht gesehen. Aber du kommst gerade recht. Du kannst hier etwas lernen, was auch f?r dich als Haustier interessant sein d?rfte: die Domestizierung des Mannes. Will sagen: vom Mann zum Milchbr?tchen.«
H?? Milchbr?tchen? Wovon spricht Marc? Und was hat das mit Haustieren zu tun. Carolin holt Luft.
»Also echt, Marc. Was soll denn das? Wir waren uns einig, dass Nina meinen Kleiderschrank behalten sollte, weil in deinem angeblich genug Platz f?r uns beide sei und mein Schrank auch gar nicht in dieses Zimmer passt. Und wenn du schon dieses olle Teil, das dir noch dazu viel zu eng ist, behaltenwillst, dann sehe ich f?r den Rest wirklich schwarz.«
»Ist ja gut, ist ja gut. Reg dich nicht auf. Es ist eben nur so, dass ich mit dieser Hose viele Erinnerungen verbinde. Ich habe sie mir gleich im ersten Semester in M?nchen gekauft, und sie war damals schweineteuer und supersexy. Auf Partys kam ich damit sensationell an.«
»Tja, das war dann doch wohl eindeutig noch zu D-Mark-Zeiten. Ich finde, du solltest kleidungstechnisch langsam mal in der Eurozone ankommen. Aber ich habe auch gar keine Lust, mich hier mit dir ?ber deine alten Hosen zu streiten. Ich schlage vor, ich gehe eine Runde mit Herkules einkaufen, und du sortierst deinen Schrank selbst neu. Und wenn es dann eben doch keinen Platz f?r meine Sachen gibt, dann fahre ich nachher zu Ikea und kaufe einen neuen Schrank f?r mich. Ich habe jedenfalls keine Lust, noch die ganze Woche aus dem Koffer zu leben.«
Spricht’s, dreht sich um und geht aus dem Zimmer. Hoppla, das klang sch?rfer, als Carolin sonst mit Marc spricht. Offensichtlich scheint diese Kleiderschranknummer irgendwie wichtig zu sein. Ich folge Carolin, die sich ihre Jacke schnappt und Richtung Treppenhaus steuert. Marc guckt noch einmal aus dem Schlafzimmer.
»He, bist du jetzt sauer?«
Carolin bleibt stehen.
»Nein. Na ja. Vielleicht ein bisschen.«
Marc kommt uns hinterher, nimmt sie kurz in den Arm und k?sst sie.
»Ich gelobe hiermit feierlich: Wenn ihr vom Einkaufen zur?ckkommt, hast du mindestens die H?lfte des Kleiderschranks f?r dich. Und wenn ich daf?r alle Hosen, die ich vor 1975 gekauft habe, rituell verbrennen muss. Ehrenwort.«
Carolin kichert und erwidert seinen Kuss.
»Ich bin gespannt.«
Nach dem Einkaufen treffen wir einen alten Bekannten: Willi. Er steht direkt am Eingang vom Supermarkt und baut gerade einen Stapel mit Zeitungen neben sich auf. Willi ist ein?lterer Herr, der auf einer Bank in unserem Park wohnt und mich einmal aus einem Kaninchenbau gerettet hat. In letzter Zeit habe ich ihn allerdings kaum noch gesehen, umso mehr freue ich mich, ihn hier zu treffen.
»Gr?sse Sie, Willi!« Auch Carolin scheint sich zu freuen.
»Hallo, Frau Neumann!«
»Wie geht es Ihnen denn?«
»Pr?chtig! Ich habe endlich wieder eine Wohnung – und auch einen Job! Sehen Sie mal«, er h?lt Caro eine Zeitung unter die Nase, »ich bin jetzt Zeitungsverk?ufer. Ist ein Projekt extra f?r Obdachlose, von jedem verkauften Exemplar bekomme ich auch Geld.«
»Klasse, da kaufe ich Ihnen gleich mal eine ab.«
»Danke.« Dann beugt er sich zu mir hinunter. »Und du, Kleiner? Hast du mich schon vermisst?«
Ich wedele mit dem Schwanz. Na klar!
»Weisst du, dem Willi geht’s jetzt wieder richtig gut. Deswegen bin ich so selten in eurer Ecke. Aber ich komm dich mal besuchen.«
Ich schlecke ihm die H?nde ab, er lacht, und Caro verabschiedet sich. Sie will unserer alten Wohnung noch einen Besuch abstatten. Oder besser gesagt: Nina, die in Carolins Wohnung gezogen ist. Nina ist ihre beste Freundin und ganz anders als Carolin: Gross und dunkelhaarig – und w?hrend Carolin f?r mich die Sanftmut in Person darstellt, ist Nina meist sehr bestimmt und energisch.
Sie?ffnet die T?r, sieht uns und strahlt.
»Mensch, das ist ja eine nette ?berraschung! Komm rein, ich bin mal gespannt, wie es dir gef?llt.«
Sie winkt uns ins Wohnzimmer, das nun mit Ninas Sofa und einem einzigen B?cherregal sehr mager best?ckt und so kaum wiederzuerkennen ist. Nina und Carolin setzen sich, und ich lege mich auf mein ehemaliges Lieblingsfleckchen vors Sofa. Schon komisch, der Raum ist nat?rlich derselbe geblieben, aber er riecht schon ganz anders. Eben deutlich nach Nina, auch wenn ich noch eine leichte Note Carolin erschnuppere.
»Willst du vielleicht etwas trinken?«
Carolin sch?ttelt den Kopf.
»Nee, danke. Ich war einfach nur neugierig, wie meine Wohnung aussieht, wenn sie deine ist.«
»Tja, so richtig viel kann man noch nicht erkennen. Ich hatte zwar l?ngst nicht so viele Kartons wie du, trotzdem habe ich sie noch nicht alle ausgepackt. Wahrscheinlich brauche ich auch noch jede Menge neuer M?bel, meine alte Wohnung war deutlich kleiner als deine. Gut, dass ich deinen Kleiderschrank behalten konnte.«
Carolin lacht.
»Du wirst es nicht glauben. ?ber das Thema Kleiderschrank hatten wir eben unsere erste kleine Kabbelei.«
»Wirklich? Ich hoffe doch, nicht meinetwegen?«
»Nein, nein. Marc ist nur der Ansicht, dass er s?mtliche Klamotten horten muss, die er seit seinem Eintritt in den Stimmbruch angeschafft hat. Also, da sind Sachen dabei – unglaublich. Aber wir haben im Schlafzimmer keinen Platz f?r einen weiteren Schrank, und deswegen muss er jetzt mal ausmisten, sonst passen meine Sachen da definitiv nicht rein.«
»Aha. Also zeigt Marc eindeutiges Revierverhalten.«
»Ist das die Diagnose der Psychologin?«
»Gewissermassen.«
Revierverhalten. Das klingt f?r mich endlich mal nachvollziehbar, und jetzt verstehe ich auch, warum die Stimmung im Schlafzimmer eben so angespannt war. Sein Revier muss man nat?rlich verteidigen, das leuchtet jedem Hund sofort ein. Nicht umsonst habe ich vor noch nicht allzu langer Zeit als Welpe eifrig das Beinchenheben ge?bt. Das ist n?mlich gar nicht so einfach, wie es aussieht. Aber sehr, sehr wichtig. Eine eindrucksvolle Duftmarke zu setzen ist eben die effektivste Methode, das eigene Revier zu kennzeichnen. So weit, so gut. Eine Sache gibt mir dennoch zu denken: Warum verteidigt Marc das gemeinsame Schlafzimmer gegen Carolin? Also gewissermassen gegen sein eigenes Weibchen? Das macht aus Hundesicht nun ?berhaupt keinen Sinn. Es gilt zwar, das Revier von l?stiger Konkurrenz freizuhalten, die Mitglieder des eigenen Rudels sind aber willkommen. Insbesondere die Weibchen. Im Grunde genommen veranstaltet der R?de den ganzen Zirkus doch nur f?r die H?ndin. Ob bei Menschen auch Paare miteinander konkurrieren k?nnen? Und falls ja, um was? Es ist und bleibt r?tselhaft mit diesen Zweibeinern.