Umso wichtiger, mal hinzuh?ren, was die beiden nun zu besprechen haben. Nur f?r den Fall, dass die Beck’sche Theorie, wonach es beim Menschen immer kompliziert bleibt, stimmen k?nnte.
»Aber warum sollte Luisa denn auf einmal etwas dagegen haben, dass du hier eingezogen bist? Im Gegenteil, wir haben doch vorher alles miteinander besprochen, und sie hat sich gefreut.«
»Na ja, aber es k?nnte ja sein, dass sie immer noch hofft, dass es mit Sabine und dir doch wieder etwas wird, und dann w?rde ich nur st?ren.«
»Sag mal, wie kommst du denn auf einmal auf so eine absurde Idee? Sabine und ich sind seit drei Jahren getrennt und seit zwei Jahren geschieden.«
»Na, ich sage ja nicht, dass ich das denke. Ich sage ja nur, dass Luisa das vielleicht hofft.«
Marc rutscht vom Sofa und kniet sich vor Carolin.
»Spatzel, was ist heute eigentlich mit dir los? Warum machst du dir auf einmal solche Gedanken?«
»Ach, ich habe heute mit Nina Mittag gegessen. Und dann haben wir uns fast gestritten, weil sie schon wieder damit anfing, ob ich mir das mit dem Zusammenziehen gut ?berlegt habe. Gott sei Dank bekam sie dann Besuch, und wir konnten es nicht weiter ausdiskutieren. Aber zum Abschied hat sie mir einen ganzen Stapel B?cher ?ber Patchworkfamilien in die Hand gedr?ckt. Da habe ich ein bisschen drin gebl?ttert. Und jetzt ist mir irgendwie mulmig.«
Marc sch?ttelt den Kopf.
»Und die will deine Freundin sein.«
»Sie hat es bestimmt nicht b?se gemeint. Und sie ist als Psychologin schliesslich vom Fach.«
Richtig, Nina ist Psychologin. Es hat eine Weile gedauert, bis ich kapiert habe, was das bedeutet. Denn sie macht nichts, was man sehen kann, also so wie Carolin, die Geigen baut. Und es ist auch nicht wie bei Marc, der sich als Tierarzt um kranke Kollegen von mir k?mmert: Hund krank, Marc ran, Hund gesund. Wenn ich es richtig verstanden habe, dann besch?ftigt sich Nina mit Menschen, die ein Problem in ihrem Kopf haben. Also nicht Kopfschmerzen oder so. Eher Schmerzen beim Denken. Das ist bei Menschen nat?rlich ein grosses Problem, weil sie ja ?ber so vieles nachdenken. Und wenn das nicht mehr so rund l?uft, dann kommt Nina ins Spiel. So jedenfalls erkl?re ich mir das. Und deswegen ist es auch logisch, dass Carolin auf sie h?rt, wenn siedenkt, dass Luisa irgendwasdenkt. Puh– mir wird schon bei diesen wenigen Gedanken ganz schwindelig. Gut, dass ich ein Dackel bin.
»Darf ich die B?cher mal sehen? Vielleicht kann ich da ja auch noch was lernen. Bestimmt mache ich seit Jahren alles falsch.«
Marc klingt genervt, Carolin rutscht vom Sofa herunter, setzt sich neben ihn auf den Boden und k?sst ihn.
»Komm, du unsensibler Veterin?r, sei nicht so grummelig. «
»Tut mir leid. War nicht so gemeint. Aber die B?cher interessieren mich wirklich.«
»Moment.«
Carolin steht auf und holt einen Stapel B?cher aus ihrer Tasche, die noch auf der Fensterbank steht.
»Hier.«
Sie reicht Marc ein Buch.
»Hm.Im Schatten der Ersten. Wie Partnerschaft mit einem geschiedenen Mann gelingen kann. Aha.«
Er bl?ttert darin.
»Kapitel 2: Von Gl?cksgriffen und Traumata – der Gebrauchte Mann als Partner. So, ich bin also ein›Gebrauchter Mann‹, oder wie. Das klingt ja nicht gerade ermutigend. Bin ich denn eher ein Gl?cksgriff oder ein Trauma?«
Jetzt kichert Carolin.
»Das, mein Lieber, muss sich noch erweisen.«
Trauma?Traumata? Wor?ber reden die? Ich verstehe kein Wort. Oder meinen dieTraummann? Und warum?rgert sich Marc dann? Klingt doch gut. Vielleicht ist es aber auch die Sache mit dem »gebraucht«, die ihn aufregt. Aber auch das verstehe ich nicht. Ist doch gut, wenn man gebraucht wird. Selbst als Mann. Hm. Hoffentlich kommt Herr Beck bald wieder nach Hause. Ohne einen versierten Menschenkenner wie ihn gerate ich ganz sch?n ins Schwimmen.
VIER
Du kannst dir einfach nicht vorstellen, wie schrecklich diese kleinen Monster sind. F?rchterlich! Grausam!« Herr Beck sitzt vor mir und schnauft gequ?lt. Seine Augen wirken tr?b, und ich bilde mir sogar ein, dass seine Schnurrbarthaare nach unten h?ngen. Keine Frage – die drei Tage bei Familie Wiese haben ihm schwer zugesetzt. Nicht einmal das tolle Wetter und ein gemeinsamer Plausch im Garten k?nnen ihn aufmuntern.
»Hm. Luisa ist eigentlich sehr nett zu mir. Ich kann da nichts Negatives berichten.«
Beck starrt mich an.
»Ha! Luisa! Das ist ja nurein Kind. Ein einigermassen grosses noch dazu. Aber dieser nichtsnutzige Neffe hat gleich drei St?ck davon – alles noch kleine Hosenscheisser und eines verzogener als das andere!«
»Hosenscheisser?«
»Ja, mein Lieber, da staunst du! Menschen sind nicht automatisch stubenrein – nein, und es dauert bei ihnen auch nicht nur ein paar Wochen, bis sie kapiert haben, dass man nicht einfach auf den n?chsten Teppich pinkelt. Stell dir vor – diese Menschen brauchen JAHRE, um das zu lernen, was unsereins eigentlich ratzfatz raushat. Also tragen die kleinen Menschlein sogenannte Windeln in der Hose, in die sie einfach … na, du weisst schon. Das nur mal, um zu verdeutlichen, wie DUMM Kinder eigentlich sind.«
Ach, das ist in der Tat interessant.
»Also, das ist mir bei Luisa noch nie aufgefallen.«
»Nat?rlich nicht. Ich sagte doch: Die ist ja schon gross f?r ein Kind. Aber die G?ren von diesem Wiese – einfach schrecklich. Stell dir vor: Sie haben mich angezogen. In Puppenkleidung haben sie mich reingequ?lt. Sogar eine M?tze haben sie mir aufgesetzt, auf meine empfindlichen Ohren! Und dann wurde ich in den Puppenwagen gestopft. Ich konnte mich nicht wehren, die waren ja zu dritt. Durch die Gegend haben sie mich gefahren. Ach was: geschleudert! Mir ist richtig schlecht geworden, ich dachte, mein letztes St?ndlein h?tte geschlagen.«
Der arme Herr Beck! Was f?r ein Alptraum. Nur gut, dass ihn Nina aus dieser H?lle befreit hat. Dagegen scheint ja selbst das Tierheim ein Hort der Stille und des Friedens zu sein. Ich beschliesse, ihn ein wenig abzulenken.
»Ist es nicht toll, dass du jetzt bei Nina wohnst? Quasi in meiner alten Wohnung?«
Er schaut mich stumpf an.
»Was soll daran toll sein?«
»Du bist wieder hier! Bei deinen Freunden!«
»Ich vermisse mein Frauchen.«
Das allerdings wundert mich fast. Bisher dachte ich, Herr Beck ist niemand, der sein Herz an einen Menschen h?ngt. Stark und unabh?ngig. Im Grunde genommen eher Wildkatze als Hauskater.
»Sieh es doch mal so: die ist bestimmt bald wieder gesund, und so lange ist Nina nicht die schlechteste Adresse. Ich finde, ihr passt richtig gut zusammen.«
Wieder dieser stumpfe Blick.
»Wieso?«
»Na ja, weil ihr beide immer so schlecht gelau… ?h, weil ihr so ?hnliche Ansichten ?ber die Welt und eure Mitmenschen und -tiere habt. Das verbindet euch bestimmt, du wirst schon sehen.«
Herr Beck schnaubt.»Warum sollte ich denn mit der verbunden sein wollen? Du bist doch eigentlich nicht gerade Ninas gr?sster Fan. War die nicht eine Zeitlang auch hinter Carolins Tierarzt her?«
»Ja, aber das spielt doch jetzt keine Rolle. W?rst du lieber im Tierheim gelandet? Oder h?ttest noch gern ein paar Tage bei den Mini-Monstern verbracht?«
Beck sch?ttelt den Kopf. »Nat?rlich nicht. Wahrscheinlich bin ich einfach schlecht drauf. Wie gesagt: Ich vermisse Frau Wiese. Sie ist wahrlich nicht die hellste Kerze auf der Torte, aber enorm zuverl?ssig. Bei Menschen ein unsch?tzbarer Wert. Was n?tzt dir das ganze Rumgekuschel, wenn das Essen nicht rechtzeitig auf dem Tisch steht? Respektive im Fressnapf landet?«
»Immerhin kann Nina gut kochen. Gestern hat sie uns zum Mittagessen eingeladen.«
»Nun lass mal gut sein. Du brauchst sie mir nicht anzupreisen. Ich bin in der Tat froh, dass sie mich aufgenommen hat. Ich dachte immer, sie sei so eine Zicke, aber offenbar hat sie doch einen guten Kern.«