»Freut mich, dass du das so siehst. Ich finde Nina wirklich ganz in Ordnung.«Und sie ist nicht zickiger als du, f?ge ich in Gedanken hinzu.
»Aber wie l?uft’s denn jetzt in der neuen Wohnung? Noch alle gl?cklich? Oder gab’s schon den ersten Zoff?«
Ich sch?ttele den Kopf.
»Nein, alles in bester Ordnung. Und damit es noch besser l?uft, hat Nina den beiden sogar ein Buch geschenkt, in dem drinsteht, wie sehr so jemand wie Marc gebraucht wird.«
»Aha. Eine Abhandlung ?ber Tiermedizin?«
»Nein, nein, mit Tieren hatte das nichts zu tun. Es ging um M?nner. Genauer gesagt, um gebrauchte M?nner.«
»Du weisst aber schon, dass es zwischen ›brauchen‹ und ›gebraucht‹ einen Riesenunterschied gibt?«
War ja klar. Wenn hier jemand f?r eine Wortklauberei gut ist, dann Herr Beck.
»Brauchen,gebrauchen– das ist doch v?llig egal. Carolin braucht Marc, und selbst Nina ist dieser Meinung. Das ist doch toll. Du willst ja nur nicht zugeben, dass diese ganze Familiennummer eine Supersache ist. Ist f?r dich als Einzelg?nger wahrscheinlich einfach nicht zu verstehen, wie sch?n das Zusammenleben mit anderen ist.«
Bl?de Katze. Jetzt rutscht Beck mit den Pfoten nach vorne, legt sich auf den Bauch und mustert mich durchdringend.
»Ich sage es wirklich nicht gern, aber: Du musst noch viel lernen, Kleiner.«
Was genau ist es eigentlich, was ich an Beck so nett finde? Seine?berheblichkeit bestimmt nicht. Ich drehe mich um und lasse den Bl?dmann einfach unter dem grossen Baum liegen. Da turne ich lieber noch ein bisschen durch die Werkstatt, als mich hier weiter belehren zu lassen.
»He, nun sei doch nicht gleich beleidigt! Bleib hier!«
Ich sch?ttle den Kopf und trotte weiter.
»Mensch, Carl-Leopold, ich habe mich total gefreut, dich wiederzusehen. Lass mich bitte nicht allein hier sitzen!«
Alle Achtung– wenn sich Herr Beck dazu aufrafft, mich mit meinem urspr?nglichen Namen anzureden, ist es ihm wirklich ernst. Dann will ich mal nicht so sein. Und eigentlich geht es mir ja genauso wie Beck: Ich habe mich auf das Wiedersehen sehr gefreut. Ich drehe mich um und lege mich genau vor Becks Nase.
»Dann gilt in Zukunft aber Folgendes: Du begr?ndest deine Einsichten ?ber Menschen im Allgemeinen und meine Familie im Besonderen mal n?her, oder aber: Klappe halten. Verstanden? Dein Rumgest?nker nervt mich n?mlich gewaltig. «
Herr Beck seufzt und nickt.»Na gut. Vielleicht bin ich in letzter Zeit wirklich etwas griesgr?mig. Ich werde zuk?nftig darauf achten, nicht zu verschroben zu werden.«
»Eine gute Idee. Ich werde dich beizeiten daran erinnern.«
»Mach das. Aber wenn du unbedingt Klartext willst, dann muss ich dir schon sagen, dass Nina mit ihrem Buch ?ber gebrauchte M?nner bestimmt nicht sagen wollte, dass Carolin Marc braucht. Vielmehr wollte sie darauf hinweisen, dass M?nner, die schon mal eine Familie hatten, nicht der beste Griff f?r die eigene Familiengr?ndung sind. Und der gute Marc ist eben so ein gebrauchter Mann. Schliesslich war er schon mal verheiratet und hat bereits ein Kind. Frauen wollen aber meist lieber einen Mann ohne Anhang und Vergangenheit. «
Tja, und da sieht man wieder deutlich, wie verr?ckt die Menschen sind. Kein Z?chter k?me doch auf die Idee, dass der ideale Kandidat f?r den Aufbau einer neuen Zucht ein Dackel sein k?nnte, der noch keinen Nachwuchs hat. Da kann man doch gar nicht beurteilen, ob der das ?berhaupt hinkriegt mit ansehnlichen Kindern. Marc hingegen hat mit Luisa bewiesen, dass er Vaterkann.
Ich sch?ttele den Kopf und schnaufe in meinen nicht vorhandenen Bart.
»Gut, wenn du es so sagst, wird es Nina schon so gemeint haben. Aber Unsinn ist es allemal.«
»Weiss nicht. Ich …«
Bevor Herr Beck noch n?her ausf?hren kann, wie er denn zu der ganzen Geschichte steht, kommt Carolin die beiden Stufen von der Werkstatt zum Garten hoch.
»So, mein Lieber, jetzt mal nicht faul in der Sonne rumliegen. Action ist angesagt! Wir sind mit Marc und Luisa an der Alster verabredet, also auf, auf!«
Lachhaft! Als m?sste man mich besonders motivieren, um mich zum Laufen zu kriegen.
An der Alster sind wir an einem sch?nen Sommertag nat?rlich nicht allein. Wahre Menschenmassen schieben sich ?ber die Sandwege beim See: M?nner, Frauen und Kinder, Babys in Kinderwagen, ?ltere Herrschaften sind mit Gehstock unterwegs, kurz: Jeder Mensch, der sich halbwegs fortbewegen kann, hat offensichtlich beschlossen, dies auch zu tun. Das wiederum ist ungew?hnlich, denn eigentlich laufen die Zweibeiner nur ungern. Jedenfalls mit ihren eigenen F?ssen. Mit Auto oder Fahrrad sieht die Sache schon wieder anders aus. Woran das wohl liegt? Zu weiteren philosophischen Gedanken bleibt mir allerdings keine Zeit, denn ich binangeleint und muss daher sehen, dass ich im passenden Tempo hinter Carolin herkomme, die gerade recht schnell ist.
»Komm, Herkules, gib mal ein bisschen Gas! Wir sind schon sp?t dran und wollen doch nicht, dass die anderen auf uns warten m?ssen.«
Das ist ja mal wieder typisch! Was kann ich denn daf?r, wenn wir nicht rechtzeitig aufbrechen? Bin ich hier etwa f?r die Verabredungen zust?ndig? Nervig, so was. Die menschliche Zeitrechnung ist sowieso ziemlich undurchsichtig, wenn man dann noch von ihr abh?ngt und deswegen total hetzen muss, wird es richtig unangenehm. ?berhaupt finde ich, dass es in letzter Zeit ziemlich viel Zeitplan und ziemlich wenig Streicheleinheiten von Carolin gab. Ich setze mich auf meinen Po.
»Was wird das? Ein Sitzstreik?«
Carolin klingt vorwurfsvoll. Ich lasse meine?hrchen h?ngen und fiepe ein wenig. Sie kniet sich neben mich.
»Herkules, S?sser, was ist denn los mit dir?«
Ich lege meinen Kopf auf ihre Knie und drehe ihn leicht. Ohne ein bisschen Z?rtlichkeit werde ich mich nicht von der Stelle r?hren. Basta. Aus den Augenwinkeln sehe ich, dass mich Carolin mustert. Offensichtlich denkt sie nach, jedenfalls kneift sie ihre Augen leicht zusammen – ihr klassisches Denkergesicht. Dann f?hrt sie mir mit einer Hand ?ber den Kopf und krault mich hinter den Ohren.
»War ein bisschen stressig in letzter Zeit, oder? Aber ich verspreche dir, dass es bald wieder ruhiger wird. Du hast auch alles ganz toll mitgemacht, ehrlich! Da bin ich schon ein bisschen stolz auf meinen kleinen Dackel.«
Gut. Das will ich gelten lassen. Ich nutze die Gelegenheit und schlecke Carolin einmal quer?bers Gesicht. Ich weiss, sie mag das nicht. Ich aber umso mehr! Sie kichert.
»He, mein Make-up! Das muss ich wohl gleich nochmal ?berpr?fen. Wenn du mir jetzt den Gefallen tun w?rdest?«
Sie macht eine einladende Handbewegung in die Richtung, in der sich wohl unsere Verabredung befindet.
Gerade will ich aufstehen und Carolin hinterhertrotten, da geschieht ES. Ich sehe SIE und bin– ?berw?ltigt! Denn sie ist sch?n. Nein, sie ist wundersch?n. Ich bin fassungslos. Sie geht direkt an mir vorbei, streift mich dabei fast und wirft mir einen kurzen Blick ?ber ihre Schulter zu. Sie ist mir so nah, dass ich sofort in einer Woge ihres unglaublich wunderbaren Geruchs gefangen bin. Ich sagegefangen, weil ich in diesem Moment absolut unf?hig bin, mich zu regen. Ich bin gel?hmt. Aber gl?cklich. Denn mir ist gerade ein Engel begegnet.
Ein unsanfter Ruck an meinem Halsband erinnert mich daran, dass ich nicht im Himmel, sondern an der Alster bin.
»Hallo, Erde an Herkules! Du wolltest doch brav sein, oder?«
H?? Wer? Herkules? Ich sch?ttele mich kurz und starre dem Wesen hinterher, das mich gerade verzaubert hat. Blonde, lange Haare, schlank, aber sportlich, und ein Gang, der eigentlich mehr ein Schweben ist, kurzum: eine absolute Wahnsinnsfrau. Mir wird schwindelig, ich glaube, ich muss mich kurz hinlegen. Mittlerweile steht Carolin direkt ?ber mir und grinst mich an.
»Du hast Gl?ck, mein Kleiner, wir wollen in die gleiche Richtung wie der h?bsche Golden Retriever, der dich so aus den Socken gehauen hat.«