Ertappt! Wie hat sie das bloss gemerkt?
»Also nicht mehr sabbern und jaulen – sondern schnell aufstehen und nichts wie hinterher!«
Wie peinlich! Habe ich tats?chlich gesabbert und gejault? Was ist bloss aus meinen guten Manieren geworden? Es spricht vieles daf?r, dass sie sich im Angesicht dieses Naturschauspiels verabschiedet haben. Ich rappele mich auf und laufe sofort hinter Carolin her, die mittlerweile ein paar Schritte vorgegangen ist. Tats?chlich, sie geht in Richtung Traumfrau. Ich mache einen Satz nach vorne und ?berhole Carolin. Kann die nicht mal schneller machen? Was schleicht sie denn hier lang? Ich dachte, wir h?tten es eilig!
»Wow, Herkules – du hast ja dein Gaspedal wieder entdeckt. Wenn du noch schneller wirst, muss ich joggen.«
Carolin legt zwar noch einen Zahn zu, zu laufen beginnt sie allerdings nicht. Mist, gleich ist der Engel verschwunden, und bei den vielen anderen Menschen und Hunden wird es einigermassen schwierig werden, ihrer Witterung zu folgen.
»Autsch! Halt mal, ich habe mir den Fuss verknackst!«
Auch das noch! Carolin bleibt stehen und reibt sich den Kn?chel. Muss das denn sein? Da kann man sich doch wohl mal einen Moment zusammenreissen.
»H?r mal auf, an der Leine zu zerren, ich habe mir wirklich weh getan. Komm zu mir und mach Sitz!«
Missmutig trabe ich zu Carolin und setze mich neben sie. Die soll bloss nicht glauben, dass ich nun den Rettungshund gebe. Wegen ihr habe ich gerade die Chance meines Lebens verpasst. Wer weiss, ob ich Carolin das ?berhaupt jemals verzeihen kann. Noch nie zuvor habe ich eine so sch?ne H?ndin gesehen. Und wie toll sie roch! Mein Herz beginnt schneller zu schlagen,und in meiner Magengegend macht sich ein Gef?hl breit, das ich noch nie zuvor hatte. Ob ich krank werde?
Carolin hat sich hingesetzt, den Schuh ausgezogen und betrachtet ihren Fuss. Zugegebenermassen sieht der dazugeh?rige Kn?chel auf einmal ziemlich dick aus. Wahrscheinlich tut es auch wirklich weh. Hm. Ich m?sste schon sehr hartherzig sein, um das zu ignorieren. Was ich nat?rlich nicht bin. Wenn es meinem Frauchen schlecht geht, f?hle ich mich auch nicht wohl. Schliesslich sind meine Ahnen in grader Linie 300 Jahre lang ihrem J?ger treu gefolgt. Und das vermutlich auch, wenn sie gerade einen wundersch?nen anderen Hund erblickt hatten. Ich kuschle mich also an Carolins Beine und schlecke ihr die H?nde ab, mit denen sie gerade ihren Kn?chel abtastet.
»Aua, also das hat mir gerade noch gefehlt! So was Bl?des, ich bin richtig umgeknickt und kann mit dem linken Fuss gar nicht mehr auftreten. Hoffentlich kommen wir ?berhaupt bis insCliff. Das ist bestimmt noch ein halber Kilometer, und es tut richtig weh.«
Sie st?hnt, und ich merke, dass ich ein schlechtes Gewissen bekomme. Wenn ich nicht so an der Leine gezogen h?tte, w?re das vielleicht nicht passiert. Ein Hund, der sein Frauchen in Schwierigkeiten bringt: Ich will gar nicht wissen, was Opili dazu sagen w?rde. Vielleicht kann ich zum Ausgleich Hilfe holen? Marc alarmieren? Andererseits – keine Ahnung, wo der steckt.
Ein Fahrradfahrer h?lt neben uns.
»Kann ich Ihnen helfen? Haben Sie Probleme?«
Er steigt ab. Ein junger Kerl mit einer wirklich riesigen Umh?ngetasche. Seltsam, dabei dachte ich, grosse Taschen seien ein Privileg von Menschenfrauen. Der Typ riecht ein bisschen nach Pfefferminz – und irgendwie abenteuerlustig. Ich knurre. Diese Frau ist bereits vergeben, verzieh dich, Freundchen.
»Hoppla, keine Gewalt, Kleiner!«
Er grinst. Ich knurre lauter.
»Herkules, also wirklich! Wo ist dein Benehmen? Der Herr will mir doch nur helfen.«
Nee, schon klar. Und ich trete demn?chst dem Verein der Freunde des Zwergkaninchens bei. Der will nicht helfen, der will Beute machen, Carolin! Und wenn ich das ganze Alsterufer nach Marc absuchen muss – so leicht sind wir doch wohl nicht zu haben!
Das Raubtier nimmt den Fahrradhelm ab. Ziemlich viele Haare kommen zum Vorschein.
»Tja, da passt einer gut auf sein Frauchen auf. Ist ja nicht das Schlechteste. Ich bin ?brigens Robert.«
Er reicht Carolin die Hand und zieht sie zu sich hoch. Grrrrr!
»Danke. Ich bin Carolin. Ich glaube, ich habe mir den Fuss verstaucht. Und jetzt muss ich noch die 500 Meter bis zumCliff schaffen– leider weiss ich gerade nicht, wie.«
»Da helfe ich doch gerne. Was halten Sie davon: Sie setzen sich auf mein Fahrrad, ich schiebe Sie hin. Wenn Sie dort erwartet werden, kann Ihre Begleitung vielleicht den n?chsten Transport organisieren.«
Er l?chelt, Carolin l?chelt zur?ck. Das passt mir zwar nicht, aber eine brauchbare Alternative f?llt mir auch nicht ein. Carolin kann schlecht auf meinem R?cken zumCliff reiten. Daf?r bin ich eindeutig zu klein. Dann lieber das Fahrrad von Mr. Raubtier. Er hebt Carolin auf den Sattel und schiebt los. Ich trotte hinterher und komme mir komplett ?berfl?ssig vor. Traumfrau weg, Frauchen verletzt, Dackel hilflos. Was f?r ein ?tzender Nachmittag.
Wenig sp?ter kommen wir in dem Restaurant an, in dem Carolin und Marc offensichtlich verabredet sind. Sie bedankt sich bei Robert, er hilft ihr vom Fahrrad, und sie humpelt gest?tzt auf ihn Richtung Terrasse. An einem der hinteren Tische sehe ich Marc und Luisa. Er winkt uns zu, Carolin winkt zur?ck. Robert verabschiedet sich – mit einem K?sschen auf Carolins Wange und einem kurzen Griff an ihren Po, so, als m?sse er sie festhalten. Carolin schaut ?berrascht, aber bevor sie etwas sagen kann, hat sich Mister Lebensretter schon zu seinem Fahrrad davongemacht. GRRRR. Aber egal, den sind wir los.
Carolin humpelt zu Marc. Er kommt uns entgegen und fasst Carolin um die H?fte.
»Mensch, Schatz, was ist denn mit dir los?«
»Ich bin umgeknickt, und jetzt tut mein Fuss tierisch weh. Er ist auch schon ziemlich geschwollen. Ohne Hilfe von dem Fahrradkurier h?tte ich es gar nicht mehr hierhin geschafft.«
»Hm. Sollen wir gleich gehen?«
Carolin sch?ttelt den Kopf.
»Nein, lass mal. Ich habe mich auch schon auf das Essen mit euch gefreut. Wenn wir wieder zu Hause sind, werde ich mal den Fuss hochlegen und k?hlen. Aber das hat noch ein bisschen Zeit.«
Sie setzen sich, ich lege mich unter den Tisch. Sofort schweifen meine Gedanken wieder zu meiner Begegnung mit dem Engel ab. Ich muss so sehr an sie denken, dass ich fast das Gef?hl habe, sie zu riechen. Hm, toll, was Phantasie auszurichten vermag. Fast ist es, als l?ge sie unter dem Nachbartisch. Ich schliesse die Augen und beginne zu tr?umen. Was sie wohl f?r ein Hund ist? Sch?chtern? Mutig? Vorlaut? Still? In meinem Traum wird ihr Geruch immer st?rker. Ich muss mich sehr beherrschen, nicht zu jaulen. St?rker und st?rker. Ich ?ffne meine Augen wieder und versuche mir anzuh?ren, wor?ber Carolin, Marc und Luisa reden. Aber gerade jetzt ist der Geruch so stark, dass ich mich beim besten Willen nicht darauf konzentrieren kann. Wie gemein Vorstellungskraft doch sein kann.
»Ich bin ?brigens Cherie.«
Meine Vorstellungskraft kann offensichtlich sprechen. Ich drehe den Kopf Richtung eingebildeter Stimme. WAHNSINN! Dort liegt sie tats?chlich! In voller Sch?nheit. Die RetrieverDame von der Alster. Und sie spricht mich an! Ich bekomme Herzrasen. Und kein Wort heraus.
Die Sch?nheit l?sst nicht locker. »Kennen wir uns nicht? Ich glaube, ich habe dich schon mal gesehen.«
SIE hat MICH schon mal gesehen? Und kann sich daran erinnern? Ich glaube, ich werde ohnm?chtig. Quatsch. Ich werde ohnm?chtig.
F?NF
Kleiner? Alles in Ordnung bei dir?«
Als ich aus meiner Blitzohnmacht wieder erwacht bin, ist Cherie noch ein St?ck n?her an mich heranger?ckt und betrachtet mich neugierig.
»Du warst eben total weggetreten. Geht es dir nicht gut?«
»?h, doch, blendend.«
»Ich kenn dich. Du warst im letzten Jahr mit deinem Frauchen hier. Sie hatte ein Date, und du hattest Angst, sie k?nnte Schluss machen. Was sie wohl auch getan hat, wenn ich mir den Typen neben ihr ansehe. Das ist eindeutig ein anderer.«
Stimmt. Im letzten Sommer bin ich Cherie hier schon einmal begegnet. Sie lag unter dem Nachbartisch, als Carolin eine Verabredung mit Jens, dem Schauspieler, hatte. Damals waren wir noch auf M?nnersuche, und eigentlich erf?llte Jens alle Anforderungen an ein zuk?nftiges Herrchen. Er ging gerne spazieren, brachte Hundewurst mit und hatte auch Eigenschaften, die bei Menschenfrauen f?r Begeisterung sorgen: n?mlich blaue Augen und ein Auto ohne Dach. Leider hatte er ganz vergessen zu erz?hlen, dass er bereits eine Freundin hatte. Das kam bei Carolin nat?rlich nicht so gut an, und so mussten wir Jens dann wieder loswerden.