Wieso ist mir damals nicht aufgefallen, wie sensationell Cherie aussieht und riecht? Dass es sich bei ihr wahrscheinlich um die tollste H?ndin der Welt handelt? Also, h?bsch fand ich sie damals auch, daran kann ich mich noch erinnern. Aber wiedererkannt habe ich sie jetzt trotzdem nicht. Ob sie irgendwie sch?ner geworden ist? Oder hat sich irgendetwas bei mir ge?ndert? Kann ich auf einmal besser sehen und riechen? Mysteri?s.
Schmeichelhaft ist allerdings, dass sich Cherie noch an mich erinnert hat. Ich bin eben ein Mann, der Eindruck hinterl?sst. Klasse! Beste Voraussetzung, um mal ein Rendezvous unter uns Vierbeinern klarzumachen.
»Sch?n, dass du noch weisst, wer ich bin.«
»Wie k?nnte ich das vergessen! Du hast an dem Abend so ein Theater gemacht, dass ich zuerst dachte, du h?ttest eine Blasenschw?che. Mindestens. Wenn nicht etwas Schlimmeres. St?ndig bist du unter dem Tisch hervorgeschossen und hast gebellt. Und dann hast du mir erkl?rt, dass du das nur machst, damit sich dein Frauchen in den richtigen Kerl verliebt. Das war wirklich die verr?ckteste Geschichte, die ich je geh?rt habe. Bellen f?r die Liebe – wie bescheuert ist das denn?«
Sie lacht. Und ich sch?me mich in Grund und Boden. Stimmt, so war das damals. Peinlich. Wie soll ich diesen verheerenden Eindruck wieder wettmachen? Denn dass ich ihn wettmachen muss, steht fest. Cherie ist m?glicherweise die Frau meines Lebens. Ach was, ganz sicher ist sie das. Ich ?berlege fieberhaft, was ich nun Schlaues sagen k?nnte. Leider f?llt mir ?berhaupt nichts ein.
»Nun schau mal nicht so bedr?ppelt, Kleiner. Ich meine, die Idee war bescheuert, aber auch irgendwie ganz romantisch. Und ausserdem warst du doch noch ein halbes Kind. Da kann man schon mal auf solche Gedanken kommen.«
Gut, tr?stlich, dass Cherie mich anscheinend nicht f?r einen Vollidioten h?lt. Nicht ganz so tr?stlich ist, dass sie michKleiner nennt. Ich bin zwar neu im Flirt-Gesch?ft, aber ich kann mir nicht vorstellen, dass die mehrfache Verwendung dieser Anrede ein Zeichen f?r die abgrundtiefe Bewunderung des so Angesprochenen ist.Grosser w?re da vermutlich besser. Mir ist nat?rlich klar, dass ich gemessen an einem Golden Retriever tats?chlich klein bin, aber es muss doch m?glich sein, diese fehlenden Zentimeter irgendwie auszugleichen.
In diesem Moment schiesst etwas an unserem Tisch vorbei. Gross, schwarz und schnell. Ehe ich noch sehen kann, um wen oder was es sich dabei handelt, ist es auch schon verschwunden. Und zwar in der Alster. Mit einem riesigen Satz. Sensationell! Ich springe unter unserem Tisch hervor. Das muss ich mir genauer ansehen. Aufdie gleiche Idee kommt auch Cherie, gemeinsam laufen wir zu dem kleinen Bootssteg, der dem Gartenlokal vorgelagert ist.
Vorne angekommen, starren wir beide neugierig auf die Stelle, wodas Ding eben verschwunden ist. Die vielen Luftblasen verraten, dass sich unter der Wasseroberfl?che mehr befinden muss als ein paar kleine Fische. Und richtig – in diesem Moment tauchtEs auf: ein riesiger schwarzer Labrador, der in der Schnauze eine Art grossen Ring h?lt. Ein paar kr?ftige Schwimmz?ge, schon ist er am Steg angelangt, springt aus dem See und sch?ttelt sich kr?ftig. Wasser spritzt nach allen Seiten, wir werden richtig nass, aber zumindest Cherie scheint das nicht zu st?ren.
»Wahnsinn, was f?r ein toller Typ!«
Ein junger Mann l?uft auf denWahnsinnstypen zu und nimmt ihm den Ring ab.
»Gut gemacht, Alonzo!«
Alonzo. Was f?r ein beknackter Name.
»Alonzo! Was f?r ein toller Name!«
Die letzten Worte sind fast nur ein Hauchen. Cherie ist offensichtlich hin und weg. Verdammt. Wenn der Cheries Vorstellung vom Traummann nahe kommt, bin ich weiter als weit davon entfernt, ihr zu gefallen. Alonzos Herrchen holt jetzt noch einmal aus und wirft den Ring wieder in die Alster. Der Labrador springt sofort hinterher. Cherie h?lt den Atem an. Wenig sp?ter taucht Alonzo mit dem Ring in der Schnauze wieder auf. Ich muss zugeben, dass ich auch ein klein bisschen beeindruckt bin. Wie hat er den Ring im See bloss noch gesehen? Das Wasser der Alster ist nicht gerade das, was man glasklar nennen w?rde.
»Hast du das gesehen, Kleiner? Toll, oder? Wie hat er den Ring so schnell gefunden? Und was f?r ein guter Schwimmer er ist. Wir Golden Retriever sind ja auch nicht schlecht im Wasser, aber dieser Alonzo ist wirklich unglaublich! So sportlich, super!«
Na ja, also sportlich bin ich auch. Vielleicht k?nnte ich auch einen Ring aus dem Wasser fischen? Ob Cherie dann beeindruckt w?re? Und ich in ihren Augen gleich ein St?ck gr?sser? Alonzo hat in der Zwischenzeit den Ring noch zwei weitere Male apportiert. Und immer, wenn er an Land kommt, wirft er Cherie heisse Blicke zu. Der Angeber! Aber der wird sich noch wundern! Als sein Herrchen das n?chste Mal den Ring wirft, z?gere ich keine Sekunde.
Das Wasser ist nicht so kalt, wie ich dachte. Allerdings ist es tats?chlich sehr tr?b. Ich sehe noch kurz, in welche Richtung der Ring sinkt, dann muss ich mich auf meine Intuition verlassen. Schnell tauche ich tiefer und paddle in die Richtung, in der ich den Ring vermute. Meine Schnauze st?sst gegen etwas – das muss er sein! Entschlossen packe ich zu und habe tats?chlich den Ring erwischt. Bravo, Carl-Leopold! Du bist eben doch ein Grosser.
Ich tauche wieder auf und will Richtung Steg schwimmen. Aber das geht auf einmal gar nicht mehr so leicht. Irgendetwas scheint mich zur?ckzuziehen, jeder Schwimmzug f?llt mir schwer. Mit M?he kann ich meinen Kopf noch ?ber Wasser halten, immer wieder dr?ckt es mich unter die Wasseroberfl?che. Wahrscheinlich w?re es besser, den Ring einfach wieder loszulassen, aber das will ich auf keinen Fall. Ich kann Opilis Stimme h?ren:Ein von Eschersbach gibt niemals auf! Verdammt, was ist bloss los? Je mehr ich mich anstrenge, desto schwerer f?llt es mir, Richtung Steg zu paddeln. Das Wasser, das eben noch ruhig und glatt war, hat auf einmal regelrechte Strudel bekommen, die mich immer wieder hinunterziehen.
Ich werfe einen Blick nach hinten– und bekomme Panik: Ein riesiges Schiff f?hrt direkt hinter mir vorbei, und riesige Wellen kommen direkt auf mich zu. Schnell will ich mich wegducken, aber das ist aussichtslos, denn langsam geht mir die Luft aus, und ich werde Richtung Schiff gezogen. Ich paddle noch einmal nach Kr?ften, dannwird mir schwarz vor Augen, und ich merke, wie ich immer tiefer sinke.
In diesem Moment f?hrt mir ein stechender Schmerz in den Nacken, irgendetwas packt mich und reisst mich wieder nach oben. Ich will mich umdrehen, bin aber zu schwach. Alles, was ich sehen kann, sind Sternchen vor meinen Augen. Ich lasse den Kopf wieder sinken und bewege mich nicht mehr. Dann werde ich aus dem Wasser gehoben. Einen Moment bleibe ich regungslos liegen, nach einer Weile ?ffne ich die Augen. Wie auch immer ich wieder hier hingekommen bin: Ich liege auf dem Steg und lebe noch.
»Mensch, Kleiner, was machst du denn f?r Sachen?«
Ich blinzle nach oben ins Licht und sehe direkt in Cheries Augen. Sie ist klitschnass und grinst mich an.
»Also, wenn du das n?chste Mal ins Wasser springst und Hilfe brauchst, sag doch bitte vorher Bescheid. Dann achte ich n?mlich darauf, dass ich keine Leine mehr am Halsband habe. Das war doch sehr l?stig.«
Oh! Mein! Gott! Cherie hat mich gerettet. Okay, die Sache ist durch. Selbst wenn ich doppelt so gross w?re – nach dieser Aktion stehe ich garantiert nicht als Held da. Ich schliesse die Augen wieder und w?nschte, ich w?re einfach auf den Grund der Alster gesunken. Da stupst mich Cherie in die Seite.
»Was mich allerdings wirklich beeindruckt: Du hast immer noch den Ring in der Schnauze.«