»O nein, meine Liebe, so einfach ist es eben nicht. Wir waren uns einig, dass Luisa zu mir zieht. Das war eine gemeinsame Entscheidung. Wenn dir das heute nicht mehr schmeckt, ist das allein dein Problem.«
Jetzt wieder sie– weit kommt sie allerdings nicht. Marc unterbricht sie und schreit in den H?rer.
»Pass mal auf, Sabine: Ich bin endlich wieder gl?cklich, und das stinkt dir. So einfach ist das.«
Dann dr?ckt er auf einen Knopf und steckt das Handy in seine Hosentasche. Er atmet tief durch, dann dreht er sich zu mir um.
»Herkules, was machst du denn unter der Bank? Komm da mal raus.«
Ich z?gere. Er b?ckt sich und streckt mir eine Hand entgegen.
»Nun komm schon. Ich habe mich wieder beruhigt. Keine Schreierei mehr, versprochen.«
Kaum stehe ich neben ihm, nimmt mich Marc auf einmal auf den Arm und dr?ckt mich fest an sich. Hoppla, so kuschelig ist er doch sonst nicht! Ich frage mich, ob diese pl?tzliche Gef?hlsanwandlung mit dem Telefonat zu tun hat. Was hat Luisas Mutter bloss zu ihm gesagt, das ihn so aufgeregt hat? Ich w?rde es wirklich gerne wissen, denn so habe ich Marc noch nie erlebt. Der ist eigentlich ein sehr besonnener Mensch.
Er setzt mich wieder auf den Boden und dreht sich um.
»So, mein Lieber. Jetzt kommst du endlich zu deinem Recht: einem ausgedehnten Spaziergang. Wir werden uns doch von der bl?den Kuh nicht den Tag verderben lassen, Kumpel! Wir sind gut drauf, oder?«
Ich mag mich t?uschen, aber diese pl?tzliche Fr?hlichkeit wirkt auf mich irgendwie … gek?nstelt und Marc eher verzweifelt als guter Dinge. Um ihn aber nicht noch mehr runterzuziehen, gebe auch ich mich nun geradezu k?mpferisch gut gelaunt und belle aufmunternd. Hoffe ich jedenfalls.
»Ich habe dir doch gleich gesagt, dass es mit gebrauchten M?nnern etwas schwieriger wird. Und das liegt unter anderem an den alten Frauen.«
Marc hat gestern kein Wort mehr?ber sein Gespr?ch mit Sabine verloren – selbst Carolin hat er meines Wissens nichts davon erz?hlt. Ich bin also immer noch ratlos, was diesen Gef?hlsausbruch seinerseits verursacht haben k?nnte, und habe mich daher heute umgehend an den Spezialisten in Menschenfragen gewandt: Herrn Beck.
Der liegt neben mir auf dem Rasen und erl?utert mir haarklein die T?cken der menschlichen Familie. Beck ist hier unglaublich versiert: Sein altes Herrchen, der Bruder von Frau Wiese, war Anwalt und als solcher oft mit Familienfragen befasst. Menschen, die ihren Partner loswerden wollten, kamen zu ihm, und auch solche, die sich dar?berstreiten wollten, bei wem die Menschenkinder k?nftig wohnen, z?hlten zu seinen Kunden. Ich mag es kaum glauben, aber das Thema Familie scheint wirklich unglaublich kompliziert zu sein.
»Aber was haben denn alte Frauen mit gebrauchten M?nnern zu tun? Das verstehe ich nun ?berhaupt nicht. Marc ist gebraucht, das habe ich jetzt geschnallt. Aber wenn Sabine die Mutter von Luisa ist, dann ist sie doch wahrscheinlich noch gar nicht so alt.«
»Ich meine doch nichtalt im Sinne vonalt.«
»Nein?«
Okay, vielleicht verstehe ich es auch einfach nicht, weil Beck es so schlecht erkl?rt.
»Ich meine: Wenn Carolin dieneue Frau von Marc ist, dann ist Sabine diealte. Kapiert?«
»Aha. Aber wo ist das Problem? Die Frauen begegnen sich doch nie. Marc wohnt schliesslich nicht mit beiden zusammen. Obwohl das in der freien Wildbahn jeder Dackelr?de so machen w?rde – also, mit all seinen Frauen zusammenleben, neuen, alten, jungen, betagten, einfach allen. Behauptet jedenfalls mein Opili. Und wenn Marc sich das aussuchen kann, dann k?nnte er doch …«
Beck atmet schwer.
»Unsinn. Das kann sich Marc doch nicht aussuchen! Was denkst du denn. Da w?rden ihm die beiden Damen aber aufs Dach steigen!«
»Ja, schon klar. Die Menschen bilden P?rchen, weiss ich doch. Aber dann verstehe ich den ganzen ?rger noch weniger. Marc hat doch dann alles richtig gemacht. Ein neues P?rchen gebildet. Mit Carolin. Damit hat doch dann die alte Frau gar nichts zu tun.«
»Wenn du mir nun endlich mal zuh?ren w?rdest, anstatt hier immer alles zu kommentieren, w?rde ich es dir erkl?ren.«
Ich nicke schuldbewusst.»Okay, ich halt die Klappe.«
»Das Problem mit den alten Frauen ist doch Folgendes: Menschen als denkende Wesen k?nnen die Vergangenheit einfach nicht ruhen lassen. W?hrend der durchschnittliche Hund sich maximal noch daran erinnern kann, was vergangene Woche alles so passiert ist, und selbst eine Katze selten mehr als den vergangenen Monat auf dem Zettel hat, h?ngen Menschen gerne ganzen Jahren nach. Ich habe es bei meinem Herrchen gesehen: Die Menschenpaare trennen sich, aber dann verbringen sie immer noch genauso viel Zeit mit Streitereien. Sie sind wie gefangen in der Vergangenheit. Und besonders schlimm kann das werden, wenn Menschenkinder zu der ganzen Geschichte geh?ren. Weil Mann und Frau dann ja tats?chlich immer noch miteinander zu tun haben, als Vater und Mutter.«
Ein interessantes Konzept. Nat?rlich habe ich auch an meiner Mutter gehangen. Aber man wird als Hund schnell unabh?ngig von den Eltern. Deckr?de und H?ndin wohnen meist sowieso nicht zusammen. Streit ?ber den Aufenthalt des Nachwuchses kann es nicht geben, weil der Z?chter den bestimmt. Kein Wunder, dass Menschen st?ndigProbleme haben. Sie machen es sich einfach zu schwer.
»Also, so wie du es erz?hlst, wird wohl Folgendes passiert sein: Sabine und Marc haben beschlossen, dass Luisa bei Marc wohnen soll. Leider hat Marc dann vergessen, Sabine zu erz?hlen, dass Carolin bei ihm einzieht. Und jetzt ist Sabine sauer, weil sie nicht will, dass ihr Kind mit einer fremdenFrau zusammenlebt, ohne dass sie vorher gefragt wurde. Vielleicht hat sie auch Angst, dass Carolin ihr die Mutterrolle streitig macht.«
»H??«
»Ja, Letzteres ist f?r Fortgeschrittene. Das erkl?re ich dir ein andermal genauer. Momentan versp?re ich tats?chlich ein leichtes Hungergef?hl. Weisst du, Nina kocht jetzt immer f?r mich, und wahrscheinlich wartet schon etwas ganz Leckeres in meinem Napf. Ich sehe dich sp?ter!«
Spricht’s, steht auf und verschwindet. So, so. Nina kocht f?r Herrn Beck. Und der verbringt seine Zeit offenbar lieber mit seiner neuen Freundin als mit mir. Dabei wollte ich ihm noch von Cherie erz?hlen. Ich bin mir zwar ziemlich sicher, dass Hundedamen nicht gerade in Herrn Becks Kernkompetenz fallen. Trotzdem h?tte ich mich gerne mal mit jemandem ausgetauscht. Oder besser: jemandem von Cherie vorgeschw?rmt. Und nun l?sst mich dieser alte Kater schn?de hier sitzen. Wer h?tte das gedacht? Und warum kocht eigentlich niemand f?r mich?
Bevor ich mich weiter mit dieser Frage befassen kann, streckt Carolin ihren Kopf durch die Terrassent?r und ruft nach mir. Ob sie vielleicht Ninas leuchtendem Beispiel gefolgt ist und auch etwas Leckeres f?r mich vorbereitet hat? Neugierig trabe ich in Richtung Werkstatt.
»So, Herkules, heute machen wir mal fr?her Feierabend. Ich habe Marc versprochen, dass wir Luisa von der Schule abholen. Der Hort f?llt heute aus, wir werden uns also ein bisschen um die junge Dame k?mmern.«
Gut, dagegen ist nichts zu sagen– aber was ist denn mit meinem Mittagessen? Oder bekomme ich nicht nurnicht etwas Selbstgekochtes, sonderninsgesamt nix? Carolins Kinderliebe in allen Ehren und auch wenn mir langsam klar wird, dass die menschliche Brutpflege eine ganz delikate Angelegenheit ist: Das geht nun echt zu weit! Luisa wird schon keinen Schaden nehmen, nur weil sie vielleicht ein bisschen vor der Schule warten muss. Ich werde auch h?ufiger vor dem Supermarkt angebunden und muss mich dann gedulden, bis Carolin mit dem Einkaufen fertig ist. Meines Wissens hat sich noch kein einziger Mensch dar?ber Gedanken gemacht, wie es mir eigentlich damit geht.
Aber so wie es aussieht, f?llt das Essen tats?chlich aus, denn Carolin hat schon ihre Jacke an und wedelt mit dem Autoschl?ssel. Ein eindeutiges Signal zum Aufbruch. Normalerweise erledigt Carolin alles zu Fuss oder mit dem Fahrrad. Werkstatt, Marcs Haus und die Schule liegen schliesslich so dicht beieinander, dass es selbst f?r Menschen keine un?berwindbare Distanz darstellt. Doch mit Hinkefuss ist die sonst so bewegliche Carolin zum Autofahrer mutiert. Nun gut, dann muss ich eben hungern. Wenn ich deshalb gleich die Autositze fresse, ist Carolin selbst schuld. Ich knurre leise vor mich hin, aber dieses Zeichen meines Protests wird von Carolin komplett ignoriert. Stattdessen scheucht sie mich aus der Werkstatt und schliesst die T?r hinter uns. Hier im Treppenhaus riecht es verf?hrerisch lecker nach gekochtem H?hnchen. Wahrscheinlich eigens f?r Herrn Beck zubereitet. So eine Gemeinheit!