»Weisst du, was ich dir schon die ganze Zeit erz?hlen wollte?«
Herr Beck rollt sich herum und dreht den Kopf in meine Richtung.»Nee, was denn?«
»Ich habe jemanden kennengelernt.«
»Ach.« Besonders interessiert klingt Beck nicht, aber das ist mir egal.
»Ja, eine Golden-Retriever-H?ndin. Sie heisst Cherie und ist sch?n. Wundersch?n.«
Herr Beck r?ckt n?her an mich heran. »Sag bloss, du hast dich verliebt?«
»Na ja, also, ich weiss nicht so genau. Aber ein bisschen Herzklopfen kriege ich schon, wenn ich sie sehe. Genau genommen ziemlich viel Herzklopfen.«
Wenn er es k?nnte, w?rde Herr Beck in wieherndes Gel?chter ausbrechen, das sehe ich ihm genau an. So allerdings muss er sich auf etwas beschr?nken, das wie ein heiseres Fauchen klingt.
»Cherie? Golden Retriever? Oh, Mann, Herkules, die ist doch mindestens doppelt so gross wie du! Wenn nicht dreimal! «
Er rollt sich vor Vergn?gen auf dem Boden herum. Irgendwie hatte ich mir von einem guten Freund eine andere Reaktion erhofft.
»Also, ich weiss wirklich nicht, was daran so komisch ist. Sicher, ich bin kleiner, aber eigentlich bin ich doch auch ein Jagdhund und da …«
Es klingelt an der Wohnungst?r. Nanu? Ganz sch?n sp?t f?r Besuch. Wahrscheinlich haben Carolin und Marc nur den Schl?ssel vergessen. Nina l?uft in den Flur, um zu ?ffnen, ich folge ihr.
Aber vor der T?r stehen nicht Marc und Carolin. Sondern eine Frau, die ich noch nie zuvor gesehen habe.
NEUN
Ich habe sie wirklich noch nie gesehen. Da bin ich mir ganz sicher. Und trotzdem riecht sie irgendwie vertraut. Seltsam. Wie kann das sein? Nina scheint es interessanterweise?hnlich zu gehen. Kommt ihr die Frau auch bekannt vor? Sie schaut hin, schaut kurz wieder weg, ?berlegt, schaut nochmal hin. Dann ?ffnet sie die T?r ein St?ck weiter.
»Ja, bitte?«
Die fremde Frau macht einen Schritt nach vorne. Der vertraute Geruch weht mir nun direkt in die Nase. Es riecht ein bisschen nach… hm … nach … Luisa!
»Hallo. Ich bin Sabine. Sie m?ssen Carolin sein. Darf ich reinkommen?«
»Marc ist nicht da«, beeilt sich Nina zu sagen.
»Schade.« Die Frau denkt kurz nach. »Wobei – vielleicht ist es auch gar nicht schlecht, wenn wir beide uns mal unterhalten.«
Hey, Nina, vergiss es! Du bist doch gar nicht Carolin. Und das ist auch gar nicht deine Wohnung– willst du diese Fremde wirklich reinlassen? Ich merke, wie sich jede Muskelfaser in meinem K?rper anspannt. Lass! Sie! Nicht! Rein!, w?rde ich am liebsten laut rufen. Stattdessen muss ich mich aufs Knurren beschr?nken. Dackel sind zwar eigentlich Jagdhunde, aber vielleicht sorgt der Terrieranteil in mir auch f?r gewisse Wachhundqualit?ten.
Die fehlen Nina leider v?llig. Sie z?gert nur kurz, dann ?ffnet sie die T?r ganz. Die Frau betritt unseren Flur und schaut sich fragend um. Ich bleibe bei der T?r stehen und mustere sie aus den Augenwinkeln. Sie ist gross und schlank und hat dunkle, gelockte Haare, genau wie Luisa. Warum sagt Nina dieser Sabine nicht einfach, dass sie heute Abend nur der Babysitter ist, und schmeisst sie dann raus?
»Kommen Sie doch bitte mit ins Wohnzimmer. Hier entlang.«
»Ich weiss. Meine Schwiegereltern haben hier fr?her gelebt. « Der letzte Satz kommt schnell und scharf. Sehr scharf. Meine Nackenhaare beginnen, sich zu str?uben. Diese Frau ist gef?hrlich, das ist eindeutig. Hoffentlich ist sie nicht bewaffnet, immerhin hat sie eine sehr grosse Handtasche dabei. Ich halte mich jetzt dicht an Nina, bereit, sie sofort zu verteidigen.
Noch allerdings geht die Frau nicht in eine Angriffshaltung?ber. Sie mustert Nina.
»Komisch. Ich hatte Sie mir ganz anders vorgestellt.«
Kein Wunder. Das ist ja auch gar nicht Carolin. Nina, was ist los mit dir? Kl?r das auf, und zwar bevor sie dich anf?llt und niederschl?gt. Riechst du die Gefahr etwa nicht?
Nat?rlich nicht. Stattdessen geht sie ins Wohnzimmer vor und bietet der Frau mit einer Handbewegung einen Platz auf dem Sofa an. Wozu haben Menschen eigentlich eine Nase im Gesicht? Die ist komplett ?berfl?ssig. Ich habe mir das schon ?fter gedacht. Meistens st?rt es mich nicht – jeder hat ebenseine Schw?chen. Aber gerade im Moment regt es mich schon auf, dass Nina diesen stechend aggressiven Duft, der die Frau umweht, so gar nicht wahrnimmt.
Wer allerdings auch nichts wahrnimmt, ist Herr Beck. Der liegt nach wie vor auf dem Sofa. Ist anscheinend eingeschlafen. Himmel, bin ich hier denn der Einzige, der den Ernst der Lage erkannt hat? Nur zwei T?ren weiter schl?ft Luisa friedlich in ihrem Bett. Was, wenn die Fremde, die behauptet, Sabine zu sein, unser Kind rauben will?
Nina setzt sich neben Herrn Beck, der tats?chlich angefangen hat zu schnarchen. Ich lege mich vor ihre F?sse. Von hier aus habe ich die potentielle Angreiferin genau im Blick, sie hat sich n?mlich in den Sessel gegen?ber vom Sofa gesetzt.
»Womit kann ich Ihnen denn helfen?«, beginnt Nina das Gespr?ch betont freundlich.
»Sie haben keine eigenen Kinder, oder?«
Ha! Ich hab’s gewusst! Es geht um Luisa! Nina schaut schwer irritiert. Klar, die Frage nach eigenen Kindern w?rde auch die Dackelin krummnehmen. Klingt glatt so, als ob man ihr unterstellt, nicht f?r die Zucht geeignet zu sein.
»?h, nein, noch nicht.«
»Dann k?nnen Sie auch nicht wissen, wie sich das anf?hlt.«
»Was denn?«
»Wenn das eigene Kind zu einer fremden Frau zieht. Das kann sich niemand vorstellen, der es noch nicht erlebt hat.«
Nina legt den Kopf schief.
»Na ja, ich habe zwar keine Kinder, aber ich bin Psychologin, also da …«
»Ach? Ich dachte, Sie seien Geigenbauerin. Hat Marc jedenfalls behauptet.«
»Nat?rlich … ?h … richtig. Ich meinte damit nur, dass ich auch mal ein paar Semester Psychologie studiert habe. Nach meiner Ausbildung, weil es mich so interessiert hat.«
Sabine zieht die Augenbrauen hoch, und Ninas Gesichtsfarbe wird deutlich dunkler. L?gen ist eben gar nicht so einfach. Als Hund sowieso nicht, aber auch als Mensch muss man so einiges beachten, damit man nicht auffliegt. Trotzdem machen sie es sehr oft. Also, ich meine: l?gen. Der alte von Eschersbach wurde seinerzeit nicht m?de, die Schlechtigkeit von l?genden Menschen hervorzuheben, und anfangs hat es mich auch schwer irritiert, wenn ich einen Menschen dabei erwischt habe. Aber mittlerweile bin ich zu der ?berzeugung gelangt, dass es ein wichtiger Bestandteil menschlicher Kommunikation ist und die meisten Menschen die ein oder andere L?ge in ihrem Alltag fest einkalkulieren. Mit einer kleinen L?ge hier und da schummeln sie sich so durch, es macht ihr Leben einfacher.
Ninas L?ge scheint mir aber ein ganz anderes Kaliber zu sein. Nicht die SorteIch war schon mit dem Hund draussen oderNat?rlich habe ich beim Zahnarzt angerufen. Immerhin tut sie einfach so, als sei sie ein anderer Mensch. Ich frage mich nur, warum? Sie k?nnte doch auch einfach zugeben, der Babysitter zu sein, und dann w?ren wir vermutlich auch schnell diese unangenehme Frau los.
»Auf alle F?lle muss ich mit Marc sprechen, wie es nun weitergeht. Dennso geht es nicht weiter, das steht schon mal fest. Ich habe neulich versucht, mit ihm am Telefon dar?ber zu sprechen, aber da hat er mir einfach den H?rer aufgelegt. Hat er Ihnen das erz?hlt?«
Aha, das Telefonat im Park. Nun bin ich auf einmal doch ganz Ohr.
»Nein, das wusste ich nicht.«
»Das wundert mich nicht. Marc ist so ein konfliktscheuer Idiot. Deswegen bin ich jetzt nach Hamburg geflogen. Ich habe mir extra zwei Tage freigenommen.«
»Was ich nicht ganz verstehe – es war doch eigentlich auch Ihre Idee, dass Luisa zu uns zieht. Wo ist denn jetzt das Problem?«
Sabine schnappt h?rbar nach Luft. »Wo das Problem ist? Es war eben nicht meine Idee, dass Luisa zuIhnen zieht. Als ich das mit Marc besprochen habe, war er noch Single. Es war?berhaupt keine Rede davon, dass er mit einer Frau zusammenziehen w?rde. Es gabSie noch gar nicht.« W?tend funkelt sie Nina an, die verschr?nkt die H?nde vor der Brust.