»Ein verr?ckter Tag heute, nicht wahr? Ich weiss langsam gar nicht mehr, wo mir der Kopf steht. Erst der Unfall heute fr?h, mein erster Einsatz als OP-Schwester, der Auftritt von dieser bl?den Kuh, der Streit mit Marc – puh, mir reicht’s so langsam.« Z?rtlich streicht sie mir ?ber den Kopf. Mhm, wenn ich Herr Beck w?re, w?rde ich jetzt schnurren.
»Aber der letzte Anruf war nett. Herr Lemke, ein sehr guter Kunde. Er handelt mit Instrumenten und hat vielleicht einen Grossauftrag. Den schaffe ich allein gar nicht, und er hat sich deshalb gleich nach Daniel erkundigt. Du erinnerst dich doch noch an Daniel, oder?«
WUFF! Nat?rlich erinnere ich mich an Daniel! Was f?r eine Frage, Daniel ist schliesslich einer der nettesten Menschen ?berhaupt. Fr?her hat er zusammen mit Carolin in der Werkstatt gearbeitet, er baut n?mlich auch Geigen. Als wir endlich Carolins bl?den Freund Thomas los waren, hatte ich lange Zeit gehofft, dass Daniel mein neues Herrchen werden w?rde. Daraus wurde aber nichts, obwohl Daniel in Carolin verliebt war. Am Ende blieb mit Marc noch genau ein Kandidat ?brig, auf den Carolin und ich uns einigen konnten – und trotzdem musste ich gaaanz tief in die Trickkiste greifen, damit aus den beiden etwas wurde. Purer Stress war das damals! Aber wo war ich stehengeblieben ? Richtig. Daniel. Der setzte sich dann kurzerhand mit Aurora ab, einer sehr attraktiven Stargeigerin. Also, dass sie attraktiv war, hat Daniel behauptet. Ich pers?nlich fand ihre Eigenart, sich im Gesicht mit Farbe anzumalen, h?chst suspekt.
Die Aussicht, dass Daniel nun vielleicht zur?ck in die Werkstatt kommt, finde ich allerdings klasse. Tags?ber mal ein Gespr?ch unter M?nnern, noch dazu mit einem so netten Hundefreund wie Daniel, ist doch eine willkommene Abwechslung nach den ganzen menschlichen Problemgespr?chen, die ich mir hier in letzter Zeit anh?ren muss. Ich bin daf?r!
»Jedenfalls muss ich Daniel mal anrufen und ihn fragen, ob er Zeit und Lust h?tte, sich f?r ein paar Wochen von Aurora loszueisen und mir zu helfen.«
Als Zeichen meiner Zustimmung wedele ich begeistert mit dem Schwanz, was gar nicht so einfach ist, weil ich noch auf Carolins Schoss sitze.
»Hey!« Carolin kichert. »Das kitzelt, Herkules! Komm, ich setz dich wieder runter.«
Auf dem Boden lande ich direkt neben der Rose, die von dem ganzen Hin und Her schon ein bisschen mitgenommen aussieht. Carolin hebt sie auf und schaut sie nachdenklich an. Dann geht sie zum Waschbecken in ihrem Werkraum, nimmt ein Glas vom Regal dar?ber, f?llt es mit Wasser und stellt die arme Rose hinein. So versorgt, landet diese schliesslich auf Carolins Werkbank.
Die n?chste Stunde verbringt Carolin damit, Holzst?cke zu hobeln. Immer wieder setzt sie den Hobel ab und betrachtet das Holz, setzt wieder an, arbeitet ein wenig, setzt ab, guckt. Sie sieht sehr konzentriert dabei aus, fast habe ich das Gef?hl, dass sie gerade ganz froh ist, sich endlich wieder mitHolz besch?ftigen zu k?nnen.
Das Klingeln an der Werkstattt?r reisst sie schliesslich aus der Arbeit. Sie seufzt und geht nach vorne – es ist Nina, die einigermassen aufgeregt aussieht.
»Gr?ss dich, Carolin! Du, ich muss dir unbedingt etwas erz?hlen.«
Na, endlich r?ckt sie mit der Sprache raus! Es geht doch bestimmt um Sabine.
»Muss das jetzt sein? Ich habe so viel zu tun und habe schon den ganzen Vormittag in Marcs Praxis verplempert.«
»Echt? Seit wann bist du denn Sprechstundenhilfe?«
»Gar nicht. Aber Frau Warnke, seine Assistentin, ist einfach nicht gekommen, und gleich heute fr?h gab es einen Notfall. Da brauchte Marc dringend etwas Hilfe.«
»Wie nett von dir. Aber es ist trotzdem wichtig. Magst du nicht kurz hochkommen? Falls du noch nichts gegessen hast, gibt’s bei mir noch Mozzarella mit Tomate. Was meinst du?«
Carolin l?chelt.
»Das klingt nat?rlich gut. Okay, ich komme gleich rauf. Muss nur noch eine Sache zu Ende machen.«
»Diese Sabine war in Marcs Wohnung? Und ich habe nichts davon mitbekommen? Unglaublich.« Herr Beck ist fassungslos. Wir liegen unter dem Esstisch in Ninas K?che, und ich gebe Beck eine kurze Zusammenfassung der letzten 24 Stunden.
»Genau so war es. Und was noch unglaublicher ist: Sie dachte, Nina sei Carolin. Und Nina hat nichts dazu gesagt, sondern sie einfach in dem Glauben gelassen. Heute Morgen ist Sabine nochmal aufgekreuzt und dachte dann, die echte Carolin sei Frau Warnke. Deshalb hat sie Marc gek?sst, obwohl Carolin daneben stand.«
Beck sch?ttelt den Kopf.
»Kleiner, jetzt geht die Phantasie mit dir durch. Das bildest du dir eindeutig ein. Ich m?sste doch schon v?llig senil sein, wenn ich von dem wilden Durcheinander nichts mitbekommen h?tte. Das macht wahrscheinlich deine ganze Aufregung um diese Cherie. Da haben dir die Hormone schon v?llig denKopf vernebelt. Nee, nee, mein Lieber, diese w?ste Geschichte kauf ich dir nicht ab.«
Hormone? Was meint Herr Beck denn damit? Ob das so was wie dieser Alkohol ist, den sich die Menschen bei jeder Gelegenheit reinkippen und mit dem sie nicht klar denken k?nnen? Aber ich habe nichts dergleichen zu mir genommen, eingebildet habe ich mir das ganze Tohuwabohu mit Sicherheit nicht. Ausserdem kann ich ganz entspannt bleiben, denn ich gehe mal davon aus, dass die dringende Geschichte, die Nina gleich loswerden will, im Wesentlichen mit meiner ?bereinstimmt. Und dann wird Beck ganz sch?n dumm aus der W?sche gucken. Was schl?ft der auch an entscheidender Stelle ein? Selbst schuld! Ich krieche unter dem Tisch hervor. Wenn es gleich losgeht, will ich schliesslich alles mitbekommen. Beck hingegen bleibt liegen. Er scheint sich seiner Sache sehr sicher zu sein.
Nina stellt zwei Gl?ser auf den Tisch und giesst sie voll. Alkohol? Hormone? Egal. Hauptsache, sie f?ngt endlich mal an zu erz?hlen.
»Also, du wirst nicht glauben, was gestern passiert ist, als ich bei euch gebabysittet habe.«
»Nun mach’s mal nicht so spannend. Es ist bestimmt nicht so unglaublich wie die Geschichte, die ich dir dann noch erz?hlen werde.«
»Das werden wir sehen! Ich habe jedenfalls einen ziemlichen Knaller: Sabine Wagner war gestern Abend da!«
»Was?! Die war gestern schon da?«
Nina guckt irritiert.
»Wiesoschon da? Wusstest du, dass die in Hamburg ist? Ich dachte, die wohnt in M?nchen.«
»Erkl?r ich dir sp?ter. Erz?hl erst mal weiter – sie war also gestern Abend da. Und was wollte sie?«
»Mit Marc sprechen. Ehrlich gesagt, dachte sie, ich sei du. Tja, und dann habe ich sie reingelassen und mich mit ihr unterhalten. Wollte mal h?ren, was sie so zu sagen hat.«
»Du hast WAS?!«
»Ich habe mich mit ihr unterhalten.«
»Und dabei so getan, als seist du ich? Bist du eigentlich v?llig verr?ckt geworden?« Carolin ist aufgesprungen. Herr Beck auch. Na, wer sagt’s denn? Wenn ich in der Lage w?re, h?misch zu grinsen – jetzt w?rde ich es tun.
»Na ja, sie ist mehr oder weniger gleich zur Sache gekommen, ich konnte sie kaum bremsen und das Missverst?ndnis aufkl?ren.«
»Das glaubst du doch wohl selbst nicht! Du wolltest sie aushorchen!«
»Also bitte, warum sollte ich denn so etwas tun, das ist doch v?lliger Quatsch.«
»Ich kann dir genau sagen, warum: Weil du Marc nicht ausstehen kannst und du gehofft hast, irgendetwas Negatives ?ber ihn zu erfahren.«
Jetzt springt auch Nina auf.
»Wie kannst du nur so etwas von mir denken?«
»Entschuldige, das liegt doch wohl nahe. Jeder normale Mensch h?tte Sabine gleich gesagt, dass sie ein anderes Mal wiederkommen soll. Ich bleibe dabei: Seitdem das mit dir und Marc nicht geklappt hat, ist er f?r dich ein rotes Tuch. Und wenn Sabine irgendwelche Schauerm?rchen ?ber ihn erz?hlt hat, war es dir bestimmt sehr recht. Du warst doch auch von Anfang an dagegen, dass ich mit Marc zusammenziehe. Allein dieser gruselige Beziehungsratgeber, den du mir geschenkt hast – negativer geht’s ja kaum.«