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Wo die Liebe eben hinf?llt. Aber so ist Mama: eine Frau mit eigenem Kopf. Und sosehr sie es hasst, selbst f?r eine Hundeschau zurechtgemacht zu werden, so egal werden ihr auch die z?chterischen Ambitionen von von Eschersbach gewesen sein. Jedenfalls im Fall unseres Vaters. Sie hat es mir nie erz?hlt, aber ich glaube, der Terrier war ihre grosse Liebe. Wann immer sein Name fiel – und der fiel oft, wenn von Eschersbach wieder einmal dazu ansetzte, ?ber die Schlechtigkeit der Welt im Allgemeinen und die Ungezogenheit von Dackeln im Besonderen zu wettern –, lag in ihren Augen etwas Sanftes.

Liebe– wie die sich wohl anf?hlt? Ist es dieses Herzrasen, das ich sp?re, wenn ich an Cherie denke? Das Ohrensausen, das ich bekomme, wenn ich sie rieche? Ist das Liebe? Das Gef?hl, dass ich am liebsten jeden Tag mit ihr verbringen w?rde? Ich kann es gar nicht genauer beschreiben, aber es steckt wirklich tief in mir, macht mich ganz fahrig – aber erf?llt mich gleichzeitig mit so viel Gl?ck und Energie, dass ich mich nie, nie wieder anders f?hlen m?chte.

»Hey, schl?fst du?« Charlotte ist stehen geblieben und knufft mich unsanft in die Seite.

»?h, nein, warum?«

»Na, ich habe dich nun schon zweimal nach deiner neuen Familie gefragt, aber du antwortest nicht.«

»Entschuldige, ich war in Gedanken. Was wolltest du wissen?«

»Wie isses denn jetzt so mit dem Tierarzt? Als du das letzte Mal da warst, kannte dein Frauchen ihn ja noch nicht so lange.«

»Oh, es ist sch?n. Wir sind jetzt eine richtige Familie. Vater, Mutter, Kind, Hund.«

»Kind? Wo kommt das denn so schnell her? Die Frau des jungen Stallmeisters hat vor einiger Zeit ein Baby bekommen, das hat aber ganz sch?n lange gedauert, bis es fertig war. Also, bestimmt den ganzen Winter lang und das Fr?hjahr noch dazu.«

»Das Tierarzt-Kind war schon fertig, bevor Marc mein Frauchen Carolin kennengelernt hat.«

»Ach?« Charlotte bleibt schon wieder stehen und mustert mich.

»Ja. Marc ist n?mlich ein gebrauchter Mann«, f?ge ich mit wichtiger Miene hinzu. »Das heisst, er hatte schon mal eine Frau, und von der stammt das Kind. Luisa, sehr nett.«

»Und was ist jetzt mit der alten Frau? Wohnt die auch bei euch, oder was habt ihr mit der gemacht?«

»Nein, die wohnt nat?rlich nicht bei uns. Menschenpaare bestehen doch immer nur aus zwei Leuten. Glaube ich jedenfalls. Dass ein Mann mit zwei Frauen zusammenlebt oder eine Frau mit zwei M?nnern, habe ich noch nicht geh?rt. Die alte Frau wohnt irgendwo anders. Aber neulich war sie da und hat ganz sch?n ?rger gemacht. Ich dachte schon, sie will Luisa klauen. Wollte sie dann aber doch nicht.«

»Vielleicht will sie eher den Tierarzt klauen?« Charlotte stellt da eine interessante neue Theorie auf. »Wenn er ihr mal geh?rt hat, will sie ihn doch wom?glich zur?ckhaben.«

K?nnte das sein? Es w?rde zumindest erkl?ren, warum Carolin so sauer ?ber den ganzen Vorfall war. Aber wie klaut man einen Mann? Marc ist mindestens einen Kopf gr?sser als diese Sabine – ich glaube nicht, dass sie kr?ftig genug w?re, Marc aus unserer Wohnung zu schleifen. Luisa h?tte sie raustragen k?nnen, aber Marc? Keine Chance.

Wir kommen am Schlossportal an, und Charlotte h?pft sehr beschwingt die Stufen zum Eingang hinauf. Die schweren T?ren zum Innenhof stehen auf, was tags?ber immer so ist. Ich merke, dass sich in meiner Nase ein leichtes Kribbeln ausbreitet, denn mit dem Geruch kommt auch die Erinnerung: an eine unbeschwerte Kindheit voller Abenteuerlust, an Abende, die Opili mit Geschichten ?ber Kaninchen und Wildschweine f?llte – und an meine Mutter. So schnell ich kann, laufe ich hinter Charlotte her, quer ?ber den Innenhof, durch die n?chste T?r, Stufen hinauf und hinunter.

Kurz darauf landen wir im kleinen Salon, der eigentlich nichts weiter als ein schmuckloser Aufenthaltsraum neben der K?che ist. Hier steht das grosse Hundek?rbchen, in dem Charlotte und ich die ersten Wochen mit unserer Mutter verbracht haben. Eigentlich ist es eher eine grosse Kiste, die mit dicken Wolldecken ausgelegt ist. Ich erinnere mich noch sehr gut an den ersten Ausflug. Aufgeregt und auf ziemlich wackeligen Beinen, erkundeten Lotti und ich den gesamten Salon. Er kam mir damals riesig vor, und nach einiger Zeit war ich so ersch?pft, dass ich kaum noch laufen konnte. Schliesslich hob mich Mama sanft am Nacken auf und trug mich wieder in die Kiste. Wenn ich bedenke, wie klein mir der Salon heute vorkommt, kann ich kaum glauben, dass der R?ckweg von der T?r zur Kiste damals zu anstrengend f?r mich war.

Jetzt allerdings ist die Kiste leer, von meiner Mutter keine Spur. Ich drehe mich zu Charlotte.

»Wo ist sie denn?«

Charlottes Schwanzspitze zuckt.»Tja, dann ist sie wohl wirklich noch beim Trimmen. Wollen wir hier warten oder nach ihr sehen?«

»Wer weiss, wie lange Marc noch mit von Eschersbach spricht. Lass uns lieber zu ihr flitzen, sonst verpasse ich sie am Ende noch.«

In diesem Moment?ffnet sich die T?r zur K?che.

»Carl-Leopold! Nein, ist das sch?n, dass du uns mal wieder besuchst!« Emilia! Ihre Stimme w?rde ich jederzeit unter tausenden erkennen. Sie ist f?r eine Frau sehr dunkel und klingt fast so, als w?rde Emilia singen, auch wenn sie nur spricht. Sofort renne ich zu ihr und springe an ihr hoch.

»Ja, mein Braver, du freust dich auch, nicht? Warte mal, ich hole etwas Leckeres f?r dich.« Es ist eindeutig von Vorteil, mit der K?chin befreundet zu sein!

Als Emilia wieder auftaucht, hat sie ein kleines Sch?lchen in den H?nden, das sie mir direkt vor die Nase stellt. Lecker! Pansen und Herz! Sofort schlinge ich los. Ich liebe meine Schwester zwar sehr, aber dies ist eindeutigmein Willkommensgeschenk. Zwei Sekunden sp?ter steht Charlotte neben mir und schmollt.

»Hey, kein Wunder, dass du zugenommen hast! H?ttest mir ruhig etwas abgeben k?nnen.«

Ich ignoriere diesen Einwand und schlinge hastig das letzte St?ck Herz hinunter. Abnehmen kann ich immer noch, und vielleicht kommen auch irgendwann mal schlechte Zeiten. Dann bin ich gewappnet.

»Hast du denn deine Mutter schon gesehen, Carlchen?« Emilia hebt mich hoch und streicht mir ?ber den Kopf. »Ach nein, die ist ja noch mit dem Hundefris?r zugange. Am Wochenende ist die Hundeschau, da muss sie doch besonders sch?n sein. Aber warte mal, ich bringe dich hin. Die sind im Anbau hinter den Pferdest?llen.« Spricht’s und klemmt mich unter den Arm. Charlotte beeilt sich hinterherzukommen, und so stehen wir schon bald darauf vor der T?r zu dem gekachelten Raum am Stall, in dem auch immer die tier?rztlichen Untersuchungen auf dem Schloss stattfinden. Emilia setzt mich wiederauf den Boden und ?ffnet die T?r.

Brrr, auch wenn ich Marc nun sehr gut kenne und mag– der Gedanke an die Untersuchungen und Impfungen, die ich durch ihn in diesem Raum erdulden musste, l?sst mich sehr z?gern, hineinzugehen. Obwohl das nat?rlich Quatsch ist. Aber offensichtlich haben Dackel ein gutes Ged?chtnis.

»Komm schon, Carl-Leopold, auf was wartest du?«

Okay, soll schliesslich niemand sagen k?nnen, ich sei ein Feigling. Ich dr?cke mich also an der T?r vorbei – und stehe sofort vor dem Tisch, den Tierarzt und Hundefris?r anscheinend gleichermassen benutzen. Und auf dem Tisch: Mama! Ich belle aufgeregt, sie dreht den Kopf zur Seite.

»Mensch, Daphne, stillhalten! Sonst schneide ich dir noch ins Ohr!« Der Hundefris?r, der eine Hundefris?rin ist, schimpft. Aber meiner Mutter ist das v?llig egal. Sie h?pft einfach zu mir herunter.

»Junger Mann, wir kennen uns doch!«

Begeistert schlecke ich ihr die Schnauze ab. Meine Mutter ist einfach eine ganz tolle Frau!

»Hey, nicht so st?rmisch! Deine Mutter ist mittlerweile schon eine ?ltere Dame, Carl-Leopold. Und was machst du ?berhaupt hier?«

»Er ist wieder mit dem Tierarzt da, Mama.«

»Ach so? Ja, den Arzt habe ich eben schon gesehen. Hat auch mit dem Alten hier reingeschaut. Dann sind sie wohl zu den Pferden gegangen. Hach, es ist wirklich sch?n, dich zu sehen, mein Junge.« Mama erwidert mein Schlecken.