Die Hundefris?rin scheint nun genug von unserer spontanen Familienzusammenf?hrung zu haben. Sie beugt sich herunter, schnappt sich meine Mutter und setzt sie wieder auf den Tisch.
»So. Stillgehalten jetzt, Daphne. Sonst kann ich aus dir keinen Champion machen.«
Ergeben setzt sich Mutter auf ihr Hinterteil.
»Du siehst es, Carl-Leopold. Mir bleibt hier nichts erspart. Vielleicht sehen wir uns sp?ter nochmal.«
»Alles klar. Dann gehen wir erst einmal Opili suchen.«
Mama f?hrt so schnell herum, dass die Fris?rin den Trimmkamm fallen l?sst.
»Hat dir Charlotte etwa noch nichts erz?hlt?«
Ich sch?ttele den Kopf. »Nein, was denn?«
Mama senkt die Schnauze.»Opili ist im letzten Winter gestorben.«
VIERZEHN
Herkules, das ist der Lauf der Dinge. Hunde sterben, Menschen sterben. Ja, sogar Katzen treten irgendwann ab.«
Falls Herr Beck versucht, mich mit diesen halbgaren?berlegungen zur Verg?nglichkeit alles Irdischen zu tr?sten: So klappt das nicht! Wir liegen unter Ninas Tisch im Wohnzimmer, hier hat mich Caro geparkt, weil sie auf einen Termin musste. Auch so ein Ding. Mir geht es schlecht, und sie schiebt mich einfach ab. Heute ist ein furchtbarer Tag. Draussen regnet es schon wieder in Str?men, und hier drinnen ist mir zum Heulen zumute.
»Aber warum hat mir das niemand erz?hlt?«
Herr Beck starrt mich an.»Ja, um Gottes willen, wer h?tte dir das denn erz?hlen sollen?«
»Na, Marc zum Beispiel. Der wusste es bestimmt. Er ist schliesslich Tierarzt auf dem Schloss!«
»Herkules, ich sage es dir wirklich nur ungern, aber: Du bist nur ein Hund. Kein Mensch k?me jemals auf die Idee, dass diese Information f?r dich wichtig sein k?nnte.«
»Bitte? Es war immerhin mein Opili!«
»Richtig. Aber f?r Marc war Opili garantiert nur ein alter Dackel. Und damit hat er aus Menschensicht auch nicht ganz Unrecht.«
Ich lege meinen Kopf auf die Schnauze und schweige. Bin ich vielleicht beleidigt? Nein. Ich bin traurig. Und gekr?nkt. Ich lebe offensichtlich mit Leuten zusammen, die sich nicht im Geringsten um mein Gef?hlsleben scheren. Eine erschreckende Erkenntnis. Wieso bloss mache ich mir dann umgekehrt so viele Gedanken um sie? Um ihre Krisen, Sorgen und N?te? Das lasse ich demn?chst doch einfach. Jeder ist sich selbst der N?chste. Schon wahr. Und nicht nur der n?chste Mensch. In Zukunft gilt das auch f?r Dackel.
Herr Beck holt tief Luft.»Sieh es doch mal so: Dein Opili war wahrscheinlich schon ganz sch?n alt. M?glicherweise auch krank, das geht ja oft Hand in Hand. Und vielleicht hatte er am Ende auch gar keine Lust mehr auf sein Hundeleben. K?nnte doch sein.«
Ich sch?ttele entschieden den Kopf.
»Man merkt, dass du Opili nicht kennst. Er war total fit. Ein Klassehund. Immer gut drauf und voller Ideen.Lustlos? Das Wort gab es f?r ihn gar nicht.«
»Mein lieber Herkules, abgesehen davon, dassniemand immer gut drauf ist, und sei er noch so jung, muss ich dir leider sagen, dass das?lterwerden nicht immer das reine Vergn?gen ist. Ich merke es doch an mir selbst. Was war ich fr?her f?r ein tollk?hner Kater. Und heute? Liege ich gerne mal den ganzen Tag bei Nina auf dem Fensterbrett und lausche and?chtig, wenn sie wieder ein paar arme Verwirrte vor dem Wahnsinn rettet. Herkules, glaube mir, das ist nix, wenn man alt wird. Du wirst es schon noch sehen.«
Jetzt bin ich ernsthaft besorgt. Will mir Herr Beck damit etwa sagen, dass er keine Lust mehr hat, mit mir durch die Welt zu streifen? Opili ist die eine Sache– aber wenn Beck nun auch schw?cheln sollte … Der ist doch noch gar nicht so alt, oder? Was w?rde ich bloss ohne ihn machen?
»Geht es dir nicht gut?«, will ich von Herrn Beck wissen.
»Doch, es geht mir gut. Aber ich bin nicht mehr der J?ngste. Ich renne nicht mehr jeder dummen Maus hinterher. Das ist mir viel zu anstrengend geworden. Und ich brauche mehr Ruhe als fr?her, mehr Erholung. Gestern war es zum Beispiel so laut in der Wohnung ?ber uns, dass ich tags?ber nicht richtig schlafen konnte. Das merke ich heute. Ich bin ziemlich schlapp.«
»Also geht es dir schlecht?«
»Nein. Wie ich schon sagte: Ich bin nur schlapp.«
Da kommt mir eine Idee.»Aber du w?rdest mir Bescheid sagen, wenn es dir mal nicht so gut geht, oder?«
Beck guckt erstaunt.»Warum?«
»Na ja, ich dachte, wo ich doch gewissermassen an der Quelle sitze …«
»An welcher Quelle? Vertickst du illegale Dopingmittel f?r Katzen?«
»Was?« Wovon redet der Kater?
»Ach, nur ein Scherz. Nein, ich frage mich nur, wie du mir helfen k?nntest, falls es mir mal schlecht gehen sollte.«
»Du sagst mir Bescheid, und ich informiere Marc. Und der hilft dir dann. Also, bevor die unsensible Nina etwas merkt, nehmen wir die Sache doch lieber selbst in die Hand.«
»He! Nina ist nicht unsensibel! Sie ist eine tolle Frau.«
»Das sind ja ganz neue T?ne! Ich dachte immer, du …« Weiter komme ich nicht, denn in diesem Moment ?bert?nt ein ohrenbet?ubendes H?mmern alle weiteren Ger?usche. Beck rollt sich auf den R?cken und st?hnt.
»O nein! Jetzt geht das schon wieder los. Ich werde noch verr?ckt.«
»Was ist denn das? ?ber euch wohnt doch niemand mehr«, wundere ich mich.
»Die Wohnung bleibt aber nicht leer, Herkules. Da ziehen nat?rlich neue Menschen ein. Und die haben offenbar vor, dort keinen Stein auf dem anderen zu lassen. Schrecklich!«
Das findet offenbar auch Nina, die in diesem Moment mit den WortenJetzt reicht es mir! an der offenen Wohnzimmert?r vorbeischiesst und zur Wohnungst?r rennt. Irgendetwas sagt mir, dass wir gleich Zeugen einer handfesten menschlichen Auseinandersetzung werden. Ich krieche unter dem Tisch hervor.
»Mann, wo willst du denn hin, Kumpel?« Herr Beck kann sich offenbar nicht aufraffen, seinem Frauchen zu folgen.
»Na, vielleicht braucht Nina Hilfe? Wenn du Recht hast und die Menschen ?ber euch wirklich keinen Stein auf dem anderen lassen, dann sind sie m?glicherweise gewaltbereit. Da ist es immer gut, einen Jagdhund an seiner Seite zu haben. Mit schlappen Katern ist das allerdings so eine Sache. Du bleibst mal besser unter dem Tisch liegen, um dich kann ich mich in so einer Krisensituation nicht auch noch k?mmern.«
Herr Beck macht ein Ger?usch, das wiePPFFF klingt, und taucht kurz darauf neben mir auf. Gemeinsam laufen wir in den Hausflur. Nina steht schon oben vor der T?r und klingelt Sturm. Als wir nach den letzten Treppenstufen um die Ecke biegen, kommen wir gerade im richtigen Moment: Die T?re ?ffnet sich, dahinter steht ein junger Mann mit wild in alle Richtungen abstehenden hellen Haaren. Ehe er es sich noch versieht, schreit ihn Nina auch schon an.
»Was f?llt Ihnen eigentlich ein, hier stundenlang das ganze Haus zu tyrannisieren? Ich habe Patienten – soll ich jetzt meine Praxis wegen Ihnen dichtmachen?«
Der junge Mann tritt einen Schritt zur?ck und mustert Nina interessiert von oben bis unten. Dann l?chelt er. »Nun mal halblang, Frau Nachbarin. Wir haben kurz nach 15 Uhr. Wenn ich die Hausordnung richtig interpretiere, ist das eine ausgezeichnete Zeit f?r Renovierungsarbeiten. Und die sind in der Wohnung leider dringend n?tig. Also – wenn nicht jetzt, wann dann?«
»Von mir aus gar nicht! Wieso k?nnen Sie nicht still und leise die W?nde streichen, so wie alle anderen Menschen auch? Warum haben Sie die Wohnung ?berhaupt angemietet, wenn Sie nun anscheinend jede einzelne Wand rausreissen oder versetzen?«
Nina funkelt den Mann b?se an, der grinst ziemlich breit.
»Wissen Sie, ich bin ?sthet. Da kann ich mich mit simplem W?ndestreichen leider nicht zufriedengeben. Das werden Sie sicher verstehen – Sie scheinen doch auch Wert auf ?usseres zu legen. H?bsches Kleid ?brigens.«
Der Typ grinst– sofern das ?berhaupt m?glich ist – noch breiter, Nina schnaubt f?rmlich.
»Sie … Sie … unversch?mter Kerl! Ich werde mich bei der Hausverwaltung ?ber Sie beschweren! Sie h?ren noch von mir!« Dann macht Nina auf dem Absatz kehrt und st?rmt nach unten. Beck und ich bleiben verdutzt sitzen. Der Mann schaut uns an.