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»Oh, seid ihr Teil der Abordnung? Eins muss man ihr lassen, euer Frauchen hat Temperament.« Er nickt. Etwa anerkennend? Dann schliesst er die T?r. Beck und ich schauen uns einigermassen ratlos an.

»Also, mein Lieber – wo war denn jetzt dein Einsatz als sch?tzender Jagdhund? Davon habe ich nicht viel gesehen.«

»Daf?r ging das alles viel zu schnell. Wenn er sie angefasst h?tte, dann h?tte ich nat?rlich eingegriffen. Aber stattdessen hat er ihr doch ein nettes Kompliment gemacht. Ich verstehe gar nicht, warum Nina sich so dar?ber aufgeregt hat.«

»Welches nette Kompliment? Habe ich da etwas verpasst? Bin ich nicht nur alt, sondern auch taub?« Herr Beck legt den Kopf schief.

»Na, das mit dem Kleid. Er sagte doch, dass Ninas Kleid h?bsch sei.«

»Mann, Herkules – das war doch kein Kompliment! Damit wollte er sie ?rgern! Und das hat ja auch einwandfrei funktioniert.«

»Bitte? Wie kann ein Mann denn eine Frau damit ?rgern, dass er ihr sagt, dass ihr Kleid h?bsch ist? Dar?ber freuen sich Frauen doch. Das macht gar keinen Sinn.«

»Macht es doch. Denn damit sagt er ihr, dass er sie nicht ernst nimmt.«

»Quatsch. Damit sagt er ihr, dass sie ein h?bsches Kleid tr?gt.« Ob Herr Beck Recht hat mit dem ?lterwerden? Er ist ganz offensichtlich schon v?llig verwirrt.T?delig, wie der alte von Eschersbach sagen w?rde.

»Hach, Herkules, du bist echt kein Frauenkenner. Hoffentlich gehst du bei deiner Cherie etwas geschickter vor, sonst wird das nie was. Also:Normalerweise ist das mit dem Kleid ein Kompliment. Da hast du schon Recht. Aber in diesem Fall war die Lage eine andere: Sie hat sich?ber ihn ge?rgert und ihn scharf kritisiert. Das hast du noch mitbekommen, oder?«

Ich nicke. Es war schliesslich nicht zu ?berh?ren.

»So. Jetzt lenkt er nicht etwa ein, sondern sagt ihr, dass sie Unsinn redet. Und das ihr Kleid h?bsch ist.«

»H??«

»Na, das bedeutet, dass er sie nicht ernst nimmt. Er sagt damit eigentlich:Du hast keine Ahnung, Schnecke, beschr?nk dich mal aufs H?bschsein. F?r eine schlaue Frau wie Nina eine t?dliche Beleidigung.«

Mir schwirren die Dackelohren.»Das sagt er ihr damit?«

»Jepp. Das ist der sogenannte Subtext.«

»Aha.« Ich hoffe ganz stark, dass es so etwas wie Subtext in der Kommunikation zwischen H?ndin und R?de nicht gibt. Sonst bin ich geliefert. Aber so was von.

Schweigend trotten wir nebeneinander die Stufen zu Ninas Wohnung wieder hinunter. Sie hat die T?r einen Spalt offen stehen lassen, also k?nnen wir problemlos hineinhuschen. Immer noch schweigend legen wir uns wieder unter den Wohnzimmertisch. Hoffentlich kommt Carolin bald wieder, hier drinnen ist die schlechte Stimmung gerade mit Pfoten zu greifen. Immerhin ist es nun ruhiger, vielleicht hat sich der neue Nachbar Ninas Worte doch zu Herzen genommen, auch wenn er unversch?mterweise ihr Kleid sch?n fand.

Kurze Zeit sp?ter klingelt es an Ninas Wohnungst?r. Endlich, mein Flehen wurde erh?rt! Das ist bestimmt Carolin, die von ihrem Treffen kommt und mich abholt. Ich sause schnell zur T?r, nichts wie raus hier.

Aber als Nina, die hinter mir hergekommen ist, die T?r ?ffnet, steht dort: niemand. Stattdessen liegt ein kleines P?ckchen mit einem gelben Zettel darauf auf der Fussmatte. Nina b?ckt sich und hebt es hoch. Sie liest den Zettel, reisst dann das P?ckchen auf, um nachzuschauen, was es enth?lt. Ich bin nat?rlich auch neugierig, was ihr da wohl vor die T?r gelegt worden ist, kann es aber von hier unten nicht genau erkennen. Es scheinen kleine K?gelchen in einer durchsichtigen Box zu sein. Seltsam, so etwas habe ich noch nie gesehen. Nina dreht die Box hin und her, murmelteine Unversch?mtheit und schliesst die T?r wieder.

Ich trabe zur?ck zu Beck, der immer noch unter dem Wohnzimmertisch liegt.

»Was war denn los?«, erkundigt er sich.

»Irgendjemand hat etwas auf Ninas Fussmatte gelegt. Aber falls es ein Geschenk sein sollte, hat es ihr nicht gefallen.«

Es klingelt nochmal an der T?r, und ich sause zur?ck in den Flur.

»Also jetzt habe ich die Schnauze aber wirklich voll! Was f?llt dem Typen eigentlich ein?« Nina st?rzt aus ihrem B?ro in Richtung T?r und reisst sie auf. »Sie k?nnen sich Ihre Ohrst?psel gleich sonst wohin … oh, hallo, Carolin! Komm doch rein.«

Tats?chlich. Vor der T?r steht endlich Carolin und schaut sehr erstaunt.

»Gr?ss dich, Nina. Ist alles in Ordnung bei dir? Ich wollte nur Herkules abholen.«

»Klar, nat?rlich. Ich dachte nur, du seist mein neuer Obermieter. «

»Und den begr?sst du derart herzlich? Die Geschichte musst du mir mal genauer erz?hlen.«

»Sehr gerne. Und noch lieber bei einem Kaffee. Ich kann mich heute sowieso nicht mehr konzentrieren und muss mal raus. Also – wenn du nichts dagegen hast, w?rde ich mit dir mal eben das n?chste Caf? ansteuern.«

»Ja, warum nicht? Lass uns doch ins Violetta gehen, dann kann sich Herkules auf dem Hinweg im Park noch ein bisschen seine krummen Beinchen vertreten.«

Krumme Beinchen? Da frage ich mich: Wenn Komplimente im Subtext manchmal b?se gemeint sind, sind Boshaftigkeiten dann in Wirklichkeit ein Liebesbeweis?

Das Herumsitzen im Caf? geh?rt eindeutig zur Lieblingsbesch?ftigung von Frauen. Jedenfalls von den beiden Frauen, die ich kenne: Carolin und Nina. Interessanterweise bestellen sie sich aber meist nicht das gleichnamige Getr?nk. Sondern meist viel lieber einen sogenanntenProsecco. Der kommt zwar in einem etwas anderen Glas daher als derRotwein, den Marc so gerne mit Carolin trinkt, aber er riecht?hnlich und hat auch eine ?hnliche Wirkung auf Menschen. Erst reden sie ein bisschen schneller als sonst und lachen h?ufiger, dann reden sieviel langsamer und daf?r lauter. Offenbar schlagen diese beiden Getr?nke auf die Ohren. Leider nicht auf meine, die sind ganz ausgezeichnet, und f?r meinen Geschmack w?re es sowieso sch?n, wenn Menschen insgesamt ein bisschen leiser veranlagt w?ren.

Lautst?rke ist auch das Thema, das Nina nun gerade mit Carolin vertieft. Nat?rlich bei einem Glas Prosecco. Den brauche sie jetzt f?r ihre Nerven, hat Nina angemerkt und gleich mal zwei davon bei der Bedienung geordert. War also wieder nichts mit dem Kaffee. Ich habe es mir vor Carolins F?ssen bequemgemacht und h?re zu, wie Nina von der unerfreulichen Begegnung mit dem neuen Nachbarn berichtet.

»Ich meine – den ganzen Tag h?mmert der da in der Bude rum. Das ist doch nicht normal! Ich hatte heute Vormittag zwei Patienten, die h?tte ich fast wieder nach Hause geschickt, weil es wirklich ein ohrenbet?ubender L?rm war. Gestern auch schon! Und das ohne jede Vorank?ndigung durch die Hausverwaltung, so dass ich mich h?tte darauf einstellen k?nnen. Nichts von alledem. Eine Frechheit! Als es dann heute Nachmittag wieder losging, bin ich hoch und habe mal zart nachgefragt, wie lange das denn noch so gehen soll.«

Unterzart nachgefragt stelle ich mir aber etwas anderes vor. Nach meinem Eindruck war Nina schon ganz sch?n auf Zinne. Vielleicht w?re das Gespr?ch auch insgesamt besser verlaufen, wenn Nina den Mann nicht gleich so angefahren h?tte. Oder ist der Subtext – was f?r ein tolles neues Wort! – von Anschreienhe, ich finde dich nett?

»Und was hat er dazu gesagt?«

»Im Wesentlichen, dass ich mich mal nicht so anstellen soll und er sich schliesslich an die Ruhezeiten der Hausordnung h?lt. Und dass er ja irgendwann renovieren m?sse.«

»Hm, klingt aber ehrlich gesagt, als sei es nicht ganz von der Hand zu weisen«, gibt Carolin zu bedenken.

»Das war nun wieder klar, dass man dich mit dieser Hausordnungsnummer sofort kriegt. Du bist eben viel zu defensiv. Ich meine – hallo? Ich verdiene in der Wohnung mein Geld. Ichbrauche Ruhe. Der soll sich gef?lligst ein paar vern?nftige Handwerker nehmen – dann ist die Renovierung ruckzuck fertig, und ich gehe solange ins Hotel. Auf seine Rechnung.«