Die K?chent?r geht auf.
»Mutter! Du hast doch nicht etwa Herkules ein St?ck abgegeben, oder?«
»Ach Junge, er hat so lieb geguckt. Es war auch nur ein ganz, ganz kleines.«
»Das glaube ich jetzt nicht! Da ist bestimmt Alkohol drin. Mutter, du hast jahrelang in einer Tierarztpraxis gearbeitet, du weisst doch, wie sch?dlich das f?r Hunde ist!« Marc klingt sehr,sehr vorwurfsvoll. Ich bekomme ein schlechtes Gewissen. War ja im Grunde genommen meine Idee. Also lasse ich von dem Sch?lchen ab, schleiche zu ihm hin?ber und lege mich ergeben vor seine F?sse. Grosse Demutsgeste.
»Okay, Herkules, du kannst die Show einstellen.« Er seufzt. »Ich gebe zu, es ist schwer, ihm zu widerstehen, Mutter. Aber bitte f?ttere ihn nicht mehr, wenn er bettelt. Wir haben hier sonst binnen k?rzester Zeit einen fetten, kurzatmigen Dackel.«
Das sind wirklich keine verlockenden Aussichten. So will mich Cherie bestimmt nicht. Ich lasse also den Rest Torte auf dem Teller liegen und trolle mich unter den Esstisch.
»Ich habe auch noch einen Kaffee gekocht. M?chtest du?« Oma Wagner holt Tassen aus dem Schrank und tr?gt sie zum Tisch.
»Gerne. Danke.«
»Weisst du, ich habe den Erfolg deines Vaters auch immer als meinen eigenen betrachtet. Das war mir Best?tigung genug. Es war ebenunsere Praxis. Ich habe mich schon ein wenig gewundert in den letzten Wochen. Deine neue Freundin scheint sich?berhaupt nicht f?r deinen Beruf zu interessieren.«
»Mutter, ich weiss wirklich nicht, wie du darauf kommst.«
Ich kann es nat?rlich von meiner Position unter dem Tisch aus nicht sehen, aber ich wette, Marc runzelt gerade die Stirn. Seine Stimme klingt jedenfalls genau so.
»Na, also ich bitte dich. Die normalste Sache der Welt w?re doch, wenn sie dir nun assistieren w?rde. Gut, sie ist nicht vom Fach, aber zumindest, bis Frau Warnke wieder da ist, k?nnte sie doch ein bisschen aushelfen. Ich meine, ich freue mich ja, dass du mich gefragt hast. Aber gewundert habe ich mich trotzdem.«
»Ich habe es bereits gesagt, und ich wiederhole es gerne nochmaclass="underline" Carolin ist berufst?tig. Sie hat eine eigene Werkstatt, die sie seit mehreren Jahren sehr erfolgreich f?hrt. Da kann sie nicht einfach mal ein paar Wochen wegbleiben, weil bei mir die Sprechstundenhilfe ausgefallen ist.«
»Sabine hat schliesslich auch ihren Beruf f?r dich aufgegeben. «
»Halt mal – den hat sie nicht f?r mich aufgegeben, sondern f?r unser gemeinsames Kind. Und aufgegeben hat sie ihn auch nicht, sondern nur reduziert. Was als angestellte Stewardess deutlich einfacher ist als als selbst?ndige Handwerkerin.«
»Tja, und deswegen musst du jetzt stundenweise die Praxis schliessen, um eine Feier f?r dein Kind zu organisieren. Das h?tte ich damals nie von deinem Vater verlangt. Da war mir die Familie immer wichtiger.«
Marc seufzt so laut, dass es sogar unter der dicken Tischplatte zu h?ren ist. »Luisa ist aber nicht Carolins Tochter.«
»Ja, vielleicht ist das das Problem. Vielleicht h?ttet ihr euch damals nicht so schnell trennen sollen.«
Pl?tzlich gibt es einen lauten Knall, vor Schreck fange ich an zu bellen und schiesse unter dem Tisch hervor. Was ist passiert? Hat Marc irgendetwas auf den Tisch gehauen? Vielleicht mit der Hand? Die liegt jedenfalls noch zur Faust geballt auf der Tischplatte und zittert leicht.
»Verdammt noch mal, Mutter, h?r endlich auf damit! Du weisst genau, wie das damals war. Wir haben uns nicht getrennt – Sabine ist abgehauen. Und zwar bei Nacht und Nebel, wie man so sch?n sagt. Ich kam nach Hause, und sie war weg. Mitsamt Luisa. Und dass du findest, dass ich mit dieser Frau …«
Oma Wagner legt beschwichtigend die Hand auf Marcs Unterarm.»Schatz, ich weiss doch, wie weh dir das getan hat. Aber das ist nun drei Jahre her, und manchmal muss man auch verzeihen k?nnen. Denk an deine Tochter.«
»Ich denke an meine Tochter. Die braucht vor allem einen gl?cklichen Vater. Und ich bin gl?cklich, wenn ich mit Carolin zusammen bin. Denn ich liebe diese Frau. Im ?brigen verstehen sich Caro und Luisa blendend. Caro hat sofort gemerkt, dass sich Luisa an ihrer neuen Schule nicht so wohl f?hlt, und ist dann auf die Idee mit den Ponys gekommen. Dass ich mich um die Umsetzung k?mmere, weil ich derjenige von uns bin, der den alten Grafen kennt, finde ich selbstverst?ndlich. So, und damit ist das Thema f?r mich beendet. Ich m?chte nicht weiter mit dir dar?ber reden.«
Schweigend trinken die beiden ihren Kaffee und essen etwas von der Torte. In meinem Kopf rattern die Gedanken, und ich merke, dass ich Ohrensausen bekomme. Alte und neue Frauen, eigene und fremde Kinder, Omas und gebrauchte M?nner – das Leben der Menschen ist wirklich undurchsichtig. Ich beschliesse, mich einfach in mein K?rbchen zu legen und zu schlafen. Morgen sieht die Welt vielleicht wieder etwas ?bersichtlicher aus.
SECHZEHN
Leine, Fressnapf, Hundefutter, Kuscheldecke– meinst du, du brauchst auch seinen Impfpass?« Carolin w?hlt noch einmal in der grossen Tasche, die sie soeben bei Nina im Flur abgestellt hat. Die verdreht die Augen.
»Carolin, ihr seid drei Tage weg. Eigentlich nur zweieinhalb. Was soll ich da mit seinem Impfpass? Das Kerlchen bekommt regelm?ssig sein Happi, tags?ber kann er mit Herrn Beck in den Garten, und ansonsten schl?ft er hoffentlich viel. Nein, ich brauche keinen Impfpass. Falls etwas Schlimmes passiert, rufe ich euch in eurem romantischen Winkel an, und ihr kommt wieder nach Hamburg. So einfach ist das.«
»Na gut. Dann mache ich mich jetzt auf den Weg. Komm, Herkules, gib Caro ein K?sschen.«
Ich trabe r?ber zu Carolin, die nimmt mich auf den Arm und dr?ckt mich nochmal ganz fest. Sie riecht fast ein bisschen traurig. Ob sie wirklich bald zur?ck ist?
Herr Beck liegt in der Ecke schr?g gegen?ber der Wohnungst?r und am?siert sich augenscheinlich k?stlich. Er rollt sich von links nach rechts und verdreht sich dabei ziemlich den Hals, um die Abschiedsszenerie besser beobachten zu k?nnen. Als Caro weg ist, kommt er zu mir und gibt mir einen Stoss mit seiner Tatze.
»Na, da war Mutti aber traurig, oder? Mann, das muss dir als Fast-Jagdhund doch echt peinlich sein!«
»He! Was soll das heissen? Erstens: Fast-Jagdhund? Ich bin vielleicht nicht aktiv in Dienst gestellt, aber ich bin zweifelsohne ein Jagdhund. Terrier und Dackel. Mehr Jagdhund geht nicht. Und zweitens: Wieso soll mir das peinlich sein, wenn mein Frauchen beim Abschied traurig ist?«
Herr Beck streicht sich?ber den Schnurrbart. »Weil du ein Tier bist und sie ein Mensch ist. Zu viel Rumgekuschel finde ich da unangemessen. Ach, ihr Hunde lernt es eben nicht. Ich glaube, Carolin braucht einfach mal ein eigenes Kind. Dann w?re sie auch wieder klar im Kopf.«
Na super. Das kann ja ein tolles Wochenende werden. Drei Tage mit Kratzb?rste Nina und Oberlehrer Beck. Bravo. Nicht, dass ich Carolin ihrromantisches Wochenende– was auch immer damit gemeint sein mag – mit Marc nicht g?nne, aber h?tten sie mich nicht mitnehmen k?nnen? Ich h?tte doch gar nicht gest?rt. Aber nein – kaum war klar, dass Luisa das Wochenende bei ihrer Mutter verbringt, schon wurde auch nach einer Abschiebem?glichkeit f?r mich gesucht. Und bei Nina prompt gefunden.
»So, Herkules. Dann will ich dir mal den Abschiedsschmerz ertr?glicher machen und etwas Leckeres f?r dich kochen. Die ollen Hundekuchen brauchen wir doch gar nicht, ich habe mir etwas Besseres ?berlegt. Komm mal mit in die K?che.«
Na ja, manchmal ist so eine gewisse r?umliche Trennung vom Frauchen vielleicht auch gar nicht schlecht. Man weiss sich hinterher bestimmt wieder viel mehr zu sch?tzen. Und die ganze Zeit nur mit Marc und Caro, ohne andere Tiere – das w?re auch langweilig geworden. Hach, es riecht schon ganz k?stlich!
»Kumpel, da steigt die Laune, oder?«
Ich ignoriere Beck, denn ich habe beschlossen, ihm heute mal in keinem einzigen Punkt Recht zu geben. Er ist mir einfach zu oberschlau. Stattdessen sehe ich gebannt zu, wie Nina leckere Herzst?ckchen mit Sauce auf einer Portion Reis verteilt, die sie zuvor in meinen Napf gef?llt hat. Lecker!