»Sag mal, Mutter, kannst du hier eine Stunde ohne mich die Stellung halten?«
Marc lehnt am Tresen, w?hrend Oma Wagner dahinter am Computer sitzt und sehr gesch?ftig auf der Tastatur herumtippt. Ich habe mich neben ihre F?sse gerollt und will hier ein Nickerchen halten. Nach dem Wochenende bei Nina bin ich ein wenig schlapp. Zum einen bin ich schon lange nicht mehr so ausdauernd mit Beck durch den Garten getobt, zum anderen hat die Party mit allem, was noch dazu kam, ganz sch?n lange gedauert. Mir fehlt also eindeutig eine M?tze Schlaf. Und weil Caro heute nur Termine ausserhalb der Werkstatt hat, gibt es doch nichts Besseres, als neben Oma zu entspannen und darauf zu bauen, dass sie mich alle halbe Stunde mit einem St?ck Fleischwurst, einem Schokokeks oder etwas ?hnlich Leckerem versorgt. Die Sache mit Nina und der Liebe kann ich Herrn Beck auch noch morgen erz?hlen. Die ist zwar wichtig, aber nicht eilig. So schnell l?sst sich wahrscheinlich ohnehin keine Liebe f?r Nina finden.
»Muss das sein? Es ist immerhin Montag, und nach der Mittagspause wird das Wartezimmer sich sehr schnell f?llen.«
»Ja, ich weiss – es ist aber wichtig.«
Oma Wagner seufzt.»Und was ist, wenn ein Notfall reinkommt?«
»Ich nehme mein Handy mit. Bitte, Mutter, du w?rdest mir wirklich sehr helfen.«
»Aber was hast du denn so Wichtiges vor?«
Marc z?gert einen Moment, dann r?ckt er raus mit der Sprache. »Ich habe mich zum Mittagessen mit Sabine verabredet. Wir m?ssen ein paar Dinge besprechen.«
Jetzt geht ein Strahlen?ber Frau Wagners Gesicht. »Ach, Sabine ist in Hamburg?«
»Ja, sie ist gestern zusammen mit Luisa nach Hamburg geflogen.«
»Na, wenn das so ist, dann fahr mal los. Ich komm hier schon klar. Die Leute k?nnen ja auch ruhig mal einen Moment warten, so tragisch ist das auch wieder nicht.«
»Danke. Das ist lieb von dir.«
Er wendet sich zum Gehen, dreht sich dann nochmal zu seiner Mutter um.
»Ach, eine Bitte habe ich noch.«
»Ja?«
»Carolin regt sich bei dem Thema Sabine immer so schnell auf. Es w?re mir lieb, wenn das unter uns bliebe.«
Seine Mutter l?chelt und nickt. »Nat?rlich, Marc. Du kannst dich auf mich verlassen. Von mir erf?hrt sie nichts.«
Hm. Irgendwie klingt das komisch. So, als w?re es gar nicht gut f?r Carolin. Und was nicht gut f?r Carolin ist, kann mir eigentlich auch nicht gefallen. Was genau will Marc denn mit Sabine besprechen? Eines ist klar: Ich muss da irgendwie mit.
Bevor Marc aus der T?r verschwindet, laufe ich hinter ihm her und winsele vernehmlich. Ob er mich jetzt mitnimmt? Seinem Blick nach zu urteilen wohl eher nicht. Da kommt mir Oma Wagner zu Hilfe.
»Also, die Praxis h?ten oder mit Herkules Gassi gehen – ich kann nur eins von beiden. Nicht, dass hier noch ein Malheur passiert. Das habe ich nicht so gerne in den Praxisr?umen. Schlimm genug, wenn sich die Patienten nicht benehmen k?nnen.«
Marc geht wieder zur?ck und nimmt meine Leine von der Garderobe.
»Ja, ist schon gut. Ich nehme ihn mit. Das Kerlchen st?rt ja nicht weiter.«
Draussen angekommen, schl?gt Marc gleich den Weg zum Park ein. Will er sich dort mit Sabine treffen? Das w?re einigermassen beruhigend. Zumindest scheint er dann nichts mit ihr machen zu wollen, was seiner Liebe zu Carolin in die Quere k?me. Wenn es unter freiem Himmel stattfindet, kann es ganz so bedrohlich nicht sein. F?r echte Zweisamkeit zieht es Menschen doch meistens in Geb?ude. Jedenfalls soweit ich das bisher beobachtet habe.
Wir landen dann aber doch nicht im Park, sondern: schon wieder im Violetta! Langsam werde ich hier Stammgast. Ob man irgendwann f?r eine Hundetr?nke mit meinem Namen sorgt? Als wir das Caf? betreten, sitzt Sabine schon an einem Tisch in der Ecke. Sie sieht uns, springt auf, l?uft zu Marc und f?llt ihm um den Hals. Ich knurre ein bisschen. So wollen wir hier doch gar nicht erst anfangen!
»Huch, was hat denn der Kleine?«, erkundigt sie sich nach dieser herzlichen Begr?ssung bei Marc. Der schiebt sie ein St?ck zur Seite.
»Hallo, Sabine. Tja, Herkules geh?rt Caro. Vielleicht wundert er sich genauso ?ber deine st?rmische Begr?ssung wie ich.«
Sabine zieht die Augenbrauen hoch.»Ich wollte nur nett sein. Aber bitte – wir k?nnen uns in Zukunft auch einfach die Hand geben. Wenn du es lieber f?rmlich magst …«
Dazu sagt Marc nichts, stattdessen geht er zu Sabines Tisch und setzt sich. Auch Sabine setzt sich wieder hin.
»Nett hier«, stellt sie fest.
»Ja, ich bin ?fter mal hier, ist ziemlich genau die Mitte zwischen der Praxis und Caros Werkstatt.«
Sabine verzieht den Mund. Diese Info scheint ihr nicht zu gefallen, sie sagt jedoch nichts dazu.
»So. Du wolltest dich mit mir treffen. Also, was gibt’s?« Marc klingt nicht besonders freundlich, das beruhigt mich enorm. Die Wahrscheinlichkeit, dass er seine alte Frau irgendwie wieder zu seiner neuen machen will, kommt mir sehr gering vor.
»Na ja, unsere letzte Begegnung in deiner Praxis verlief doch ein bisschen ungl?cklich. Da dachte ich, ich nutze meinen n?chsten Hamburg-Aufenthalt mal f?r ein Gespr?ch mit dir. Es ist mir n?mlich durchaus an einem guten Verh?ltnis zu dir gelegen. Auch, wenn du mir das immer nicht glaubst.«
»Die Begegnung verlief deswegen ungl?cklich, weil du meine Freundin beleidigt hast – passenderweise, als sie direkt daneben stand.«
»Daf?r konnte ich nun wirklich nichts. Ich dachte doch, dass diese andere Frau, die abends bei euch auf dem Sofa sass, Caroline sei.«
»Carolin. Meine Freundin heisst Carolin.«
»Ja. Wie auch immer. Jedenfalls war das keine b?se Absicht von mir. Und umgekehrt hast du mittlerweile vielleicht auch ein bisschen mehr Verst?ndnis daf?r, dass ich gerne vorher gewusst h?tte, wenn deine neue Flamme bei dir einzieht.«
Marc schiebt das Kinn nach vorne.»Carolin ist nicht meineneue Flamme. Wir sind seit?ber einem Jahr zusammen, sie war schon mit Luisa und mir im Urlaub, und das weisst du ganz genau. Es ist nun wirklich nicht so, als h?tte ich dem Kind in einer Nacht-und-Nebel-Aktion meine neue Lebensgef?hrtin aufgedr?ngt.«
»Mein Gott, das habe ich doch gar nicht gesagt. Trotzdem: Es ist unser gemeinsames Kind. Da m?chte ich ?ber so einschneidende Dinge vorher informiert werden.«
Dazu sagt Marc erst einmal nichts, dann nickt er langsam.»Ja, du hast Recht. Das war ein Fehler von mir, und es tut mir leid.«
Sabine greift?ber den Tisch und nimmt seine Hand. »Danke. Es tut gut, dass du das sagst. Weisst du, ich m?chte mich nicht die n?chsten zehn Jahre mit dir streiten. Und ich weiss auch, dass ich dich damals tief verletzt habe. Ich w?nschte, ich k?nnte es ungeschehen machen.«
Ihre Stimme bekommt einen ganz warmen, samtigen Klang– und bei mir gehen s?mtliche Alarmglocken an.Das istdefinitiv nicht der Ton, den ich von der alten Frau im normalen Gespr?ch mit ihrem gebrauchten Mann erwarten w?rde. Marc geht es anscheinend ?hnlich. Jedenfalls will er seine Hand zur?ckziehen, aber Sabine h?lt sie fest.
»Marc, auch ich m?chte mich entschuldigen. Es tut mir leid. Es war ein grosser Fehler von mir. Weisst du, ich habe neulich ein Buch gelesen.Die zweite Chance oder so?hnlich hiess das. Handelte davon, wie man als getrenntes Paar wieder aufeinander zugeht. Da musste ich die ganze Zeit an uns denken. Die ganze Zeit.«
Marc mustert sie eindringlich.
»Sag mal, Sabine, ist alles in Ordnung bei dir?«
Er hat die letzten Worte gerade ausgesprochen, da bricht Sabine in Tr?nen aus. Undausbrechen ist hier definitiv das richtige Wort, denn es rollt nicht ein vereinzeltes Tr?nchen ?ber ihre Wange, sondern ein regelrechter Sturzbach. Es sch?ttelt Sabine geradezu, und zwar so stark, als w?rde ein unsichtbarer Mensch hinter ihr stehen und sie hin und her werfen. Marc springt von seinem Stuhl auf, stellt sich neben Sabine und legt seinen Arm um ihre Schulter.
»Mensch, Sabine, was ist denn los mit dir?«